„Mein Jahresgehalt betrug 240 Gulden…“
24.10.25
Kronstädter Musikerinnen (XXIII): Musiklehrerin Luise Stenner (1861-1952) – 1. Teil
Die 23. und letzte Folge der Kronstädter Musikerinnen gewidmeten Artikelserie, einer Dokumentation aus dem Jahr 1943, ist ein autobiographischer Text der Musiklehrerin Luise Stenner, dessen Typoskript den Titel „Luise Stenner. Mein Lebenslauf“ trägt. Sie war eine jüngere Schwester des dank seiner Beiträge zur Erforschung der Heimat- und Landeskunde verdienstvollen Stadtarchivars und späteren Magistratsrats Friedrich Stenner (1851-1924), dessen Tochter, der Pianistin und Klavierlehrerin Elfriede Gärtner geb. Stenner (1889-1980), Folge V der Serie „Kronstädter Musikerinnen“ (KR Nr. 8/27.02.2025), ebenfalls ein autobiographischer Beitrag, gewidmet war.
Die online verfügbare Genealogie der Siebenbürger Sachsen verwendet, vermutlich aufgrund der ausgewerteten kirchlichen Matrikeln, bei der Nennung von Luise Stenner die Vornamens-Variante Louise, die auch in der Unterschrift am Ende des nachfolgend wiedergegebenen Typoskripts vorkommt. Im „Neuen Kronstädter Adressbuch“ aus dem Jahr 1927 wird sie als Luise Stenner geführt, und diese Vornamens-Variante erscheint auch auf der Grabplatte der Stennerschen Familiengruft auf dem Innerstädtischen Friedhof in Kronstadt.
Als Luise Stenner ihre autobiographischen Aufzeichnungen verfasste, befand sie sich bereits in ihrem 82. Lebensjahr. Sie war unverheiratet geblieben und verstarb am 29. Mai 1952 in Kronstadt.
Am 26. September 1861 wurde ich in Nußbach, wo mein Vater Friedrich Stenner evang. Pfarrer war, geboren. Wir waren drei Geschwister, zwei Schwestern und ein viel älterer Bruder. Ich war das jüngste Kind. Unsere liebe Mutter Friederike geb. von Miller (1) hatten wir früh verloren; ich war kaum eineinhalb Jahre alt, als sie starb. Meine Mutter galt als vorzügliche Klavierspielerin. Noten, die wir von ihr haben, deuten auch darauf hin. Das schöne Klavier blieb unbenützt. Als wir, meine Schwester und ich, größer und verständiger waren, sollten wir Klavierspielen lernen, umso mehr, als ich mit Vorliebe mir am Klavier kleine Kinderlieder heraussuchte und danach spielte. Vater hatte dieses „Geklimper“ nicht gerne, und so suchte er unter seinen Lehrern für uns einen geeigneten Lehrer für den Klavierunterricht und fand ihn im Kantor, der die Kirchenmusik leitete. Von einer gut bekannten Klavierspielerin bekamen wir eine Klavierschule, und so wurde der Unterricht begonnen. Täglich gingen wir in die Klavierstunde, denn Vater meinte, so wie die Schule müssten die Klavierstunden auch täglich abgehalten werden. Da unser Klavier einen schweren Anschlag hatte, hielt es unser Lehrer für besser, die Klavierstunde bei ihm zu Hause zu halten. Wir waren damit sehr zufrieden, denn das Klavier unseres Lehrers hatte als Pedal vier Glöckchen. Wenn man ein Stückchen halbwegs konnte, durfte man das Pedal benützen, und das klang wenn auch nicht gerade harmonisch, so doch für Kinderohren sehr schön. Von Methode hatte unser Kantor Michael Maurer keine Ahnung, aber die Noten brachte er uns bei, und dann begann man zu spielen. Nach zwei Jahren Unterricht erklärte unser Lehrer, er könne mich nicht weiter unterrichten, da ich nun besser spielen könne als er. Mein Vater wollte hievon nichts wissen und gab ihm den Rat, sich mit der Klavierschule mehr zu befassen und sich besser vorzubereiten. So wurden die Klavierstunden fortgesetzt, bis sein Sohn, Hans Maurer, der in Kronstadt beim dortigen Organisten Mauß (2) Unterricht im Klavier- und Orgelspiel hatte, heimkehrte. Hans Maurer war ein sehr begabter Bursche und wurde nach seiner Heimkehr als Organist in Nußbach angestellt. Er unterrichtete und organisierte die Bläser (Adjuvanten) nicht nur in unserem Dorfe, sondern auf vielen Gemeinden des Burzenlandes. Ja selbst in ungarischen (magyarischen) Dörfern erhielt er Arbeit. Er wurde mein Lehrer, während meine Schwester nach Kronstadt in die Schule kam. Bis dahin hatten wir von unserem Vater gemeinsam Privatunterricht erhalten.
