Laudatio auf Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dieter Simon, Träger des Apollonia-Hirscher-Preises

Foto: Ralf Sudrigian

 

 

Apollonia-Hirscher-Preisverleihung 2016

Über den Einsatz, der den Grundgedanken des Apollonia-Hirscher-Preises in jeder Hinsicht entspricht

Laudatio auf Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dieter Simon, Träger des Apollonia-Hirscher-Preises für das Jahr 2016/Von Thomas Şindilariu


Im Hause Morres, wo ich meine Kindheit verbracht habe, gab es zeitweilig bis zu 10 Familienan- und -zugehörige. Vier Generationen wohnten unter einem Dach, zugegebenermaßen einem großen Dach, als vor etwa 36 Jahren Dieter Simon als Lebensgefährte meiner Tante, Sabine Morres, hinzukam.
Wenn feiner Kaffeeduft, der damals alles andere als alltäglich war, in die Nase stieg, so wussten wir Kinder, es kommt wohl bald Besuch und wir hatten uns – zumindest bei dessen Eintreffen – manierlich zu gebärden. Besuch gab es oft, von nah und fern, jüngere und ältere Gäste, darunter so manche Persönlichkeit des kulturellen Lebens der Zwischenkriegszeit oder deren Nachfahren und Anverwandte. Zu solchen Anlässen war das große Zimmer im besagten Hause, genauer gesagt die Sitzecke mit kreisrundem Furniertisch, drei Sesseln und einem Sofa, alles Biedermeier, Ort der Zusammenkunft. Ein Hauch des alten sächsischen Kronstadts lag in der Luft, der auch für uns Kinder spürbar war, und wir schnappten das eine oder andere davon auf, selbst wenn wir das Kränzchen bzw. das Canasta-Kränzchen, das Groß- und Urgroßmutter teils gemeinsam unterhielten, ein wenig störten und von unter dem Sofa die Gäste an den Waden kitzelten – das letzte Mitglied dieser Runden, Erna Stetzky, ist unlängst verstorben.
Für meinen Bruder und mich – wir waren noch keine 10 Jahre alt – war Dieter Simon zunächst ein interessanter Neuzugang. Das lag nicht etwa an einer wie auch immer gearteten Neigung zu Sport, der uns Jungs damals in jeder Hinsicht beschäftigte.

Segelabenteuer auf dem Snagov-See


Dazu sei eine Geschichte gestattet: Nach dem viel zu frühen Tode unseres Großvaters im Frühjahr 1983 waren wir zum Sommeranfang in großer Familiengesellschaft zum Snagov-See mit Großvaters Segeljolle aufgebrochen, unausgesprochen wohl auch als Erinnerungstour. Allein der älteste der Enkel, Jürgen Einschenk, hatte das Segeln etwas umfassender vom Großvater erlernen können. Und so stachen Jürgen, seine Schwester Bärbel, Sabine und Dieter in See – und kamen nicht wieder. Ein stürmisches Gewitter war aufgezogen. Sorgenbeladen bestieg eine Gruppe der Zurückgebliebenen einen Vergnügungsdampfer, der touristische Rundfahrten anbot. Ich gehörte auch dazu, und wir hofften vom Schiff aus, die Vermissten sichten zu können. Tatsächlich, nach einigen Metern Fahrt schoss unser Segelboot heran und vorbei. Es gelang gerademal, sich etwas zuzurufen und zu winken. Dieter winkte auch und lächelte, doch im selben Moment drehte der unruhige Wind mal wieder, ein unvorhergesehenes Wendemanöver war die Folge, und der Großbaum stieß an Dieters Kopf – sein erstarrtes Lachen sehe ich auch heute noch in der Erinnerung. Es war für Dieter nicht der einzige kritische Moment an jenem Tag – wen mag es also verwundern, dass er seither nicht mehr an Bord gegangen ist?
Das Interessante an Dieter für uns Jungen, die wir noch keine 10 Jahre alt waren, war etwas ganz anderes: Man konnte ihn alles, aber auch wirklich alles fragen, was man wissen wollte. Stets gab es geduldig vorgetragene, sachlich überzeugende Antworten, die zu Nachfragen einluden. Ein „Warum?“ folgte dem nächsten. So kamen wir vom Hundertsten ins Tausendste, es konnte bei einem Brachiosaurus beginnen und beim Untergang des Römischen Reiches enden – ganze Abende vergingen wie im Flug mit Säbelzahntigern, Mammuts, Insekten, Viren und Bakterien, Inquisition und Reformation; der schwache Gasdruck im Spar-Herd, der den Rücken unseres Frageopfers mehr schlecht als recht wärmte, war so schnell vergessen. In der Rückschau bin ich sehr dankbar für diese Abende, da sie mir einen ersten Eindruck von der Faszination des Wissens und des wissenschaftlichen Denkens gaben. Doch woher kam dieses geballte Wissen?


