Aus der Geschichte der Kronstädter Schneiderzunft
22.10.09
Die Beschäftigung mit den Tugenddarstellungen vom Gestühl der Schneidergesellen in der Schwarzen Kirche in Kronstadt boten uns den Anlaß, auch einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung des Schneiderhandwerks zu werfen, das hier in der Stadt unter der Zinne eine weit zurückreichende Tradition hat.
In den erhalten gebliebenen schriftlichen Quellen finden wir die ersten Schneider in den ältesten Steuerverzeichnissen des Stadtviertels Portica aus dem Jahre 1475. Ladislaus Sartor und Merten Sneyder wohnten auf der Nordseite und Hannes Sneyder auf der Südseite der Purzengasse, Melchior Snyder und Hanns Snyder in der Spitalsneugasse.
Aus dem Jahre 1476 stammt das älteste Statut der Bruderschaft der Schneidergesellen, das erste dieser Art in Kronstadt. Dessen Abfassung läßt darauf schließen, daß damals die Schneiderzunft schon längere Zeit bestanden haben muß.
In der Stadtverwaltung finden wir in den Jahren 1491 - 1496 als ersten Ratsherren aus dem Schneidergewerbe Cristianus Snyder oder Sartor. Mehrere Schneider waren am Anfang des 16. Jahrhunderts Ratsherren in den verschiedenen Stadtvierteln.
Petrus Schneider, der seit 1508 Ratsherr war, wurde in den Jahren 1533 - 1542 Hauptmann der städtischen Truppen.
Der erste Schneidermeister, der es bis zum Amte eines „Schaffers" brachte, war Jacobus Schneider im Jahre 1548, der schon ab 1514 Ratsherr gewesen war.
Vincentius Sartor oder Tartler, der seit 1530 Ratsherr war, hatte in den Jahren 1545, 1546 und 1549 das höchste Amt von Kronstadt inne, er war der erste Schneider, der Stadtrichter wurde.
Die Urkunden berichten uns, daß die Kronstädter Schneiderzunft im Jahre 1511 vom Kronstädter Stadtrat im Einvernehmen mit dem Stadtpfarrer die Erlaubnis erwirkte, in der großen Pfarrkirche - der heutigen Schwarzen Kirche - eine den 11000 Jungfrauen (die als Märtyrerinnen Opfer der Christenverfolgungen im 2. und 3. Jahrhundert u. Zr. wurden) gewidmete Kapelle in der Kirche zu errichten.
Im nächsten Jahre 1512 trat die Schneiderzunft geschlossen gegen die damals noch unzünftigen Tuchscherer auf.
Aus dem Jahre 1558 stammt das älteste erhaltene Statut der Kronstädter Schneiderzunft, die im Jahre 1563 ein erstes Privilegium für den freien Verkauf ihrer Waren erwirkte, das im Jahre 1575 bestätigt wurde. Weitere Privilegien erhielt die Zunft auch im 17. Jahrhundert.
Das älteste erhaltene Siegel der Kronstädter Schneiderzunft stammt aus dem Jahre 1560 und zeigt im Mittelschild eine geöffnete Schere und darüber das Kronstädter Wappen, die Krone mit dem Baumstumpf mit Wurzeln. Die Umschrift widerspiegelt den Geist der Reformation und lautet: „Verbvm Domini manet in eter(num) 1560" (Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit, Jesaja 40,8)
Der Große Brand vom 21. April 1689, der die große Pfarrkirche zur „Schwarzen Kirche" machte, vernichtete auch die Zunftlade mit dem Zunftarchiv, so daß danach ein neues Zunftregister angelegt werden mußte, in das auch ein neues Statut eingeschrieben wurde.
Wir entnehmen diesem Register, daß auch zwei Stadtrichter jener Jahre - Michael Filstich (1686 - 1688 und 1691) und Johannes Mankesch (1694 - 1699) ihres Zeichens Schneidermeister und Mitglieder der Schneiderzunft waren.
Im Jahre 1689 wurde auch eine neue Zunftlade im Stil der Spätrenaissance angefertigt, die sich heute im Besitz des Kronstädter Geschichtsmuseums befindet.