Das war ein munteres Lernen bei Hans Maurer. Nicht nur Stückchen aus der Schule, auch flotte Tänze spielte ich oft vierhändig mit meinem Lehrer.
Das war ein herrliches Singen…
Das Jahr darauf kam ich ebenfalls nach Kronstadt in die Schule. Ich bestand die Aufnahmeprüfung und kam in die 6. Klasse. Der Klavierunterricht wurde fortgesetzt, und zwar bei unserem Gesanglehrer an der Mädchenschule, Johann Hedwig (3). Es waren vielleicht zu viele neue Eindrücke, die Stadtschule, die neuen Freundinnen usw. – genug, ich vernachlässigte das Klavierspiel, es machte mir nicht mehr Freude. Das merkte mein Bruder, und das Jahr darauf wechselte er meinen Lehrer und gab mich zu Ottomar Neubner (4) in die Klavierstunde. Neubner ließ mich etwas vorspielen, und ich spielte einen flotten Tanz, der mir eben einfiel. Er nahm mich auf mit der Bemerkung: „Jetzt wollen wir etwas Neues beginnen.“ Und so war es auch. Ich hatte wieder Freude am Klavierspiel und übte, so viel ich konnte, so dass ich eine Freundin, die schon längere Zeit bei Neubner Unterricht nahm, überholte.
Im nächsten Jahr nahm mich Neubner in seine Chorschule auf. Es war die Vorbildung für seinen Kirchenchor und den Gesangverein. Neubner war Organist und Regenschori an der katholischen Kirche und gleichzeitig auch Chormeister im Kronstädter Männer-Gesangverein. Nach zwei Jahren Chorschule konnte man im Kirchenchor der katholischen Kirche mittun. Das war ein herrliches Singen, wir lernten die schönen Messen kennen. Die besten Sänger und Sängerinnen Kronstadts sangen in Neubners Kirchenchor. Auch in den Gesangverein wurden wir aufgenommen und sangen bei Opernaufführungen (Waffenschmied, Martha, Die lustigen Weiber u.a.m.) im Chor mit. In den Proben habe ich oft am Klavier begleitet und besonders oft mit Solosängerinnen und Sängern, vor allem mit meinem Bruder Fritz Stenner, der einen schönen Bariton hatte und im Gesangverein oft als Solist auftrat, geübt. Es war mir immer ein besonderes Vergnügen, meinem Lehrer zu helfen, und ganz besonders stolz war ich darauf, dass er mir manchmal auch seine Chorschule zum Üben überließ.
Leider übersiedelte Neubner mit seiner Familie nach Deutschland in seine Heimatstadt Köln. Er hoffte, dort seinen Kindern eine bessere Ausbildung geben zu können und dadurch ihre Zukunft zu sichern. Hier hatte man ihm nahegelegt, zum evangelischen Glauben überzutreten und hatte ihm die Organistenstelle an unserer Schwarzen Kirche angetragen. Neubner aber konnte sich dazu nicht entschließen und sagte ab. Mein großer Wunsch, meine Musikstudien gleichfalls in Deutschland fortzusetzen, ging nicht in Erfüllung. Es war damals nicht üblich, dass Mädchen im Ausland studierten.
In die freigewordene Organistenstelle an der Schwarzen Kirche wurde Geifrig (5) gewählt. Er bekleidete sie lange, ein schweres Leiden machte seiner Wirksamkeit ein Ende. Kurze Zeit war er auch mein Lehrer gewesen.
Als Nachfolger Geifrigs kam endlich Rudolf Lassel als Organist an die Schwarzen Kirche, und mit ihm und unter ihm blühte das Musikleben Kronstadts wieder auf. Neubners Schüler und Schülerinnen hatten nun wieder einen geeigneten Lehrer gefunden, und auch ich nahm bei ihm Klavierstunden.
Musiklehrerin in Szegedin
In dieser Zeit lernte ich die Gründerin und Leiterin der Kindergärtnerinnen-Bildungsanstalt, Frl. Adele Zay (6), kennen. Sie hatte von meinem Streben nach Fortbildung und Selbständigkeit gehört. Eines Tages ließ sie mich zu sich rufen und sagte mir, dass in Szegedin in jenem Mädchen-Institut, in welchem sie selber gelernt und als junge Lehrerin gewirkt hatte, die Stelle der Musiklehrerin zur Besetzung käme. Ob ich geneigt wäre, mich um diese Stelle zu bewerben. Ich war sofort bereit dazu. Zu Hause in Nußbach kostete es noch einen schweren Kampf, bis ich die Einwilligung meines Vaters zu meinem Plane erhielt. Er konnte sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, mich in die Fremde ziehen zu lassen. Nachdem ich die Einwilligung meines Vaters hatte, bewarb ich mich um die Szegediner Stelle, schickte meine Zeugnisse, das Abgangszeugnis von der 8. Klasse der Mädchenschule sowie die Zeugnisse von Neubner und Lassel, ein. Kurze Zeit darauf wurde mir die Stelle zugesprochen. Zu Hause wurden alle Vorbereitungen zur Reise getroffen, und bald war der Tag der Abreise gekommen. Von Vater und Schwester begleitet, fuhr ich nach Apáca (7), in die Nachbargemeinde, um den Schnellzug zu erreichen. Hier traf ich meinen Bruder, der mich bis Szegedin begleiten sollte. Nun nochmals raschen Abschied von Vater und Schwester, und fort ging es, dem neuen Schicksal entgegen.