Foto: Ralf Sudrigian

Kindheit in Kronstadt

Der am 5. Mai 1946 in Kronstadt im Depner-Sanatorium geborene Dieter Karl Simon wurde am 23. August 1946, dem Tag des Zinnenbrandes, getauft. Freilich steht im Ausweis nicht Karl, sondern Carol, was dem Standesbeamten Anlass war, die Familie des Royalismus zu bezichtigen. Vater Stefan nahm’s aber gelassen, Folgen hatte es keine. Bei „Dieter“ wird der Funktionär sich seinen Teil gedacht und buchstabiert haben. Wenn einmal eine wissenschaftliche Arbeit über die Präferenzen der Siebenbürger Sachsen bei der Vornamenswahl geschrieben werden wird, also über das leidige Thema, dass aus Johann mal János und mal Ioan wurde und wie man darauf reagierte, so mag auch diese kleine Schilderung mit einfließen.
Vater Stefan Simon stammte aus einer berglanddeutschen dörflichen Handwerkerfamilie aus Câlnic, einem Vorort von Reschitz, war katholisch und war eigentlich nur infolge der Weltkriegsereignisse nach Kronstadt gelangt: Die Akademie für Wirtschaftsstudien (Înalta Academie pentru Studii Economice) war 1940 infolge der Teilung Siebenbürgens zwischen Ungarn und Rumänien durch das Zweite Wiener Diktat von Klausenburg nach Kronstadt übersiedelt, und als Absolvent eines Temeswarer Handelslyzeums stand Vater Stefan eigentlich nur diese Studienoption offen.
In Kronstadt lernte Stefan Anneliese Grempels kennen und lieben. Sie stammte aus einer v.a. in Neustadt und Heldsdorf beheimateten Burzenländer Lehrer- und Predigerfamilie ab, die sich weit in die Vergangenheit zurückverfolgen lässt, inklusive gemeinsamer Vorfahren mit dem Komponisten des Siebenbürgenliedes, Johann Lucas Hedwig.
Jung heiratete das Paar, zwischen ziviler und kirchlicher Trauung lag der 23. August 1945. Dieter, der Erstgeborene, war schneller da als Vaters Abschlusszeugnis. Es musste improvisiert werden, um der jungen Familie ein Einkommen zu sichern. Es gelang, Arbeit und Abschluss bekam der Vater unter einen Hut, 1948 folgte der zweite Sohn, Peter.
Für Dieter folgte bald der Kindergarten in der Neugasse – er erinnert sich, dass er zu Doro- und Roswithatante sehr gerne ging, da es dort immer etwas Neues zu entdecken gab. Die Grundschule (Kl. 1-3), die Dieter besuchte, war als eigenständige Institution damals im Şaguna-Gebäude untergebracht. Die Klassen 4-7 derselben Schule (Şc. medie mixta 2) folgten am Honterus-Hof, der damals Curtea Bisericii Negre hieß, und zwar im heutigen B- und C-Gebäude. In den Sommerferien zur 8. Klasse 1960 wurde die deutsche Schule mit dem Şaguna (Şc. medie mixta 1) vereinigt, die fortan als Şcoala medie mixta 1 neben der rumänischen eine deutsche Abteilung hatte, die aufgrund ihrer Zuständigkeit für die gesamte Stadt zwei Klassenzüge hatte. Wichtiger als der äußere organisatorische Rahmen, der als gegeben hinzunehmen war, ist festzuhalten, dass unser heutiger Preisträger mir mehrfach versichert hat, dass er sehr gerne in die Schule ging, jeder erste Schultag war ein Tag der Freude, der Vorfreude auf neues Wissen. Es waren v.a. die Lehrkräfte des „Honterus“, die, auch wenn es die Honterus-Schule nominell gar nicht mehr gab, in der Lage waren, den Geist des humanistischen umfassenden Bildungsgedankens unseres Reformators in der neuen Zeit zu beheimaten, ihn weitgehend frei zu halten von ideologischer Durchdringung, so dass in diesen Jahren von einer späten Blüte dieses Geistes gesprochen werden kann. Nicht unwesentlich für das Gelingen dieses Drahtseilaktes war die Tatsache, dass noch etliche Lehrer einen Horizont hatten, der über den engen Rahmen der Volksrepublik Rumänien weit hinausreichte und der auf Studienaufenthalte im Ausland, meist in Deutschland sowie auf reichlich Lebenserfahrung zurückging. Den besagten Horizont unterstreicht unser Preisträger in der Rückschau als den wichtigsten Punkt hinsichtlich der Atmosphäre seiner Schulzeit, zumal diese auch auf die jüngeren Lehrkräfte noch über Jahre hinweg übersprang – ganz bewusst vermeide ich es, hier Namen zu nennen, denn gewiss würde ich jemanden vergessen.



