Auf den Spuren einer bewegten Familiengeschichte
14.03.25
Buch von Boris Kálnoky in Kronstadt vorgestellt
„Manchmal tritt man durch eine Tür und ahnt nicht, dass man alles hinter sich lässt; der einzige Ausweg ist der in eine neue Welt“- mit diesem Satz beginnt das Buch „Ahnenland oder die Suche nach der Seele meiner Familie“ von Boris Kálnoky, dessen zweite Auflage kürzlich im Hermannstädter Schiller-Verlag erschienen ist. Am Nachmittag des 4. März wurde es vor zahlreichem Publikum und in Anwesenheit des Autors und seines Vaters, Graf Farkas Kálnoky, bei der INSPIRATIO-Galerie vorgestellt.
Die Grafenfamilie Kálnoky ist den KR-Lesern inzwischen bekannt. Hauptsächlich dank Tibor Kálnoky, dem Bruder Boris Kálnoky, von dessen Freundschaft mit dem König Charles III und den Bemühungen, den nachhaltigen Tourismus in Siebenbürgen zu fördern, oft Thema von Medienberichten war (auch die KR hat darüber ausführlich berichtet).
In Micloșoara (ungarisch Miklósvár), knapp eine Autostunde von Kronstadt entfernt Richtung Baraolt, wo sich das ehemalige Jagdschloss der Grafen befand, wurde das Familienerbe der Kálnokys zu neuem Leben erweckt- Touristen aus aller Welt wohnen in den Ferienhäusern im Dorf und erkunden auf dem Pferdesattel die unangetastete Natur. Periodisch finden im Weinkeller des restaurierten Schlosses Konzerte bei Kerzenlicht und andere Kulturveranstaltungen statt. In Valea Crișului (ungarisch Sepsikőröspatak), dem Wohnsitz der Adelsfamilie, gibt es große Restaurierungspläne.
Eine Rückkehr und eine neue Welt
Die Familie Kálnoky verbrachte über acht Jahrhunderte in Siebenbürgen, bis die rumänischen Faschisten die Großeltern von Boris und Tibor aus dem Land verwiesen haben. Aufgewachsen in Deutschland, Frankreich und den USA sind die beiden Brüder Ende der 80er Jahre zum ersten Mal in das Dorf ihrer Vorfahren gekommen. Damals sprach keiner der Beiden Ungarisch. Wie es in der Einleitung des Buches heißt, ist ihnen genau das passiert, als er zur Zeit der politischen Wende das alte Landgut der Familie in Siebenbürgen besuchten: ihr Leben nahm eine neue Wendung.
Ende der Neunziger Jahre zog Tibor endgültig nach Rumänien. Seine Heimat ist nun Siebenbürgen. Sein älterer Bruder, der Journalist Boris Kálnoky, zog nach Jahren, in denen er als Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt” an vielen verschiedenen Orten gelebt hat, nach Ungarn.
Seit mehr als 10 Jahren ist er als freier Berichterstatter über lokale Ereignisse für mehrere deutschsprachige Publikationen tätig und leitet als Dozent die Medienschule am Mathias-Corvinus-Kolleg. Heute fühlt er sich als Budpaester.
Doch die Frage „Wo komme ich her?“ hat ihn seit diesem Besuch im Heimatsort seiner Vorfahren beschäftigt.
Es war ein Sommertag im Jahr 2007. Kálnoky war damals Korrespondent der “Welt“ in Istanbul. „Ich saß in der Badewanne und träumte: Wie schön wäre es, wenn ich ein Buch über die Geschichte meiner Familie und über sie die Geschichte Mitteleuropas schreiben könnte, vom Tatarensturm an. Zwei Stunden später klingelte das Telefon, es war ein großer deutscher Verlag. Ob ich nicht ein Buch über meine Familie schreiben wolle? – fragten sie“, erzählte Boris Kálnoky. Vier Jahre später, im Jahr 2011, hat er „Ahnenland oder die Suche nach der Seele meiner Familie“ veröffentlicht.
Es wirkt fast wie ein Roman, aber es ist doch eine wahre Geschichte. Sie beginnt im Jahr 1252, als seine Urahnen als Szekler im südlichen Karpatenbogen ein Stück Land vom König der Ungarn geschenkt bekommen. 1697 wird ihnen der Grafentitel verliehen. Trotz Adelstitel und herausragenden Ämtern kommt nicht für alle Familienmitglieder gleichermaßen der Wohlstand. Die reiche Familiensaga ist ein Panorama mitteleuropäischer Geschichte.
Von Wünschen, die sich letztendlich doch erfüllen
Der rote Faden des Buches ist die Geschichte des kurzen Lebens von Hugo Kálnoky, dem Großvater des Autors. Der Buchumschlag zeigt ihn zusammen mit seinem damals zweijährigen Sohn Farkas auf dem Pferdesattel. Mit Hugo endete (vorläufig) die Geschichte der Adelsfamilie auf siebenbürgischem Boden. Er wurde von den Kommunisten aus dem Land verwiesen und ließ sich letztendlich in Amerika nieder. Sein größter Wunsch war es, sein Zuhause in Siebenbürgen wiederzusehen. Manche Wünsche gehen spät in Erfüllung. Der Wunsch von Hugo Kálnoky, wieder in Kőröspatak zu leben, wurde ihm nicht zu Lebenszeiten erfüllt. Aber durch seinen Enkel ist er zur Wirklichkeit geworden- das Anwesen befindet sich heute wieder in Familienbesitz.
