Das Kronstädter Blaue Haus
28.01.10
Aus der Geschichte des neuen evangelischen Stadtpfarramtsitzes, Marktplatz Nr. 17. (II)
Aus der späteren Geschichte des Hauses sei nur erwähnt, daß das Haus um das Jahr 1938 seine jetzige Hausnummer 17 erhielt und im Jahre 1950 vom städtischen Vermietungsamt der „Cooperativa 21 Decembrie" zwangsweise zugewiesen wurde.
Das Gebäude enthielt damals zwei Geschäftslokale, zwei Zimmer, 17 Lagerräume und Nebenräume. Die Konsumgenossenschaft „21. Dezember" gestaltete das Haus zu ihrem Sitz um und führte größere bauliche Änderungen durch unter anderem auch eine Betondecke zwischen Erdgeschoß und Obergeschoß, ebenso wurde damals die Erdgasheizung eingeführt
Später wirkten verschiedene Mieterfirmen in dem Haus, u.a. eine Schofförschule, eine Abteilung des Telefondienstes, ein tierärztliches Kabinett, ein Geschäft für Touristenausrüstungen und im Stockwerk die Rechnerfirma ICCO. In den Jahren 2000 - 2007 befand sich hier auch das Aldus-Antiquariat.
Zum Schluß möchten wir noch einige Angaben über die Vorgänger des 1781 errichteten Hauses machen.
Wie wir eingangs erwähnten, gehörte der östliche Flügel vor 1779 Christoph Neidel (1688 - 1742). Dieser hatte in Jena und Halle studiert, war dann nach Hause zurückgekehrt und seit 1716 in der Stadtverwaltung tätig, seit 1725 Ratsherr und seit 1736 in fünf Jahren Stadthann, also der zweithöchste städtische Beamte. Nach seinem Tod im Jahre 1742 wurde das „Haus bei den Kirchen-Schranken" auf 1000 Gulden geschätzt. Im Jahre 1765 wird seine Witwe Margaretha als Eigentümerin des Hauses „zwischen der verwüsteten Stadt Apotheke" als oberem und Johann Hiemesch Haus (heute Marktplatz Nr. 16) als unterem Nachbar erwähnt. Im städtischen Grundbuch wird weiter vermerkt, daß das Haus vom vorherigen Eigentümer Samuel Neidel für 3000 Gulden an den Kaufmann Andreas Ziegler verkauft wurde.
Das Neidelische Haus war über ein Jahrhundert lang Eigentum der Familie Neidel. Im städtischen Grundbuch steht zu lesen „1673 März 16 wird des Paul Neydels Haus bei der Apotheken gelegen auf dem Mark(t) aestimirt (=geschätzt) pro fl. 1400 (=Gulden)“.
Paulus Neidel (1650 - 1719) war Zinngießer, wurde 1671 Meister und heiratete im gleichen Jahr eine Tochter des Stadtpfarrers Martin Harnung. Im Jahre 1673 heiratete er zum zweiten Mal eine Tochter des Stadtrichters Simon Drauth. Das erste Kind aus dieser Ehe war Paulus Neidel (1674 - 1735) der von 1713 - 1735 Stadtpfarrer wurde, das dritte Kind war der schon schon erwähnte Stadthann Christoph Neidel.
Der westliche Baukörper des heutigen Hauses Marktplatz Nr. 17 steht zum Teil an der Stelle der alten Stadtapotheke, die sich ehemals im südlichen Teil befand. Die Stadtapotheke wird zuerst im Jahre 1512 in den Kronstädter Stadtrechnungen erwähnt, als für sie Medikamente im Werte von 200 Gulden in Ofen (heute Budapest) gekauft wurden. Die große Summe, die dem Wert eines kleinen Hauses entsprach, läßt vermuten, daß es sich dabei um eine Erstinvestition handelt und nicht um eine Nachschublieferung.