Foto: Ralf Sudrigian

Entscheidender Besuch im Temeswarer Naturhistorischen Museum

Dieter Simon benützt mit Blick auf seine Schulzeit für seine Person das Bild eines Schwammes, der alles aufsaugte, was ihm an Wissen und Bildung geboten wurde. Seine Zuneigung gehörte aber v.a. dem Deutsch-, dem Geschichte- und dem Biologieunterricht. Letzterer hat bekanntlich das Rennen gemacht, was die Berufswahl anbelangt. Dazu haben freilich die langjährige Biologielehrerin des Honterus, Herta Lang (Spitzname Amöbe), sowie der damals junge Biologe Heinz Heltmann beigetragen. Die Entscheidung der Studienwahl fiel aber woanders, und zwar im Rahmen eines Besuchs des Naturhistorischen Museums in Temeswar, das zum Schlüsselerlebnis wurde. Die Vogel- und Eiersammlung des Museums hatten es Dieter Simon einfach angetan, ab da gehörte der Ornithologie der erste Platz in der Interessenshierarchie. Umgesetzt wurde die neue Interessenslage durch das Studium der Forstwissenschaften, wofür es volle Unterstützung der Familie gab. Das Schwammprinzip der Wissensaneignung kam nicht nur erneut zum Einsatz und führte dazu, dass Dieter Simon als Jahrgangsdritter 1969 abschloss, sondern es entfaltete eine neue Stufe: Der Lehrkörper der Kronstädter Forstwissenschaft, die 1948-1953 aus der Zusammenziehung der universitären forstwissenschaftlichen Institute des Landes in Kronstadt hervorgegangen war, hatte eine ähnliche Zusammensetzung und durchaus auch einen vergleichbaren Horizont, wie oben für die „Honterusschule“ skizziert, allerdings beherrschte niemand die deutsche Sprache. Infolgedessen wandelte sich Dieter Simon zu so etwas wie einem Ad-hoc-Übersetzungsdienst für die Professorenschaft: Er las in deutschen und englischen Fachbüchern, sprach die Inhalte aber rumänisch aus. Die Professoren machten Notizen. Jenseits der umfangreichen Inhalte, die Dieter Simon sich auf diese Weise aneignen konnte, hatte das auch den hilfreichen Nebeneffekt, dass sein Rumänisch zur Perfektion gelangte. Denn dies ist vielleicht der einzige „Vorwurf“, den man der Honterusschule bis vor ein paar Jahrzehnten machen konnte: Die Zweisprachigkeit saß nicht ganz, womit man der Forderung von Johannes Honterus nach Beherrschung der beiden Sprachen, womit damals vor 474 Jahren allerdings das klassische Griechisch und Latein gemeint waren, nicht ganz genügte – welch ein Kontrast zu heute in Sachen Sprachbeherrschung am Honterus!
Der Verbleib am Forstwissenschaftlichen Institut, also der Einstieg in den universitären Lehrbetrieb, war Dieter Simon nicht vergönnt, die unmittelbare Studienfortsetzung als Doktorand war damals noch etwas ungebräuchlich und wurde zudem auch noch ein Opfer universitärer Grabenkämpfe, die anscheinend an keiner höheren Schule innerhalb der Professorenschaft fehlen dürfen. Es folgten daher also sieben Jahre der reinen Praxis beim Entwurfsdienst der Abteilung Forsteinrichtung bei dem seit 1953 in Kronstadt bestehenden außeruniversitären Forstwissenschaftlichen Forschungsinstitut in der Cloşca-Gasse.