In der großen Pfarrkirche hatten natürlich nicht nur die Gesellen ein Gestühl, sondern auch die Meister. Das Schneidergestühl stand vor dem Großen Brand im Chor der Kirche und in der Zeit nach dem Brand im östlichen Teil des nördlichen Seitenschiffes in der Nähe des Triumphbogens. Nach der Monographie von Kühlbrandt befindet sich ein Rest dieses Schneidergestühls mit zwei Sitzen jetzt westlich des Südwestportals. Die beiden Außenseiten des Gestühls sind durch je ein zweiteiliges Fenster mit gotischem Maßwerk und Fischblasen unterbrochen und tragen einen Baldachin, dessen Höhe 3 Meter beträgt. Die beiden, je 56 cm breiten Sitze haben eine massive Arm- und Rückenlehne und eine um eine Achse hochklappbare Sitzfläche. Vorne hat das Gestühl ein Pult von innen 100 cm und außen 114 cm Höhe, an dessen Stirnseite die alte Gestühlsnummer „48" aus dem 18. Jahrhundert eingemeißelt ist.
Die Zunftrechnungen sind nur ab dem Jahre 1741 erhalten geblieben und können uns daher leider keine Aufklärung über das früher errichtete Gesellengestühl und seine Tugenddarstellungen bieten.
Aus dem Verteidigungsplan der Stadt Kronstadt vom Jahre 1734 entnehmen wir, daß die Schneiderzunft damals 43 wehrhafte Männer zur Verteidigung des Schneiderzwingers und des Oberen Tores - des heutigen Katharinentores - stellte. Mit dieser Zahl von Meistern war die Zunft eine der mittelgroßen Zünfte und umfaßte knappe 5 Prozent von insgesamt 956 Handwerksmeistern in Kronstadt.
Der der Schneiderzunft zur Verteidigung anvertraute Zwinger befand sich an der Westseite der Stadt zwischen dem Katharinentor und der Schmiedbastei. Im Jahre 1526 untergrub nach einem Wolkenbruch das Wasser die Stadtmauer des Schneiderzwingers, die einstürzte, so daß sich das Wasser in die Stadt ergoß und man in der großen Pfarrkirche Fische aus den überschwemmten Fischteichen oberhalb der Stadt mit den Händen fangen konnte.
Ein ähnliches Unwetter wiederholte sich im Jahre 1667, als die Stadtmauer beim Schneiderzwinger wieder einstürzte und neu aufgebaut werden mußte.
Im Schneiderzwinger hatte die Schneiderzunft eine sogenanntes „Lust-Haus", in dem die geselligen Veranstaltungen der Zunft stattfanden. Dies brannte im Jahre 1759 ab und wurde im folgenden Jahre 1760 auf gemauertem Fundament aus Holz wieder errichtet und im Jahre 1926 abgetragen.
Im Jahre 1798 gab es in Kronstadt 64 Schneidermeister von insgesamt 1227 Handwerkern, womit die Zunft wieder zu den mittelgroßen Zünften gehörte, damals war der prozentuelle Anteil über 6 Prozent.
Im Jahre 1802 fand nach langen Verhandlungen die Trennung der „sächsischen" von den „deutschen" Schneidern statt. Die Bezeichnung bezieht sich auf die Mode, wobei die sächsischen Schneider die alte traditionellen Kleidungsstücke verfertigten, die deutschen Schneider aber Kleider der neuen europäischen - deutschen - Mode herstellten.
Im Jahre 1835 errichtete die Schneiderzunft in dem Schneiderzwinger eine Badeanstalt.
Nach der Auflösung der Zunft im Jahre 1872 bildete sich eine Schneidergenossenschaft, die den Schneiderzwinger im Jahre 1878 der evangelischen Stadtpfarrgemeinde verkaufte, die dort im Jahre 1902 ein neues Kirchenbad errichtete. Dies wurde im Jahre 1969 an den Stadtvolksrat abgetreten, der es wieder herrichten ließ und einige Jahre bestand es als Hallenbad. Im Jahre 1988 wurde das Gebäude abgetragen, um an seiner Stelle ein Studentenkulturhaus zu errichten, dessen Bau aber 1990 gestoppt wurde. Der Schneiderzwinger wurde der evangelischen Stadtpfarrgemeinde im Jahre 2003 wieder zurückerstattet, es wurde hier ein Parkplatz eingerichtet, die Bauruine im Jahre 2009 abgetragen und der Parkplatz erweitert.
Gernot Nussbächer
Foto 1: Siegel der Schneiderzunft 1560.
Foto 2: Die Zunftlade der Kronstädter Schneider von 1689.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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