Aus Nachbarn werden Freunde
07.07.16
Schüler aus Neustadt auf den Spuren des Deutschen Ritterordens (I)
Vom 15. April – 30. April nahmen Schüler der Gymnasialschule aus Neustadt an einem Projekt teil, das in den letzten Jahren von der evangelischen Kirchengemeinde Neustadt angeboten wurde. Das Projekt unter der Leitung von Pfarrer Uwe Seidner, der Vertreterin der Gemeinde Katharina Kurmes und Schuldirektorin Camelia Enache, befand sich nun in seiner vierten Auflage. Mit den leistungsbesten Schülern der 6, 7 und 8 Klassen machten wir uns auf Spurensuche des Deutschen Ritterordens im ehemaligen Ostpreußen (Polen) und in den baltischen Ländern. Bogdan Muntean aus der evangelischen Kirchengemeinde Heltau half in der Gestaltung des Reiseprogramms als Fremdenführer mit.
Wenn bei den vergangenen Exkursionen ein Perspektivenwechsel angeboten und verstärkt die rumänische Minderheit in den Balkanländern oder der Ukraine besucht wurde, so widmeten wir uns in diesem Jahr einem geschichtlichen Thema, das einiges mit der Burzenländer Lokalgeschichte zu tun hat. Der Deutsche Ritterorden, gegründet im Heiligen Land zur Zeit der Kreuzzüge, kam 1211 ins Burzenland, blieb aber nur kurze Zeit, bis er 1225 vom ungarischen König Andreas II. gezwungen wurde, das Land zu verlassen. Der Ritterorden ging - und die Siedler blieben. Heute sind von dieser Präsens nur noch wenige Spuren erkennbar.
Ziel dieser Reise war, den Schülern und ihren Lehrern zu vermitteln, dass es in Siebenbürgen auch eine Geschichte gibt, die in dem normalen Lehrplan auch 25 Jahre nach der Wende noch keinen Platz gefunden hat. Auf unserer Reise durch Ostpreußen und durch das Baltikum konnte man sich ein Bild davon machen, welches eigentlich die Pläne des Ordens im Burzenland und bestimmt auch darüber hinaus gewesen waren, nämlich einen eigenen Ordensstaat zu gründen. Dieses sollte dem Deutschen Orden schon fünf Jahre nach ihrem Abzug aus dem Burzenland im Baltikum gelingen. Mit der Unterstützung von Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor IX. unterzeichnete der Ritterorden mit dem Fürsten Konrad von Masowien einen Vertrag. Das Land nördlich von Masowien, wo die heidnischen Pruzzen und Balten lebten, sollte dem Ritterorden zustehen. Die Bedingung war, diese heidnischen Völkerschaften zu christianisieren. Auch hier gibt es eine Parallele zu Siebenbürgen. Hier galt es, die heidnischen Kumanen zu christianisieren.
Entlang der Flüsse Weichsel, Nogat und Memel startete der Ritterorden seinen Eroberungszug. Thorn, die erste Burg, die im Jahre 1231 vom Orden gegründet wurde, sollte unsere erste Station sein. Die mittelalterliche Stadt war der wichtigste hanseatische Inlandshafen und in den 223 Jahren Regierungszeit des deutschen Ritterordens wurde sie eine der reichsten Siedlungen an der Weichsel. Die UNESCO Altstadt ist eine der wenigen, die während des Zweiten Weltkrieges verschont geblieben war, so dass ein großer Teil der Stadtmauer und Meisterwerke der Backsteinarchitektur, gotische Kirchen und Bürgerhäuser noch erhalten sind. Wir hatten die Gelegenheit das Geburtshaus von Nikolaus Kopernikus, einer der großartigsten Persönlichkeiten und Bürger der Stadt Thorn, zu besuchen. In der Umgebung von Thorn besuchten wir weitere Deutschordensgründungen: Kulm, Graudenz und Marienwerder. Die Struktur diese Städte in diesem Landstrich ähnelt sehr den Städten Siebenbürgens. Die Siedler, die vom Orden organisiert hierhin zogen, statteten ihre Städte mit dem Magdeburger Stadtrecht aus, in den Städten wurde freier Handel betrieben und die Handwerker waren in Zünften organisiert. Die Schüler konnten auf Anhieb Ähnlichkeiten mit den siebenbürgischen Städten entdecken: der zentrale Marktplatz umgeben von den Häusern der wichtigsten Händler und Räten der Stadt, in der Mitte das Rathaus und gotische Saalkirchen.