„Ahnenland“ verspricht sich als spannende Lektüre für jeden, der in Siebenbürgen lebt und mehr über die Geschichte der Region erfahren will. „Am Anfang habe ich viel nachgedacht, welche Zielgruppe das Buch hat. Dann hat mir mein Verleger einen guten Ratschlag gegeben: ich soll nicht mehr so viel über Zielgruppen nachdenken, sondern einfach das Buch schreiben, das mir gefallen würde. Den dann wird es auch anderen gefallen“, meint Boris Kálnoky. Dann wendet er sich an seinen Vater. „Und was meinst du? Ist es mir gelungen?“, fragt er ihn. „Es ist dir, teilweise gelungen“, sagt zwinkernd Farkas Kálnoky.
„Ahnenland oder auf der Suche nach der Seele meiner Familie” ist im INSPIRATIO-Laden oder online auf der Webseite der Schiller-Buchhandlung erhältlich.
Elise Wilk
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Fünf Stimmen, fünf Geschichten
Am Dienstag, den 4. März 2025, war eine Gruppe von Kursanten der MCC School of Media aus Budapest unter der Leitung des freien Journalisten Boris Kálnoky in Kronstadt zu Besuch. Der fünftägige Lehrausflug, der die jungen Leute am folgenden Tag auch nach Hermannstadt führte, sollte ihnen die siebenbürgisch-sächsische Kultur näherbringen. In der INSPIRATIO-Galerie hatten die Budapester den ganzen Nachmittag die Möglichkeit, fünf Persönlichkeiten der deutschen Gemeinschaft kennenzulernen und mehr über ihre Geschichten, Herausforderungen und die Entwicklung der sächsischen Kultur zu erfahren.
Als Erstes setzte sich Jens Vetter auf den Stuhl neben Kálnoky und vor die Kursantengruppe. Er ist erst vor kurzem nach Kronstadt gezogen. Durch seine Arbeit beim Strabag-Unternehmen hatte er 2009 in Bukarest seine Frau kennengelernt. Mit ihr besuchte er Kronstadt das erste Mal und war verblüfft: „Die Stadt fühlte sich wie in Deutschland an.“ Aufgrund wachsender Unzufriedenheit über die deutsche Politik- und Gesellschaftsentwicklung wagte er Ende letzten Jahres den großen Schritt – und zog mit seiner Frau nach Kronstadt.
Im Anschluss führte Organist Steffen Schlandt die Gruppe mit Begeisterung durch die Schwarze Kirche. Er erklärte nicht nur die architektonischen Besonderheiten der Kirche, sondern ging auch auf Sitzordnung und Bedeutung der Zünfte ein. Ebenfalls zeigte er den Gästen einen Teil der berühmten Sammlung osmanischer Teppiche, die die Emporen der Kirche schmücken. Für Schlandt ist die Heterogenität und Offenheit der Gemeinschaft essenziell für den Erhalt der sächsischen Kultur: „Es gibt auch Gottesdienste in rumänischer Sprache“, erklärte er, „und immer mehr Menschen besuchen sie.“ Höhepunkt der Führung war ein kurzes Orgelkonzert auf der Repser Orgel – eine der vier Orgeln der Schwarzen Kirche.
Albrecht Klein, Unternehmer und engagierter Kulturerhalter, sprach über die Repressionen, unter denen die sächsische Bevölkerung während des Kommunismus zu leiden hatte. Er erzählte von Enteignungen und wie die Sachsen in den 80ern als regelrechtes „Exportprodukt“ nach Deutschland verkauft wurden. Klein betonte, dass die deutsche Gemeinschaft heute offener sei als vor 50 Jahren, als eine Mischehe mit einem rumänischen Partner noch nicht möglich gewesen wäre.
Hans Prömm erzählte lebendige Geschichten aus seiner Kindheit in einem Dorf nahe Kronstadt. Er beschrieb, wie er damals den gesellschaftlichen Spalt zwischen Sachsen und Rumänen wahrgenommen hat. Deutschland habe er damals als „heiliges Land“ gesehen und davon geträumt, später einmal als Börsenmakler seinen eigenen Mercedes mit Radio zu fahren. Als er als Jugendlicher nach Deutschland auswanderte, stellten sich manche Vorstellungen als wahr, andere jedoch als Wunschdenken heraus. Nach seiner Karriere bei der Bundeswehr und danach in der freien Wirtschaft kehrte er 2019 nach Kronstadt zurück. Obwohl er bei seiner Rückkehr eine tiefe Anziehung verspürt hat, sind heute seine Gefühle gespalten: „Ich fühle mich gefangen zwischen zwei Kräften. Einerseits ist es meine Heimat, andererseits ist es nicht mehr das, was es einmal war.“
Uwe Leonhardt, Geschäftsführer des Kronstädter Forums, sprach über die Bedeutung der kulturellen Projekte, die darauf abzielen, die deutsche Sprache und Kultur zu erhalten und gleichzeitig der rumänischen Bevölkerung näherzubringen. Laut ihm sei Inklusion für den Kulturerhalt besonders wichtig. Leonhardt, der 20 Jahre in Deutschland lebte, kehrte 2017 nach Kronstadt zurück und fühlt sich hier zu Hause. „Deutschland fühlte sich trotz aller Möglichkeiten nie so an wie hier“, sagte er.
Der straffe Zeitplan der Veranstaltung ließ nur wenig Zeit für Pausen übrig. Trotzdem hörten die Kursanten den Erzählungen und den von Kálnoky geführten Interviews gespannt zu. Einige nutzten sogar die kurzen Pausen, um sich noch weiter mit den Interviewten auszutauschen. Es war spürbar, wie sehr den fünf Persönlichkeiten der Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Kultur am Herzen liegt – selbst Jens Vetter, der erst seit kurzem Teil der Gemeinschaft ist.
Philipp Messner
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Albrecht Klein, Boris Kálnoky, Edith Olosz und Farkas Kálnoky (v.l.n.r) bei
der Buchvorstellung in Kronstadt. Foto: privat
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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