Bäm Hontertstreoch – Beim Holderstrauch - Sub crengi de soc: Musik, die Völker verbindet
18.08.11
Die rumänische Textvariante wurde in der Hermannstädter Astra-Bibliothek wiedergefunden / Von Hansotto Drotloff, Alzenau
Das „Deutsche Jahrbuch für Rumänien 2011“ gedenkt des Komponisten und Dirigenten Hermann Kirchner aus Anlass der 150. Wiederkehr seines Geburtstages. Hans Liebhardt berichtet darin detailreich, wie im Jahre 1975 ein Film über diesen außergewöhnlichen Musiker entstand. Eine Einzelheit aus den Vorbereitungen zu jenem Film veranlasst mich zu diesem Beitrag: Man habe damals eine rumänische Nachdichtung des sächsischen Liedtextes bestellt, um das Lied auch in dieser Sprache darbieten zu können, berichtet Liebhardt. Das bedeutet wohl, dass es 1975 nicht möglich gewesen war, die rumänische Fassung des Liedes aufzuspüren. Das ist erstaunlich, denn im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gehörte „Sub crengi de soc“ – so lautet der Titel der rumänischen Fassung – zum Standardrepertoire rumänischer Chöre und erklang, neben anderen, von der rumänischen Folklore inspirierten Kompositionen Kirchners in zahlreichen Konzerten. Erst kürzlich konnte die rumänische Fassung wiederentdeckt werden. Ehe darüber berichtet wird, soll die Geschichte dieses Liedes hier, die Gegenstand zahlreicher Publikationen war, hier nur ganz kurz erzählt werden.
Keiner Komposition des aus Thüringen stammenden Komponisten Hermann Kirchner war ein solch bemerkenswertes Schicksal beschieden, wie dem Lied „Bäm Hontertstreoch“, das in kurzer Zeit um die ganze Welt gewandert ist und zum Volkslied zahlreicher Völker wurde. Der schlichten Weise muss ein Zauber innewohnen, dem sich offenbar niemand entziehen konnte bzw. kann. Nach den Siebenbürger Sachsen, in deren Mundart der ursprüngliche Liedtext geschrieben wurde, übernahmen es die Rumänen, dann wanderte es über Berlin und das „Kaiserliederbuch“ nach Deutschland und gehörte mehrere Jahrzehnte lang zum Standardrepertoire deutscher Männerchöre. Im Ersten Weltkrieg brachten es vermutlich Kriegsgefangene nach England und auch nach Russland, und in den 1930er Jahren hat man sogar eine japanische Fassung gekannt. Alle dieser Völker waren überzeugt, dass es sich um ein „eigenes Volkslied“ handelte – ein schmeichelhaftes Kompliment für den Komponisten, der mit seinen Liedern ein viel bescheideneres Ziel verfolgte – das sächsische Volksmusikgut neu zu beleben. Bald 120 Jahre nach seiner Entstehung wird nur mehr die sächsische und deutsche Fassung gesungen, die anderen Fassungen lassen sich nicht mehr nachweisen, ja waren bis vor kurzem nicht mehr auffindbar.
Liest man rumänische Kulturzeitschriften vom Anfang des Jahrhunderts, wie „Familia“ oder „Luceaf²rul“, so finden sich Berichte über zahlreiche Konzerte aus Siebenbürgen, in denen rumänische Chöre das Lied vortrugen. Ein authentischer Bericht weist das Lied, allerdings nur mit der ersten Strophe, noch im Jahre 1947 als echtes Volkslied in der Gegend von Baia Mare nach. Erst im Mai 2011 konnte eine fast verblichene Handschrift mit der rumänischen Fassung „Sub crengi de soc“ in der Astra – Bibliothek Hermannstadt wieder aufgefunden werden. Eine mögliche Erklärung dafür, dass das Lied so schwer aufzufinden war, bietet wohl die Tatsache, dass die Noten anscheinend nie gedruckt wurden und nur handschriftlich verbreitet wurden. In der gleichen Mappe der Astra-Bibliothek, die von der „Reuniunea româneasc² de music² din Sibiu“ stammt, befinden sich noch weitere rumänische Vokalkompositionen Kirchners. Kirchners Originalnoten gingen bei Kriegsende 1945 in Breslau in Flammen auf. Seine Tochter Bertha Konopka bemühte sich später, so viel Notenmaterial wie möglich zusammenzutragen. Heute ist dies Material auf 4 Bibliotheken in Deutschland verteilt. Die Noten der Astra-Bibliothek sind zum Teil noch unbekannt und harren der Erforschung.