Doktorarbeit über die Rolle der insektenfressenden Vögel

Konkret ging es dabei um Forsteinrichtung, also Forstparzellenfestlegung, Beschreibung der Parzellen und wintersüber um die Ausarbeitung von Waldbewirtschaftungsplänen. Den Sommer über bedeutete das täglich ausgedehnte und anstrengende Fußmärsche durch die Wälder und Übernachtung in Waldarbeiterunterkünften. Was es für einen Erfahrungsschatz bedeutete, kontinuierlich in der Praxis zu stehen, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden – desgleichen will ich darüber schweigen, was es bedeutete, wenn ab Herbst die Zahl der Waldarbeiter in den Unterkünften zunahm, was diese Leute für Schuhwerk hatten, wie dieses roch und was sie vom Schnarchen so verstanden.
Parallel war es Dieter Simon dann doch möglich, seine Promotion zu betreiben, sie wurde 1976 mit der Verteidigung seiner Doktorarbeit über „Die Rolle der insektenfressenden Vögel nach Massenvermehrungen der Schädlinge im Wald“ abgeschlossen – da sind sie also wieder, die geliebten Vögel! Mit 30 Jahren war Dieter Simon der jüngste Doktor in seinem Fachbereich und gewiss unter den jüngsten in ganz Rumänien.
War der Bildungs- und Wissensschwamm damit vollgesogen? Wenn man forscht, vergisst man die Zeit, das geht mir persönlich auch oft so, wenn ich einer historischen Fragestellung nachgehe. Endlos könnte man weitermachen, neue Zusammenhänge entdecken und sich an ihrer Faszination erfreuen und dabei die Zeit vergessen. Doch Wissenschaft ist kein Selbstzweck, sondern dient der Beantwortung von Fragen und der Weitergabe der Erkenntnisse, im Idealfall an alle, in allgemeinverständlicher Sprache. Für den Forschenden heißt dies Vorlegen und Veröffentlichen der Forschungsergebnisse. Der Moment, wenn eine große Arbeit abgeschlossen ist, sie als Werk vor einem steht und ab da ein Eigenleben entfaltet, wird automatisch für den Verfasser zu einem Moment des Innehaltens und der Selbstbetrachtung. 1976 sollte für den frisch gebackenen Doktor Dieter Simon ein solcher Moment werden. Fragen nach dem gesellschaftlichen und privaten Leben kamen auf. Aber auch beruflich sollte ein Neuanfang her.
Die Chance zum Neuanfang bot sich noch in demselben Jahr innerhalb derselben Filiale des außeruniversitären Forstwissenschaftlichen Forschungsinstituts. Es wurde die Besetzung einer forschungsleitenden Stelle für Forstgenetik angestrebt. Dieter Simon bewarb sich und hatte Erfolg. Dieser bedeutete für ihn zunächst Umsatteln von Forstschutz und Ornithologie ins neue Fachgebiet, das sich mit Fragen der Herkunftsdeterminierung von Hölzern, der Zucht hochproduktiver Baumsorten sowie der Schädlingsresistenz auseinandersetzte. Es ging um Laborplanung und -Ausrüstung, Dieter Simon kniete sich hinein. Eines Tages kam ein leitender Vertreter der in Bukarest beheimateten Institutszentrale, ließ sich mit allen relevanten Informationen zum Stand der Dinge ausrüsten, um damit, wohl an Dieters statt, auf eine Tagung des International Plant Genetic Resources Institute, einer zur Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen gehörenden Einrichtung in Rom, zu fahren. Sein Fazit nach der Rückkehr: „Dacă nu era sasul ăla, eram în plop“, was eigentlich schon alles sagt über die Gründlichkeit, mit der Dieter Simon die Vorbereitung des Forschungsauftrages verfolgte. In unserem Zusammenhang mag die zitierte Aussage pars pro toto für die Forschungsarbeit stehen, die Dieter Simon bis 1992 überaus gut vernetzt im In- und Ausland betrieb.

