Das Kronstädter Blaue Haus
21.01.10
Aus der Geschichte des neuen evangelischen Stadtpfarramtsitzes, Marktplatz Nr. 17.(I)
Nach fünf Jahren von umfangreichen Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten
stand am Jahresende 2009 das „Blaue Haus" am Marktplatz Nr. 17 - genauer am Obstplatz - in neuer Pracht da und soll künftig die Büroräume des Kronstädter Evangelischen Stadtpfarramtes beherbergen. Die feierliche Einweihung durch Stadtpfarrer Christian Plajer fand am 28. November 2009 statt.
Das Blaue Haus liegt auf der Südseite des Marktplatzes, von der westlichen kurzen Zeile der Blumenzeile zurückgezogen, östlich vom Chor der Schwarzen Kirche. Das Gebäude erstreckt sich von Norden nach Süden, hat seine Stirnseite an der Nordseite, wo eine Toreinfahrt den Zugang zum Hof öffnet, der von den beiden Baukörpern im Osten und Westen umschlossen ist.
Als Nachtrag zu seiner Einweihung wollen wir in seine Geschichte zurückblenden, soweit es auf Grund der erschlossenen schriftlichen Quellen möglich ist.
Das Gebäude am Marktplatz hat seine heutige Form im Wesentlichen im Jahre 1781 erhalten. Damals hatte es die Hausnummer 85. Der Kaufmann Andreas Ziegler erscheint in den Steuerlisten ab 1779/1780 als Eigentümer des vormals Christoph Neidelischen Hauses - des heutigen östlichen Baukörpers - und wollte sein Anwesen erweitern. Dazu erwarb er im Jahre 1780 von der Evangelischen Kirchengemeinde den Platz der alten Stadtapotheke, d.h. den südlichen Teil des westlichen Baukörpers und von der Stadtgemeinde den Platz nördlich davon und baute eine neue Nordfront als Stirnseite.
Am 10. September 1780 wurde von der Kirchengemeinde ein Vertrag aufgesetzt, der folgende Bedingungen enthielt: 1.Es sollte ein ebenerdiges Warenlager errichtet werden, 2. keine Wohnräume, keine Fenster gegen den damals noch als Friedhof benützten Kirchhof, nur Luftlöcher, 3. es sollte keine Schenke da gehalten werden, 4. keine Türe durfte gegen den Friedhof gebrochen werden, 5. kein Schießpulver und keine anderen feuergefährliche Sachen durften dort gehalten werden, 6. niemals sollte dort eine Stallung eingerichtet werden.
Aber Joseph Benkner, der Orator (Vorsitzende) der Kronstädter Hundertmannschaft (Stadtvertretung) erhob Einsprache gegen das Bauvorhaben und erinnerte daran, daß vor bald hundert Jahren - 1689 - der große Brand von der Stadtapotheke auf das Kirchenchor übergegriffen habe. Andreas Ziegler wandte sich daraufhin an den damaligen Gouverneur von Siebenbürgen, den Baron Samuel von Brukenthal, und erwirkte von ihm ein Empfehlungsschreiben an den Kronstädter Magistrat. Nachdem inzwischen festgestellt wurde, daß am Nachbarhaus die Dachhaut zeigte, daß der Vorgängerbau stockhoch war, entschloß sich die Kirchengemeinde, Andreas Ziegler zu gestatten, den westlichen Baukörper auch stockhoch zu errichten. Es wurde ein neuer Kontrakt aufgesetzt. Neue Bedingungen waren, daß keine Feuerstätte, keine Rauchfänge und Schornsteine, keine Schmiede oder Werkstatt eines Handwerkers, der zu seinem Gewerbe Feuer braucht, eingerichtet werden, ebenso keine Werkstatt für einen Handwerker, der Getöse macht.
Im Jahre 1786 bat Andreas Ziegler um die Erlaubnis, an seinem Haus gegen den Kirchhof Fenster machen zu dürfen und ersuchte im gleichen Jahr auch um Aufnahme in die Hundertmannschaft oder Kommunität.
Als Andreas Ziegler im Jahre 1789 starb, wurde das Haus Nr. 85 auf 4000 Gulden geschätzt und unter die Witwe und die Kinder aufgeteilt, wobei die jedem zustehenden Räumlichkeiten genau beschrieben wurden.
Der älteste Sohn Martin Gottlieb Ziegler starb im Jahre 1795, nur 27 Jahre alt.
Im Hause Nr. 85 wohnte schon seit dem Jahre 1788/1789 auch ein armenischer Kaufmann aus Elisabethstadt namens Martin Wasloffsky, der im Jahre 1796 das frühere Haus von Martin Ziegler kaufte. Martin Wasloffsky verkaufte im Jahre 1816 das Haus an die Kaufleute Johann Persianu und Johann Schneider für 10.000 Gulden, und starb im Jahre 1817.