Es ist durchaus möglich, dass Kirchners „sächsisches Volkslied“ „Bäm Hontertsreoch“ Anfang des 20. Jahrhunderts durchaus gleichzeitig, wenn auch an verschiedenen Orten in sächsischer, deutscher und rumänischer Textfassung erklang. Wenn die drei Textversionen heute vermutlich erstmalig nebeneinander im Druck erscheinen, so soll damit Kirchners unvoreingenommener Wesensart gedacht werden. Er kam aus Berlin nach Siebenbürgen und Rumänien, er lebte unter den Sachsen und Rumänen und ließ sich von ihrer spezifischen Musikalität inspirieren. Er schrieb Musik für jeden der beiden – recht verschiedenen – Geschmäcker und er scheint ihre Wesensart getroffen zu haben, denn er wurde begeistert von ihnen gefeiert. Er hat bewiesen, dass Musik Völker verbinden kann. Warum sollten wir nicht an die Tradition jener Zeit anknüpfen, die man in Mediasch mit einer gewissen Verklärtheit die „Kirchnerzeit“ nannte? Dann ist der Tag vielleicht nicht mehr fern, wo die drei Fassungen auch nebeneinander in frohem Singen vorgetragen werden. Das nächste „Kirchner-Jahr“ ist 2013 – 85 Jahre nach seinem frühen Tod. Es wäre schön, in Siebenbürgen ein Kirchner-Jahr zu feiern, in dem sächsische und rumänische Chöre ihm gemeinsam die Ehre geben.
Beim Holderstrauch
Der Holderstrauch, der Holderstrauch,
der blüht so schön im Mai,
da sang ein kleines Vögelein
ein Lied von Lieb und Treu.
Beim Holderstrauch, beim Holderstrauch,
wir saßen Hand in Hand.
Wir waren in der Maienzeit
die Glücklichsten im Land.
Beim Holderstrauch, beim Holderstrauch,
da muss geschieden sein.
Komm bald zurück, komm bald zurück,
du Allerliebster mein.
Beim Holderstrauch, beim Holderstrauch,
da weint ein Mägdlein sehr.
Der Vogel schweigt, der Holderstrauch,
der blüht schon lang nicht mehr
Bäm Hontertstreoch
Äm Hontertstreoch, äm Hontertstreoch,
die bläht gorr hiesch äm Moa,
do sång e klinzich Vijeltchen
e Lied vu Läw uch Troa.
Bäm Hontertstreoch, bäm Hontertstreoch
mer såßen Hånd än Hånd,
mir woren än der Moaenzegd
de gläcklichsten äm Lånd.
Bäm Hontertstreoch, bäm Hontertstreoch
un Uëfschīd geng et nea.
„Kamm båld zeräck, kamm båld zeräck,
meng Allerläwster tea.“
Bäm Hontertstreoch, bäm Hontertstreoch,
do sätzt an treorich Med.
Der Viuģel schwecht, der Hontertstreoch,
die huët långhär verbläht.
Sub crengi de soc
Sub crengi de soc, sub crengi de soc,
Cari înfloriră-n mai,
O pasăre cînta cu foc
De-amor si dulce trai.
Sub crengi de soc, sub crengi de soc,
Şezut-am şi-am visat,
Că suntem cei mai cu noroc,
Amanţi în lung şi-n lat.
Sub crengi de soc, sub crengi de soc,
Ne-am despărţit apoi,
Iubitul meu, iubit boboc,
Ah, vino înapoi.
Sub crengi de soc, sub crengi de soc,
O fată plînge-n drum,
Iar paseri nu mai cîntă-n soc,
El s-a uscat acum.
Foto 1: Hermann Kirchner, der Komponist des „Hontertstreoch“, um 1900.
Foto: Archiv W. Römer, Augsburg
Foto 2: Carl Martin Römer, der Dichter des „Hontertstreoch“, um 1900.
Foto: Archiv W. Römer, Augsburg
Foto 3: „Sub crengi de soc“ – Auszug aus der Partitur der rumänischen Fassung von Kirchners „Hontertstreoch“, Astra Bibliothek Hermannstadt.
Foto: Hansotto Drotloff
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