In Szegedin angekommen, meldete ich mich bei der Direktorin des Mädchen-Institutes, Frau Irma Keméndy (8), die mich sehr freundlich und herzlich empfing. Das Institut machte einen sehr guten Eindruck auf mich. Es bestand aus acht Klassen, vier Elementar- und vier Oberklassen (Szegediner Schule mit Öffentlichkeitsrecht). Ich bat die Direktorin, mir die Elementarklassen zu übergeben und im Klavierspiel die Anfängerinnen, um leichter in die Arbeit hineinwachsen zu können. Sie kam meinem Wunsche, soweit es möglich war, entgegen.
Am 1. September 1889 begann der Unterricht. Mit großem Eifer und viel Freude ging ich an die Arbeit heran. Bei den kleinen Schülerinnen wechselte ich mit Gesang, Marschierübungen und Spielen ab, in der 4. Klasse lehrte ich sie Noten und was dazu gehörte. Allein schon im zweiten Jahre musste ich vorrücken und die Oberklassen übernehmen, da der Gesanglehrer, der diese unterrichtete, nicht entsprach. Nun kamen mir meine musikalischen Kenntnisse aus Neubners Chorschule sowie der Gesangunterricht bei Neubner sehr zustatten. Ich fand mich sehr bald hinein, und die Schülerinnen waren mit großer Freude dabei. Ja selbst die dortigen Lehrerinnen traten in den Chor ein.
Kronstadt, im März 1943
Louise Stenner
(Vorspann, redaktionelle Bearbeitung und Anmerkungen:
Wolfgang Wittstock)
(Der 2. Teil folgt in einer nächsten Ausgabe)
Anmerkungen:
(1) Der damalige Gymnasiallehrer Friedrich Martin Stenner (1816-1896), ab 1857 Pfarrer in Nußbach, hatte die Apothekertochter Friederike von Miller (1828-1863) im Jahr 1849 in Kronstadt geheiratet.
(2) Heinrich Mauß (geb. 1820 in St. Goar am Rhein, gest. 1892 in Kronstadt) war ab 1842 rund 30 Jahre lang „Stadtorganist“ an der Schwarzen Kirche in Kronstadt und damit ein enger Mitarbeiter des „Stadtkantors“ Johann Lukas Hedwig bis zu dessen Tod im Jahr 1849. Mauß war auch 1861-1863 I. Chormeister des Kronstädter Männer-Gesangvereins sowie Musiklehrer am evangelischen Gymnasium A.B. Kronstadt.
(3) Der Musiklehrer Johann Hedwig (geb. um 1836 in Wien, gest. 1903 in Kronstadt) war ein Sohn des nachmaligen Kronstädter Stadtkantors Johann Lukas Hedwig (1802-1849), Komponist der Volkshymne der Siebenbürger Sachsen, „Siebenbürgen, Land des Segens“.
(4) – Ottomar Neubner – siehe Folge VIII, Anmerkung 6, der Artikelserie „Kronstädter Musikerinnen“ (KR 17/30.04.2025).
(5) Hermann Geifrig - siehe Folge VIII, Anmerkung 7, der Artikelserie „Kronstädter Musikerinnen“ (KR 17/30.04.2025).
(6) – Adele Zay - siehe Folge IV, Anmerkung 4, der Artikelserie „Kronstädter Musikerinnen“ (KR 7/20.02.2025).
(7) Apáca (ung.)/Apa?a (rum.)/Geist (dt.) ist eine 7 km nördlich von Nußbach/M?ieru? gelegene Ortschaft im Landkreis Kronstadt/Bra?ov.
(8) Irma Keméndy (1838-1912) war eine verdienstvolle ungarische Pädagogin, die in Szegedin ein privates Mädcheninternat mit Schulbetrieb und später auch eine Lehrerinnenbildungsanstalt, eine der ersten in Ungarn, eröffnete und leitete. An letzterer unterrichtete die siebenbürgisch-sächsische Pädagogin und Frauenrechtlerin Adele Zay in den Jahren 1875-1884 die Fächer Geographie, Englisch, Deutsch und Mathematik.
Musiklehrerin Luise Stenner in ihrem 36. Lebensjahr (1897, Foto: Carl Muschalek/Kronstadt, Bildquelle: Staatsarchiv Kronstadt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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