Als nächstes stand Danzig auf dem Programm. Danzig war eine Festung der heidnischen Pruzzen, die im Jahre 997 den Bischof Adelbert von Prag, der sie missionieren wollte, erschlugen. Dadurch wurde der Ort zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Die Stadt an der Mottlau trat im Jahre 1295 der Hanse bei und wurde ein Teil des Königreichs Polen, bis sie im Jahre 1308 vom Ritterorden erobert wurde. Durch Handel, Fischfang und den Verkauf von Bernstein wurde Danzig zu einem der wichtigsten Häfen für den Ritterorden und eine aufblühende Handelsstadt, da der Ritterorden das Monopol für die Bernsteinbearbeitung besaß.
Von großer Bedeutung ist auch die neuere Geschichte des Ortes. 1410 ging der Ordensstaat, nach der Schlacht von Tannenberg/Grunewald gegen die Polen und Litauer unter und in Preußen entstand eine Föderation unter militärischer Führung. Dieser Staat sollte in der europäischen Geschichte bis zum Ersten Weltkrieg von Bedeutung bleiben, aber mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg zerfiel auch dieser Staat in Einzelteile. Zwischen dem Deutschen Reich und dem Freistaat Danzig entstand ein Korridor unter polnischer Kontrolle. Dadurch wurde Danzig praktisch vom Deutschen Reich abgeschnitten. Diese Krisensituation diente letztendlich als Auslöser des Zweiten Weltkriegs. Am 1. September 1939 wurden von dem Kriegsschiff „Schleswig-Holstein“ die polnischen Militärstützpunkte auf der Westerplatte bei Danzig beschossen und die polnische Post in der Stadt wurde angegriffen. Ab diesem Zeitpunkt nahm der verheerendste Krieg der Menschheitsgeschichte seinen Lauf. Wir befanden es für sehr wichtig die Thematik des Zweiten Weltkriegs in das diesjährige Schulprojekt mit einzubringen und einen Bezug zu der neuesten Geschichte auch optisch durch den Besuch dieser historischen Stätte herzustellen. Im Krieg wurde Danzig beim Rückzug der deutschen Wehrmacht vor der Roten Armee zu neunzig Prozent zerstört. Unter polnischer Leitung hat man dann diese Stadt wieder aufgebaut. Ein Wahrzeichen ist auch heute der große Hafenkran, der im 15. Jahrhundert als größter Hafenkran der Welt galt. Während des Stadtrundgangs konnte man die bezaubernden Plätze, die engen Gassen der Altstadt und die herrliche Hafenpromenade erkunden und vom Turm der Marienkirche, der größten Backsteinkirche der Welt, eine fantastische Aussicht genießen.
Fast völlig zerstört nach dem Krieg war auch die Marienburg unweit von Danzig. Die Marienburg (heute Malbork), malerisch am Fluss Nogat gelegen, war der Hauptsitz des Großkomturs des Ritterordens. Sie gilt als die größte Backsteinburg der Welt. Auch hier haben die Polen Beeindruckendes geleistet und die Burg originalgetreu wieder aufgebaut. Wir benötigten mit den Schülern einen ganzen Tag, um diesen geschichtsträchtigen Ort zu besuchen.
Unsere Reise sollte nun weiter Richtung ostwärts gehen, denn dieses war auch die Richtung, die der Orden im 13. Jahrhundert in Richtung Baltikum einschlug. Einen Zwischenstopp legten wir in der Wolfsschanze ein, einst das Führerhauptquartier für die Ostfront, nachdem die Operation „Barbarossa“, also der Überfall auf die Sowjetunion, begonnen hatte. Heute gibt es nur noch Reste dieser im Wald sehr gut getarnten Basis des Zweiten Weltkriegs. Am 20. Juli 1944 sollte hier das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler scheitern. An diesem schicksalsträchtigen Ort legten wir eine Gedenkminute ein.
Über Kaunas in Litauen gelangten wir nach Riga. In Kaunas erfuhren wir, dass der Orden es nie geschafft hat auch die Litauer zu erobern; gerade da sollten sie eine Niederlage einstecken. Anders aber sollte es dem Orden in Livland ergehen. In Riga konnten sie schon auf ein festes Fundament bauen, da hier schon im Jahr 1201 eine deutsche Stadt entstanden war unter der Führung von Bischof Albrecht von Buxhoeveden bei Bremen. Von hier aus sollten die heidnischen Liven christianisiert werden.
Pfarrer Uwe Seidner, Wolkendorf
(Fortsetzung folgt)
Die Schülergruppe in Talinn. Foto: Prof. Remus Ciutan
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