Einstieg in die Universitätskarriere

Auf der Strecke war einstweilen der Wunsch geblieben, auch als universitäre Lehrkraft zu wirken. Hierzu bot sich Ende der 1980er Jahre die Gelegenheit: Dieter Simon wurde gebeten, die Abendschule der Forsthochschule mit zu übernehmen – das brachte finanziell zwar nichts, war aber der Einstieg in die Lehre, und dass sich die Gelegenheit überhaupt auftat, reicht in die Zeiten zurück, als Dieter Simon noch Übersetzungsdienste als Student leistete. Da sich im außeruniversitären Forschungsinstitut keine Perspektiven mehr boten, sattelte Dieter Simon 1992 als Lektor in den universitären Betrieb um. 1995 wird er Dozent und 2002 schließlich Professor – die letzten 8 Jahre vor dem offiziellen Renteneintritt 2011 übrigens als Leiter des Lehrstuhls für Waldbau. Der Übergang in den universitären Unruhestand war ein nahtloser, ein Ende ist nicht in Sicht, und das ist auch gut so, vier Doktorate sind noch zu betreuen (12 abgeschlossen) etc. Auch landesweit wird er in den diversen Fachgremien als Gutachter benötigt.
Bleibt noch, auf das gesellschaftliche und private Leben ein paar Streiflichter zu werfen. Nach einigen Jahren des Zusammenseins mit Sabine Morres folgte am 7. Oktober 1987 die Heirat. Am 25. März 1988 erblickte Frieder das Licht der Welt. Ich erinnere mich noch gut, wie mein Bruder und ich uns verwundert ansahen, wir kannten den Namen nicht aus unserem kindlichen Umfeld, aber die Antwort, die wir auf dieses neuerliche „Warum?“ bekamen, war einleuchtend: Frieden ist wichtig, ohne das geht nichts. Das war überzeugend und ist es heute noch, mehr denn je. Frieder hat heuer seinen Master in Mathematik in Cambridge gemacht, herzlichen Glückwunsch dazu!

Aktiv in mehreren Bereichen

Seit 1983 gehört Dieter Simon dem Bach-Chor der Honterusgemeinde an, bald darauf wurde er in die Gemeindevertretung gewählt. Seit 1991, mit einer wohlbegründeten Unterbrechung, gehört er dem Presbyterium der Honterusgemeinde an und hat durch sein umfassendes historisches Wissen, konkret um die Eigentumsverhältnisse der Gemeinde in der Zwischenkriegszeit, wesentlich mit dazu beigetragen, dass die Innerstädtische Kirchengemeinde über einen Immobilienbesitz verfügt, der seinesgleichen in der Landeskirche sucht. Drei Legislaturperioden lang gehörte Dieter Simon der Landeskirchenversammlung der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien an; aus diesem Tätigkeitsbereich sei erwähnt, dass ihm gemeinsam mit Pfarrer Lothar Schullerus auffiel, dass die in Vorbereitung befindliche neue Kirchenordnung eine sprachliche Festlegung vermissen ließ. Es gelang problemlos, das Deutsche als Amtssprache im Sinne von Verwaltungs-, aber eigentlich auch liturgischer Amtssprache festzuschreiben – das Wort „Verkündigungssprache“ kommt übrigens in der 2008 im Amtsblatt von Rumänien erschienenen neuen Kirchenordnung nicht vor. Im Demokratischen Forum von Kronstadt war Dieter Simon schon früh aktiv – Mitgliedsnummer 75. 1992-1996 nahm er für das Forum ein Mandat als Stadtrat wahr, das sich durch das Zusammengehen mit der Demokratischen Konvention ergeben hatte. Aus der Art, wie Dieter Simon über diesen Zeitabschnitt spricht, kann geschlossen werden, dass auch in Kronstadt der demokratische Beginn mit viel Hoffnung, mehr noch aber mit Offenheit, gegenseitigem Respekt und Anstand in Verbindung gebracht werden kann – im heutigen politischen Betrieb fast schon Fremdwörter, was mehr als nachdenklich stimmt. 1996 verhinderten gesetzliche Bestimmungen den Zusammenschluss in der Form des Wahlbündnisses von 1992, so dass nur der Status des ständigen Gastes als Partizipationsmöglichkeit blieb, was auf Stadtebene bis 2000 von Dieter Simon wahrgenommen wurde.

