Burg ohne Hüter
18.08.22
Wie man ein verlassenes Dorf zum neuen Leben erweckt
Kurz bevor Klaus Terfloth, der Botschafter der BRD in Rumänien während der Wendezeit, das Land verließ, unternahm er eine letzte Reise zu den siebenbürgischen Kirchenburgen, die ihm sehr am Herzen lagen. Er traf Burghüter und Kuratoren und gab ihnen folgenden Rat: Wenn an den Kirchendächern Schäden auftreten, dann bessert sie sofort aus. Dann habt ihr die Burgen vorerst gerettet! In Deutschland angekommen, gründete er eine Stiftung, um weiter mit zu helfen. Wenn man seinen Rat befolgt hätte, wäre vieles besser gelaufen in der siebenbürgischen Kirchenburgenlandschaft. Denn die folgende Auswanderungswelle sollte vieles lahm legen!
Zu den sächsischen Kulturgütern, die es am härtesten traf, gehört unbedingt das abgelegene Dörflein Draas im Repser Land. Dieser Ort mit seiner altehrwürdigen Kirchenburg wurde schon im Herbst 1944 von der deutschen Armee fast vollständig evakuiert; um danach von Bewohnern aus dem benachbarten Szeklerland besiedelt zu werden. Der Ort überlebte, doch die einmalige Kirchenburg im Dorfzentrum schien dem Untergang geweiht zu sein. Die leztze sächsische Einwohnerin bewahrt noch einen Schlüssel, um Touristen eines der bedeutendsten romanischen Bauwerke Siebenbürgens vorzuführen. Doch diese verließen den Ort bedrückt und schockiert. Der Ort geriet in Vergessenheit, bewahrt in den Köpfen der Sachsen hat sich bloß die Legende vom Draaser Schwert und sein dramatisches Verschwinden.
In den 70er Jahren trat plötzlich das Bukarester Kulturministerium auf den Plan. Irgend etwas aus ferner Vergangenheit war durchgesickert, man wollte der Sache auf den Grund gehen und plante eine umfangreiche Restaurierung. Damit begann eine der großen Tragödien für Draas. Für wenig Geld übernahm eine dubiöse Firma den Auftrag, ohne jegliche Erfahrung auf diesem Gebiet, die Dorfbewohner begannen als Tagelöhner eine Arbeit, von der sie keine Ahnung hatten. Das Ergebnis war erschreckend. Zwar fand man im weiten Burghof haufenweise menschliche Skelette, die säckeweise nach Bukarest transportiert wurden, dabei fielen eine Burgmauer und ein Wehrturm einfach um. Das Kirchendach wurde notdürftig geflickt, Regen und Wind besorgten den Rest. Es regnete in den Kirchenraum. Zum Glück hatte der Bezirkskirchenkurator K. Wagner die Innenausstattung rechtzeitig gerettet und in Sicherheit gebracht. Aber das Kircheninnere sah trostlos aus, die Wandmalereien waren beschädigt worden, desgleichen Türen und Fenster, der Anblick der einst schmucken Kirche war erschreckend, als gerade das Geld ausging und alle Arbeiten auf Landesebene gestoppt wurden. Das Schicksal dieses einmaligen Bauwerk schien besiegelt.
Zum Glück gab es einen Wagner-Enkelsohn im fernen Deutschland, den das Heimweh immer wieder nach Siebenbürgen zog. Er hatte vieles miterlebt und so scheint sein Plan gereift zu sein. Er gründete vor zwei Jahren einen Verein mit Einheimischen und Rückkehrern und begann die Notsicherung der Draaser Kirchenburg als seine Verpflichtung anzusehen. Ob ihn jemand verstanden hat, ob er andere störte? Es waren mehrere, die das taten. Doch aufhalten konnte man die Truppe nicht, vor allem, nachdem sich die ersten Draaser aus Deutschland gemeldet hatten. Man war nicht mehr allein! Es scheint an der Kirche selbst zu liegen, denn sie strahlt eine besondere Anziehungskraft aus. Jeder, der mitgemacht hat, kann das bestätigen: man fragt nicht viel, sondern macht mit, wo Not am Mann ist. Inzwischen ist die Kirchenburg wieder besuchenswert. Die Firstziegeln am Dach wurden festgemauert, das Kircheninnere gereinigt und gelüfftet, der Burghof entrümpelt und vom Gestrüpp befreit. Und die Kostbarkeiten sind wieder sehenswert: der weiße Stein mit dem Templerkreuz, die Freksenserie mit der Hl. Katharina von Alexandrien und nicht zuletzt der einmalige Tympanon, der nur in Italien Vettern hat. Kein Wunder, dass das Kulturministerium wieder Interesse zeigt. Aber vorbeigekommen ist niemand, sonst hätte es sich nicht getraut, von kaputten Dächern und feuchten Wänden zu sprechen, die längst der Vergangenheit angehören, sondern eher von kaputten Türmen, wo Dringlichkeit herrscht.
Inzwischen hat die Kirche eine gewisse Atmosphäre angenommen, seit mehrere Stuhlreihen vor dem geschmückten Altar stehen, die Wände abgestaubt und der Boden gereinigt wurden. Wichtig ist vor allem, dass hier wieder eine evangelische Gemeinde besteht, mit Mitgliedern von hüben und drüben, unterstützt von einer neuen HOG. Das Echo der ausgewanderten Draaser ist beeindruckend. Viele können kaum darauf warten, nächstens vorbei zu kommen und haben unserer Initiative Unterstützung angeboten. Dadurch hat die Draaser Kirchenburg wieder einen neuen Hüter, der sich um die Notsicherung und das Gemeindeleben in Draas kümmern will und das auch kann. Das hat sich am letzten Sonntag im Juli bestens bewiesen. Während die Hafelandgäste ihr großes Fest in Deutsch-Kreuz feierten, hatte der Draaser Verein zum „Gemeinsamen Erleben“ nach Draas eingeladen. Eine Heidenarbeit war dem Fest vorausgegangen, doch alle 15 Freiwilligen hatten mitgemacht und bis zuletzt klappte alles vorzüglich. Am Ende wurden an die 60 Gäste gezählt. Die Suppe schmeckte vorzüglich, der Kuchen desgleichen. Es gab einen einführenden Gottesdienst in der hellen Kirche und die Gespräche im Freien, mit Gegrilltem und Getränken, dauerten bis spät in die Nacht hinein. Unterkunft gab es im eigenen Gästehaus. Im weiten Kirchenraum war eine gelungene Ausstellung über „Draas von gestern und heute“ zu bewundern. Denn Draas verfügte einst nicht nur über ein bemerkenswertes Keramikzentrum sowie Möbelmalerei, sondern auch schöne Stickereien und Trachten. Der Beitrag der Draaser aus Deutschland war beachtlich und machte die Ausstellung überhaupt erst möglich. In Deutschland gibt es sogar zwei Draaser museale Sammlungen!
Als Ehrengast hätten wir am liebsten den unvergesslichen Botschafter Klaus Terfloth gehabt. Wir hätten ihn gern gefragt, wie man zwei Teile eines Ganzen zusammenfügt, die auseinander gedriftet sind und nur schwer zu einander finden... Er hätte uns vielleicht einen guten Rat gegeben!
Im Namen der Draaser Gemeinde
Christa Richter
Gespräche im Freien. Foto: privat
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