Im Jahre 1826 erwarb der rumänische Großkaufmann Rudolf Orghidan das Haus Nr. 85 und seine Haushälfte wurde damals auf 12.000 Gulden geschätzt. Er bat noch im gleichen Jahr, sechs kleine Fensterchen gegen den Kirchhof vergrößern zu dürfen, wiederholte sein Ansuchen auch im Jahre 1828 und erhielt einen „abschlägigen Bescheid".
Rudolf Orghidan (1797 - 1862) war nicht nur Kaufmann, sondern besaß auch und war Teilhaber bei mehreren Industrieanlagen. Orghidan war einer der Gründer des rumänischen Handelsgremiums (1827) und des „Rumänischen Kasinos" (1835), dessen erster Sitz im gegenüberliegenden Hause des Dr. Johann Plecker Nr. 83 (heute Marktplatz Nr. 18) war, wo sich heute das Evangelische Bezirkskonsistorium sowie das Antiquariat, der Verlag und die Druckerei „Aldus" befinden. Rudolf Orghidan war auch ein eifriger Förderer der rumänischen Kultur. Auf seine Kosten erschien die erste periodische Kronstädter Publikation, die „Foaia Duminecii" ab Januar 1837, noch vor dem „Siebenbürger Wochenblatt", dessen erste Ausgabe im Mai 1837 gedruckt wurde.
Auf Kosten von Orghidan erschienen auch die von Ioan Barac - dem rumänischen Stadtschreiber und Übersetzer - ins Rumänische übersetzten Geschichten von 1001 Nacht in acht Bänden in den Jahren 1836 - 1838 sowie eine zweibändige „Gramatica româneasc² si nem]easc²" (1838 - 1839).
Im „Adressen-Buch der Stadt Kronstadt" für das Jahr 1858 wird seine „protokollierte Firma" folgendermaßen angeführt: „Orgidan Rudolf, Material-, Colonial-, Produkten- und Manufaktenhandlung en gros, Commissions- und Speditionsgeschäft, Apfelmarkt 92.“
Im Jahre 1857 beklagte sich „der städtische Kirchenrath" (das spätere Presbyterium) beim Stadtmagistrat, daß Orghidan anstelle der bisherigen Vierpaßfenster gegen den Kirchhof größere Fenster brechen lassen wolle. Der Magistrat verwies aber das Presbyterum auf den Rechtsweg, weil das k.k. Gericht dafür zuständig sei. Eines dieser Fenster wurde bei den jüngsten Renovierungen freigelegt und bildet nun eine Zierde des Hauses.
Das Haus Nr. 85 hatte seit dem Jahre 1857 die neue Hausnummer Apfelmarkt Nr. 92 erhalten. Als Folge der damaligen Wirtschaftskrise gab Orghidan seine Kronstädter Firma auf und zog sich nach Bukarest zurück, wo er auch eine Handelsfirma besaß.
Das „Eckhaus auf dem Apfelmarkt Nr. 85 (92)" wurde im Jahre 1865 von der Kronstädter Allgemeinen Sparkasse - dem ältesten Geldinstitut unseres Landes (1835) - für 18.000 Gulden angekauft „zur Schaffung eines eigenen Heimes", vorläufig aber der Firma Hesshaimer vermietet, die seit 1843 ihren Sitz im Hause Marktplatz Nr. 18 hatte und hier eine Mehlniederlage einrichete. Bei den jüngsten Renovierungsarbeiten wurde an der Nordseite die Firmeninschrift „Hesshaimer" unter mehreren späteren Farbschichten freigelegt.
In dem im Jahre 1872 angelegten neuen Grundbuch erscheint das Haus mit der topographischen Zahl 5240, als „Steinhaus, Katharinenhof (so hieß eigentlich der westliche Teil des Kirchhofes!), innere Stadt, Nr. 92, 1 Stock, 6 Wohnbestandteile, ebenerdig 2 Gewölbe".
Da der Plan zur Umgestaltung des Hauses in den Sitz der Sparkasse nicht verwirklicht wurde, verkaufte diese das Haus im Jahre 1889 für 11.000 Gulden an die Innerstädtische Evangelische Kirchengemeinde, die seither Besitzerin des Hauses ist.
Im folgenden Jahr 1890 wurde in Kronstadt eine neue Häusernummerierung nach Straßen vorgenommen und das Haus Nr. 92 erhielt die neue Adresse: Marktplatz, Obstzeile
Nr. 20.
In dem vom städtischen Fremdenverkehrsbüro im Jahre 1891 herausgegebenen „Neuen Führer durch Kronstadt und deren Umgebung" wird unter den Restaurationen auch „Zum edlen Ritter, Stadt, Marktplatz 20" angeführt. Diese Restauration kommt jedoch in den Kronstädter Adressenbüchern unter diesem Namen nicht vor und wird auch in den Stadtführern von 1886 und 1898 nicht erwähnt.
Gernot Nussbächer
(Fortsetzung folgt)
Blick vom Honterushof auf das „Blaue Haus“ - der neue Amtssitz der evangelischen Honterusgemeinde.
Foto: Ralf Sudrigian
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