Foto: Ralf Sudrigian



Vorsitzender des Kronstädter Forums

1994 kandidierte Dieter Drotleff nicht mehr für den Vorsitz des Kronstädter Forums. Die Wähler bestimmten Dieter Simon zum Vorsitzenden, ein Amt, das er bis 2006 wahrnahm. Durch eine Briefkampagne vor den Parlamentswahlen 1996 wurde das Umfeld des Demokratischen Forums der Deutschen in Kronstadt gezielt angesprochen und mobilisiert, was ein beachtliches Wahlergebnis von 5000 Stimmen bedeutete. Das Rennen auf das Abgeordnetenmandat zur Vertretung der deutschen Minderheit im rumänischen Abgeordnetenhaus machte damals, als dies noch eine spannende Frage war, allerdings der Kandidat des Banats. Als dieser bald darauf hinwarf, bedurfte es einiger forumsinterner Verrenkungen, um den drittplatzierten Kandidaten des Hermannstädter Kreises ins Parlament zu hieven. Sachlich-personell sicherlich keine Fehlentscheidung, aber an der Enttäuschung unseres Umfeldes war noch eine Weile lang zu knabbern. Dadurch wurden die sozial-gesellschaftlichen Anliegen zum zentralen Feld des Wirkens von Dieter Simon als Vorsitzender des Kronstädter Forums. Unser Forum sollte auf möglichst vielen Ebenen als Ort der Begegnung dienen und dadurch Raum für eine lebendige Gemeinschaft bieten. Zur Arztpraxis kamen noch ein zahnärztliches und ein homöopathisches Kabinett dazu; die Blaskapelle wurde weiter aufgebaut, der Handarbeitskreis gefördert, Canzonetta wurde im Forum beheimatet. Sodann wurden die beiden Gästezimmer eingerichtet, die v.a. auch dem Zusammenhalt mit den ausgewanderten Landsleuten zugutekamen in einer Zeit, als der Gaststättenbetrieb noch nicht so richtig funktionierte – das Jugendform, das gegenwärtig in den Räumen der Gästezimmer untergebracht ist, hatte damals übrigens einen anderen Raum zur Verfügung gestellt bekommen. Die Forumsbibliothek stieg über die 10.000-Titel-Marke und bietet ein ausgewogenes Angebot zu zahlreichen Wissensgebieten, ganz in der Tradition der Vereinsbüchereien der Zwischenkriegszeit, also Kasino, Moderne Bücherei etc. Als es darum ging, das Archiv der Honterusgemeinde in einem gemeinsamen Kraftakt mit dem Siebenbürgen-Institut 2005-2006 auf eine neue Ebene der Funktionalität und Professionalität mittels eines EU-Projektes zu hieven, und wir feststellen mussten, dass Kirchengemeinden in den Augen der EU-Bürokratie nicht als Akteure in Sachen Kulturerbe galten, sprang das Forum zur administrativen Abwicklung ohne jedes Zögern ein, wofür ich heute noch auch persönlich sehr dankbar bin, denn es musste damals, wie so oft, schnell gehen. Darin kann Dieter Simon große Klasse sein, dafür gibt es mehrere Belege, etwa wenn ich an die Beschaffung der Mercedes-Vito-Busse für das Forum an einem Jahresende, wo man auf Zack sein musste, zurückdenke.

