Bedeutung der Regionen in einem zusammenwachsenden Europa
16.12.10
Gespräch mit Dr. Beate Wild, Koordinierung Ostmittel- und Südosteuropa im Staatlichen Museum zu Berlin
Innerhalb weniger Wochen hielt sich Dr. Beate Wild vom Museum Europäischer Kulturen, Staatliche Museen zu Berlin, zum zweiten Mal in Kronstadt auf. Konkreter Anlass war die Eröffnung der Fotoausstellung „Casa mare“ von Frank Gaudlitz im Museum der städtischen Zivilisation am Marktplatz (KR 42/21. Oktober 2010) und, Anfang Dezember, um die Ausstellung abzubauen und nach Belgrad zu überführen.
Nach dem Studium der Romanistik und Europäischer Ethnologie an den Universitäten von Köln, Bonn und Salamanca (Spanien), folgten für Dr. Wild längere Forschungsaufenthalte in Griechenland und Rumänien u.a. zur Sprache der Aromunen. 1982 erfolgte der Studienabschluss (Magister) und 1983 die Promotion, jeweils über Megleno-Rumänen. Von 1992 bis 2004 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Siebenbürgischen Museum Gundelsheim. Anschließend hat sie die Koordinierung Ostmittel- und Südosteuropa am Museum Europäischer Kulturen, Staatliche Museen zu Berlin, übernommen. Dr. Beate Wild war bereit auf unsere folgenden Fragen zu antworten.
Das Museum Europäischer Kulturen besteht seit 1999. Welches sind die Inhalte dieser Institution?
Das Museum Europäischer Kulturen ist aus dem Zusammenschluss des 110 Jahre alten Museums für Volkskunde mit der Europäischen Sammlung des Ethnologischen Museums entstanden. 2004 wurde die Koordinierung Ostmittel- und Südosteuropa eingerichtet und wird direkt vom Kulturstaatsminister finanziert. Sie ist eine eigenständige Abteilung im Kontext des Museums. Die Programme werden unabhängig von der Museumssammlung grenzüberschreitend mit den Kollegen aus unseren Partnerländern entwickelt und durchgeführt. Das bedeutet Forschung, Dokumentation und Verwirklichung von Ausstellungsprojekten.
Die Koordinierung Ostmittel- und Südosteuropa am Museum Europäischer Kulturen (seit August 2004) ist jedoch eine Projektstelle, die nur mittelbar mit dem Museum verknüpft ist. Der projekteigene Etat ermöglicht die Realisierung von Projekten unabhängig vom Museum und den Finanzierungsoptionen der Staatlichen Museen zu Berlin.
Ziel der Projektförderung ist, dem östlichen Europa in der westlichen Wahrnehmung mehr Gewicht zu verleihen, zugleich aber auch grenzüberschreitend Kulturprojekte im östlichen Europa zu unterstützen. Die Koordinierung trägt dazu bei, ein internationales Forum für aktuelle Fragestellungen und ein interdisziplinäres Netzwerk zu schaffen, auch zur Begleitung langfristiger Projekte und Prozesse im östlichen Europa. Schwerpunkte dabei sind Themenbereiche wie Kulturkontakte/Kulturkonflikte in Geschichte und Gegenwart, Transformationsprozesse sowie gesellschaftliche und kulturelle Optionen im interdisziplinären Diskurs.
Konkret, welches sind somit Ihre Aufgabenbereiche?
Dadurch gehören zu meinen Aufgabenbereichen weniger die klassischen Museumsaufgaben „sammeln, bewahren, präsentieren". Vielmehr orientieren sich meine Projekte in erster Linie nicht „dreidimensionalen" Objekten. Im Vordergrund stehen Themen und Aspekte, die anhand von Fotos und/oder Medien und gegebenenfalls einigen wenigen Objekten veranschaulicht werden.
Entscheidend ist, dass ich nicht ÜBER die Länder des südöstlichen Europa arbeite, sondern zusammen MIT den Kollegen dieser Länder Projekte durchführe. Dieser Ansatz ist mir ganz wichtig. Dabei liegt - sprachlich bedingt - ein Schwerpunkt auf Rumänien.
Ich habe aber inzwischen bereits auch 3 Projekte mit ungarischen Partnern durchgeführt, ein Projekt mit/über die Republik Moldau sowie multilaterale Projekte zusammen mit serbischen und kroatischen Partnern. Ein derart multinationales Projekt ist auch „Casa mare" mit Aufnahmen in Serbien, Ungarn, Rumänien und der Republik Moldau.
Unabhängig von diesen Projekten trage ich immer wieder auch mit südosteuropäischen Aspekten zu Ausstellungen und Veranstaltungen des Museums Europäischer Kulturen bei, in semipermanenten Ausstellungen wie „Europa entdecken" und ähnlichen.
Wie schaffen Sie es von Ihrem Standort in Berlin, Nachforschungen in den jeweiligen Ländern, in diesem Fall in Rumänien, vorzunehmen?
Durch die extrem vielseitigen Aufgabenbereiche der Koordinierung ist die Zeit für längere Feldforschungen und Dokumentationen in den Ländern Südosteuropas sehr eingeschränkt. Längere Feldforschungen konnte ich selbst zuletzt 2007 in Istrien durchführen. Die Koordinierung nutzt jedoch die Möglichkeit, Ethnologen, Kulturgeografen, Fotografen u.a. zu bestimmten Themen und Fragestellungen in die verschiedenen Kulturregionen zu entsenden. Das Dokumentationsmaterial wird dann zu Publikationen und Ausstellungen aufbereitet. So geschehen bei „Casa mare“ und bei „Moldovamobil“. Beiden Projekten gingen sehr detaillierte Dokumentationen vor Ort voraus. Auf diese Art ist zum Beispiel auch eine Dokumentation über das siebenbürgisch-sächsische Dorf Malmkrog entstanden, die in den kommenden Jahren publiziert werden wird.