Die Stadtrechnungen verzeichnen weiter laufende Ausgaben für die Stadtapotheke und besonders im Jahre 1635 wurden größere Reparaturen durchgeführt. Dabei wird erwähnt, daß die Apotheke zwei Türen hatte, eine gegen das Rathaus und eine gegen den Kirchhof, ebenso gab es Fenster gegen das Rathaus und gegen den Kirchhof. Beim Großen Brand vom 21. April 1689 wurde auch die Stadtapotheke ein Opfer der Flammen und nachher als solche nicht mehr aufgebaut, da der Arzt, Dr. Lukas Seulen (1661 – 1735), eine erste private Apotheke errichtete, der später noch andere folgten. Der Kronstädter Lokalhistoriker Thomas Tartler erwähnt 1741 die „wüste Apotheke" und im städtischen Grundbuch heißt es zum Jahre 1745: „wird das StadtApotheker Haus gelegen aufm Markt gegenüber der Stadtwaage aestimiert (=geschätzt) auf 400 fl. (=Gulden)", das ist wahrhaftig ein geringer Preis im Verhältnis zum Neidelischen Nachbarhaus, das 1742 auf 1400 Gulden geschätzt wurde. (Die Stadtwaage befand sich in der ehemaligen Laurentiuskapelle, etwa vor der Südfront des heutigen Hauses Marktplatz Nr. 18 und hatte die Hausnummer 84 bis zur Abtragung um das Jahr 1800).
Im Jahre 1765 ist im Grundbuch von „der verwüsteten Stadtapotheke" die Rede.
Als im Jahre 1780 Andreas Ziegler den Platz der alten Stadtapotheke von der Kirchengemeinde erwerben wollte, bestand noch der Plan, daß dort ein oberer Stock aufgebaut werden sollte als Wohnung für den jüngeren Glöckner - der auch Lehrer war - und als Schulzimmer für seine Schüler. Dieser Plan wurde dann aber nicht verwirklicht;
möglicherweise aber wurde dafür das im Jahre 1780 errichtete Haus am Kirchhof Nr. 4 gebaut.
Somit ist die Aussage der überlieferten schriftlichen Quellen über das heutige „Blaue Haus" eindeutig und klar, daß die alte Stadtapotheke an der Stelle des westlichen Baukörpers des heutigen Gebäudes Marktplatz Nr. 17 stand.
Zwei verdienstvolle Kronstädter Lokalhistoriker haben jedoch vor einigen Jahrzehnten in der Fachliteratur die Meinung eingebürgert, daß die alte Kronstädter Stadtapotheke sich im Eckhaus Marktplatz Nr. 16 befunden habe. Es sind dies der frühere Stadtingenieur Gustav Treiber (1880 - 1973) und der Kardiologe und Medizinhistoriker Dr. Arnold Huttmann (1912 - 1997), die beide zu meinen großen Förderer in meiner Jugendzeit gehören. Als im Jahre 1948 die privaten Geschäfte auf der kurzen Zeile der Blumenzeile verstaatlicht wurden, wurden sie zu einem einzigen staatlichen Geschäft auch baulich vereinigt.
Bei den Arbeiten wurden im westlichen Raum Wandmalereien freigelegt und in Unkenntnis eines Teils der archivalischen Quellen wurde schlußfolgert, daß in diesem Raum die Stadtapotheke war, weil es auch hier Türen und Fenster gab, sowohl gegen das Rathaus auf der Nordseite als auch gegen die Kirche auf der Westseite. Zuerst wurde diese Behauptung in der Arbeit von G. Barbu und A. Huttmann über „Die Anfänge der Stadtapotheke von Kronstadt" (1962) veröffentlicht, später erschien die Arbeit von Gustav Treiber „Die älteste Stadtapotheke von Kronstadt" im „Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender“, Jahrbuch 1965. Auf Grund dieser beiden Arbeiten wurde seither das Haus Marktplatz Nr. 16 als älteste Stadtapotheke bezeichnet, bis die Erschließung der Eintragungen in dem städtischen Grundbuch diese Behauptung widerlegten. Die neuen Erkenntnisse sind aber noch nicht zum allgemeinen Bewußtsein gelangt und so wäre es nötig, durch eine aufklärende Inschrift auf den wahren Standort der alten Stadtapotheke hinzuweisen.
Gernot Nussbächer
(Schluss)
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