Engagement für die Gemeinschaft

Als dann 2006 Bestrebungen zur Gründung eines Forums in Bartholomä aufkamen – bekanntlich wurde daraus dann das Ortsforum Kronstadt –, sah Dieter Simon die Zeit des Rückzuges gekommen. Eine nur zu verständliche Entscheidung, da nach 12 Jahren so manche Kraftreserve aufgebraucht ist durch kontinuierliches Eintreten für die Gemeinschaft, was konkret tägliche Präsenz am Forumssitz, Sitzungen auf allen Ebenen, Korrespondenzen, kurz jede Menge sogenannte unsichtbare Arbeit bedeutet, die mit dem Beruf in Einklang zu bringen ist und daher nur auf Kosten der Familie zu stemmen ist. Ich muss Sie enttäuschen, wir sind mit dem Gesagten noch nicht am Ende angelangt. Vielmehr darf ich Ihnen die eingangs erwähnte Sofagarnitur aus der Biedermeierzeit in Erinnerung rufen. Machen Sie es sich noch einmal in Gedanken darauf bequem, Sie werden sehen, dass man darin ruhend ganz von alleine über den Tag hinaus zu denken beginnt. Diesem Aspekt, dem vielleicht wichtigsten am Wirken von Dieter Simon, möchte ich abschließend noch etwas Aufmerksamkeit schenken. Bei allem, was man mit ihm bespricht, ist man schnell beim Einfluss der großen Zusammenhänge auf unser kleines minderheitliches Geschehen angekommen. Selten tritt eine diesbezüglich geäußerte Befürchtung nicht ein, das muss man sich als Gast ehrlicherweise eingestehen. Umgekehrt kommt man zu dem Schluss, dass für Dieter Simons Engagement für unsere Gemeinschaft, sei es nun Kirche oder Forum, das Anknüpfen an die bewährten Traditionen der Zwischenkriegszeit von zentraler Bedeutung war und ist. Dies geschieht nicht aus Nostalgie, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass wir als Gemeinschaft ähnlich ticken wie damals, dass die Lösungsansätze von einst auch heute noch aktuell sind, da sie unserem über Jahrhunderte gewachsenen Naturell als Minderheitengemeinschaft entsprechen. Das Verblüffende daran ist, dass diese Art zu denken gerne von neu Hinzugekommenen, gleich welcher ethnischer Herkunft sie sein mögen, übernommen wird, da sie offensichtlich Nähe zu unserer Sprache, Kultur und Wesensart gleichermaßen suchen.