Während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim führte ich jedoch regelmäßig im Sommer Feldforschungen in Siebenbürgen durch. Zusammen mit den Kollegen in Kronstadt erfolgten wissenschaftliche Befragungen in sächsischen, rumänischen und ungarischen Dörfern. Die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen, die sich nach der politischen Wende immer krasser abzeichneten, drängten uns zur Eile, um überhaupt noch bestimmte soziologische und ethnologische Kontexte in Erfahrung zu bringen. Die Resultate dieser Forschungen fanden Eingang in die entsprechenden Ausstellungen und Publikationen.
Welche Rolle spielen dabei Ihre Aufenthalte vor Ort und die Kontaktaufnahme zu Forschern, Institutionen, Menschen jeweiliger Länder?
Da ich bereits während meiner Studienzeit längere Feldforschungen durchführen konnte, sind für mich die Forschungsfahrten und damit der direkte Kontakt zu den Menschen vor Ort auch heute noch von unschätzbarem Wert. Denn wir forschen ja nicht über längst vergangene Welten und Dinge, sondern über Gemeinschaften, über Menschen in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten, über ihr Zusammenleben, ihr geregeltes Nebeneinanderleben, ihre gegenseitige Toleranz, aber auch ihre zeitweiligen Konflikte. Die untersuchte Sachkultur ist ein anschaulicher Spiegel dieser Kulturaustausche, an dem man etliche Details ablesen kann. Diesen komplexen Themenbereichen kann ich mich annähern im Dialog mit diesen Menschen, nicht ausschließlich über die wissenschaftliche Literatur.
Hinzu kommt der wissenschaftliche Austausch mit den Kollegen in den Ländern. Dadurch relativiert sich unser Blick auf die untersuchte Region. Der Perspektivwechsel ist unbedingt notwendig. Europa braucht die Multi-Perspektivität.
Mit den verschiedenen Institutionen in Rumänien, besonders in Siebenbürgen, verbinden mich seit meiner Tätigkeit im Siebenbürgischen Museum Gundelsheim etliche gemeinsame Projekte. Besonders intensiv war und ist der Kontakt zum Kronstädter Ethnographischen Museum, mit dem ich seit 1994 kooperiere. Durch die sehr fundierten wissenschaftlichen Diskurse, die wir seit vielen Jahren pflegen, hat sich eine extrem tragfähige Basis für eine optimale Zusammenarbeit herausgebildet, wobei räumliche Entfernungen wie die Distanz Kronstadt - Berlin keine Rolle mehr spielen.
Die Fotoausstellung von Frank Gaudlitz die als ersten Standort in Kronstadt eröffnet wurde, hat für Aufsehen bei den Museumsbesuchern und in der Fachwelt gesorgt. Weshalb wurde diese zuerst da gezeigt?
Das Projekt Casa mare mit den diversen Aspekten der Multi-Ethnizität in 6 ausgewählten Regionen Südosteuropas (Vojvodina, Schwäbische Türkei, Marmarosch, Siebenbürgen, Dobrudscha und Republik Moldau) passt insofern hervorragend in eine Stadt wie Kronstadt, weil hier das multiethnische Zusammenleben seit Jahrhunderten alltäglich ist. In allen genannten Regionen gestalten die Menschen, trotz aller von außen herangetragenen politisch-nationalistischen Auseinandersetzungen, ihren Alltag mit den Anderen zumeist im gegenseitigen Respekt. Daher sind die Regionen für ein zusammenwachsendes Europa so wichtig, als denkbares Vorbild für ein künftiges Zusammenleben multiethnischer Gesellschaften in einem Europa der Regionen, in dem, so ist zu hoffen, nationale Grenzen zunehmend zweitrangig werden.
Welches ist der nächste Standort der Ausstellung „Casa mare“?
Bevor diese in Kronstadt geschlossen wurde, hatten wir Personen deren Porträts in der Ausstellung zu sehen sind, zu einer Begegnung eingeladen. Eingetroffen ist nur Magda Szöcs aus Tekendorf/Teaca die zusammen mit ihrem Enkel kam und, bis sie von Frank Gaudlitz fotografiert wurde, auch gewisse Zurückhaltung zeigte. Nun war sie selbst überrascht von dem was sie in der Ausstellung zu sehen bekam. Jetzt packen wir fachgerecht die Porträts zusammen, wobei nächstes Ziel Belgrad ist. Der Fahrer des Kronstädter Ethnographiemuseums, Costel Buliga, der auch den Transport von Berlin nach Kronstadt mit dem Kleinbus machte, nimmt auch diesen Transport vor. Als nächste Stationen folgen dann Pecs in Ungarn und Ulm. In jedem Land wird der Ausstellungskatalog in jeweiliger Sprache geboten. Es gibt auch schon den Wunsch, die Ausstellung nachträglich im Rumänischen Kulturinstitut in Berlin zu zeigen.
Vielen Dank für Ihre Ausführungen und die besten Wünsche für Ihre weitere Tätigkeit, sowie zu den bevorstehenden Feiertagen und dem Neuen Jahr.
Dieter Drotleff
Dr. Beate Wild legt auch Hand an, dann wenn es darum geht eine Ausstellung zu eröffnen oder zu schließen, wie hier im Museum der Städtischen Zivilisation in Kronstadt.
Foto: Dieter Drotleff
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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