Einsatz für das Kronstädter Altenheim

Ein Großanliegen der Nachwendezeit, das auch von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher 1990 öffentlich zugesagt worden war, war die Errichtung eines Altenheimes auch in Kronstadt. Finanzierungen für derartige Projekte liefen damals über das Forum, daher erachtete Dieter Simon es als erforderlich, dem nicht recht von der Stelle kommenden Anliegen nachzugehen. Der Fall war eigenartig, da an sich unterschiedliche Zusagen von verschiedenen Seiten vorlagen, dann aber 1999 eine Umsetzungsaufforderung erteilt wurde, die in ihrer Kurzfristigkeit unmöglich zu realisieren war und keinesfalls Folgekosten verursachen durfte – offensichtlich war man an maßgeblicher Stelle aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen nicht mehr bereit, das „Projekt Altenheim Kronstadt“ zu stemmen. Die genaue Kausalität werden vielleicht einmal Historiker zutage fördern, jedenfalls war die Enttäuschung groß, als bald darauf Dieter Simon mit dem Ehepaar Peter und Ilse Falk – erster mit Kronstädter Herkunft, letztere Mitglied des Bundestages und des Bundesvorstandes der CDU – an besagtem Sofa Platz nahm. Das Gespräch endete mit der Vision, das Altenheim Kronstadt in eigener Verantwortung zu stemmen – die Spende des Ehepaars Falk in Höhe von 5000 DM machte sogleich den Anfang. Den Anfang von Folgegesprächen, Spendensammlungen und was es so alles braucht an Dingen, die mit Ausdauer und Zielstrebigkeit zu tun haben, um aus der Altenheimfrage so etwas zu machen wie die Aktion „Für unser Altenheim“ in guter Tradition und geistiger Fortsetzung der Aktion „Für unsere Schwarze Kirche“. Die Räumung des Altbaus in der Blumenau, der in der Zwischenkriegszeit als Altfrauenheim genützt worden war, war Dieter Simon übrigens noch in seiner Zeit als Stadtrat teilweise gelungen. Die Eröffnung des Altenheims 2002 war die Frucht eines guten Zusammenspiels von Kirchenbezirk, Honterusgemeinde und Forum mit ihren Partnern in Deutschland und ist beredtes Beispiel für den Wert von Einigkeit. 15 Jahre sind seither vergangen, das Heim ist eine Selbstverständlichkeit geworden – wobei Selbstverständlichkeiten etwas Trügerisches anhaftet, was zur Gefahr wird, wenn man den Grundgedanken, auf dem das Selbstverständliche fußt, aus den Augen verlieren sollte: In diesem Fall wäre es die christliche Nächstenliebe in gemeinschaftlicher Eigenverantwortung. Die gegenwärtige Trägerstruktur des Altenheims trägt ganz die Handschrift von Dieter Simon und ist dem altbewährten Prinzip der sächsischen Selbstbestimmung verpflichtet, sie ist zwar kostspieliger als staatliche Bezuschussung, dafür schützt sie aber vor kaum voraussehbaren Verhaltenssprüngen staatlicher Stellen und Abhängigkeit von denselben. Freiheit und Selbstbestimmung haben ihren Preis, sind aber eigentlich doch unbezahlbar und unschätzbar wertvoll.
Übrigens dürfte auch der Apollonia-Hirscher-Preis auf jener Sofagarnitur entstanden sein – ich erinnere mich noch gut, wie ich bei einem Gespräch von Waltraut Kravatzky, der damaligen Vorsitzenden der HOG Kronstadt, und Dieter Simon zufällig dabei gewesen bin. Beeindruckt hat mich damals die Selbstverständlichkeit, mit der nach Möglichkeiten zur Stärkung des Gemeinsamen zwischen den Kronstädtern hüben wie drüben gesucht wurde. Ich erinnere mich in diesem Kontext auch an Worte von Dieter Simon, die darum kreisten, jenen Kronstädtern, die sich in guter alter Tradition, ohne viel Aufsehen zu erregen, für das Notwendige im Sinne unserer Gemeinschaft einsetzten, ein würdevolles Zeichen des Dankes zukommen lassen zu wollen – ob es damals den gemeinsam ausgerichteten Apollonia-Hirscher-Preis schon gab? Ich weiß es nicht mehr.
Was ich aber weiß, ist, dass ich euch, liebe Sabine, lieber Dieter, im Namen unserer Gemeinschaft herzlich danken darf für euren Einsatz, der den Grundgedanken des Apollonia-Hirscher-Preises in jeder Hinsicht entspricht. Dass ihr angenommen habt, ehrt vor allem auch uns, die wir den Preis vergeben. Wir wünschen euch noch lange Zeit Gesundheit und vielleicht Enkel mit vielen „Warum?“. Persönlich hoffe ich, noch oft vorbei kommen zu können mit großen und kleinen Problemen, die eines umsichtigen Ratschlages für die beste Option im Sinne unserer Gemeinschaft bedürfen. Ich bin bisher sehr gut gefahren damit. Daher empfehle ich jedem Sofabesucher, immer dann sehr genau aufzupassen, wenn Dieter seine Worte einleitet mit: „Ich sag es dir in dürren Worten…“
Herzlichen Glückwunsch zum Apollonia-Hirscher-Preis für das Jahr 2016!