Das letzte Honterusfest in kommunistischer Zeit
02.07.20
Persönliche Erinnerungen aufgefrischt nach dem Beitrag von Wolfgang Wittstock in der KR Nr.22/5. Juni 2020
Das letzte Honterusfest fand in Kronstadt (damals Stalinstadt) etwa zwischen 15.-20. Juni 1959 auf der Kleinen Hangesteinwiese statt. Es war an einem Sonntag. Wenn man jetzt den Sonntag aus oder um diese Periode ermittelt, so kann auch der Tag an dem es stattgefunden hatte, festgelegt werden. (Wolfgang Wittstock hat den 14. und 21. Juni als Sonntage errechnet – ich tendiere zum 21. Juni 1959, kann mich aber nicht eindeutig festlegen)
Noch hat mich mein Gedächtnis nicht verlassen und zu meiner Aussage stehe ich.
Als im Jubiläumsjahr Gerald Volkmer die Quellenrede in Pfaffenhofen gehalten hatte, endete er auch mit 1958. Gleich danach habe ich versucht ihm und auch Ortwin Götz zu erklären, dass es 1959 und ich dabei war. Ich merkte, dass sie nicht ganz überzeugt waren, begründend mit dem Argument, dass es 1959 nach dem Schwarze-Kirche-Prozess war und an ein solches Fest nicht zu denken gewesen wäre. Dasselbe Argument führte auch Dieter (Didi) Drotleff nachher in Kronstadt an. In Sachen Schwarze-Kirche-Prozess bin ich gut dokumentiert. (Siehe: Karl-Heinz Brenndörfer/Thomas Sindilariu: Der Schwarze-Kirche-Prozess 1957/58. Erlebnisberichte und Dokumentation. Aldus Verlag Kronstadt 2011) Der Prozess selbst fand Ende November 1958 statt und von allem ist die sächsische Öffentlichkeit total ausgeschlossen geblieben. Man wusste etwas wage von Verhaftungen des Stadtpfarrers und einiger Jugendlicher und das von der Securitate gestreute Gerücht über die Edelsachsen. Bekanntlich wurde beim Prozess für neun die Todesstrafe gefordert, die Urteilsverkündung aber fand am 1. Weihnachtstag 1958 im Gefängnis in Zeiden statt. Die Freude war groß, als alle geforderten Todesstrafen in Urteile auf lebenslang umgewandelt worden waren.
Im September 1958 bin ich von Heldsdorf in die VIII. Klasse der Mittelschule Nr. 2 Stalinstadt gekommen und habe im Internat gewohnt, das damals im 1. OG des C-Gebäudes untergebracht war. Die Kantine war rechts im Hof, glaube in einem Nebengebäude. Über uns waren Klassenräume, die nachmittags und abends von den Internatleren als Lernsäle genutzt wurden. Unser „Genosse Erzieher“ war Hans Unberath, der in einem Zimmer in WG mit Prof. Schuller wohnte. Als 1944 geboren war ich Jahrgangskollege (A-Klasse im Kapitelszimmer) mit den aufgeführten Zeitzeugen Gundel Morres (B-Klasse) und Wille Schreiber (C-Klasse). Im Bild rechts in der KR habe ich eine ganze Reihe ehemaliger Kolleginnen erkannt und im unteren Bild Detlef Hermannstädter und noch einige deren Namen mir entfallen. Detlef ist aber 1946 geboren d.h. zu dem Zeitpunkt noch nicht im Gymnasium, vermutlich in der 4-er Schule. Logische Schlussfolgerung ist, dass die Klasse von Prof. Philippi aus einer anderen Schule auch an der Gestaltung des Programmes mitgewirkt hat.
Als Internatler wurden wir zu allen möglichen Arbeiten herangezogen, da wir immer greifbar waren. So auch für das Honterusfest mussten wir die Getränke verladen, die von der Kantine gestellt wurden und nachher das Leergut zurück bringen, dafür durften wir aber mitfahren. Zum Fest selbst: es gab keinen Aufmarsch, keine Quellenrede dafür aber Schauturnen und das Fußballspiel IX. Klasse – Lehrer, das glaube ich 5:1 für die Schüler endete. Die IX. Klasse war der Jahrgang 1943 mit Johannes Kravatzky, Bernd Eichhorn, Norbert Sasko, Klaus Wegendt usw. Bei den Lehrern stand Werner Adleff im Tor und Erwin Toth spielte auch mit. Toth benutzte oft den Ausdruck „jugendlicher Schwung“ und so schrien wir Zuschauer „wo bleibt der jugendliche Schwung“. Eine Blaskapelle spielte zum Tanz auf, zu dem wir Jünglinge uns nur zögerlich auf den Rasen trauten. Ob es auch mici gab weiß ich nicht mehr aber Gebäck und bemalte Kuchenherzen allenfalls. Hannes Kravatzky hat ein Foto von der dort spielenden Blaskapelle und wollte anhand der Bläser herausfinden wann es war. Glaube nicht, dass es ihm gelungen ist. Neben den Schülern, dem ganzen Lehrkörper waren auch einige Eltern dabei.
Auf die XI. Klasse (1941 auch D. Drotleff) kann ich mich nicht erinnern ob welche dabei waren, denn die waren im Prüfungsstress, da gleich nach dem Honterusfest die Matura beginnen sollte. Das ganze Fest hatte mich persönlich sehr beeindruckt und hat sich vermutlich deshalb so eingeprägt und mein Interesse geweckt. Damals kreiste das Gerücht, dass Otto Liebhart einmal in einer Audienz beim damaligen Primsecretar al Comitetului PMR Regional Stalin Maxim Bergheanu (lt. Wittstock von 2.06.1955 bis 1958 im Amt) nur nebenbei das Gespräch auf Schulfeste gebracht habe und dieser einfach gesagt „na macht doch“ und Liebhart hat gemacht, ohne jegliche schriftliche Genehmigung. Nach meinem Wissen hat es nur drei Nachkriegsfeste gegeben. Das wäre dann in den Jahren 1957, 1958 und 1959. Wenn nun das erste Nachkriegsfest im Jahre 1955 angenommen wird, ist es aus meiner Sicht nicht glaubhaft. Damals war das Liceul Mixt German im ?aguna untergebracht und dass die sich absondern um Honterusfest zu organisieren ist schwer denkbar.
Den Direktorenwechsel im Frühjahr 1959 haben wir als VIII. A Klasse wie folgt erlebt: Otto Liebhardt hatte uns Deutsch und Erwin Toth Naturkunde unterrichtet. Als Liebhart Direktor war kam er immer zu spät in die Stunde. Nach dem Wechsel kam dann Toth zu spät, der mit dem Stoff so wieso nie fertig wurde.
Noch einige Kollateral-Infos:
Warum musste Otto Liebhardt den Direktorposten räumen? Im Februar 1958 bei einer Faschingsfeier in der Schule hatten Fritz Müller, Uta Stotz (Rosenau) und Uta Bugel einen flotten Rock `nd Roll aufs Parkett gelegt. Noch am selben Tag waren beim Inspektorat Fotos aufgetaucht, auf denen man einem der Mädchen ein weißes Höschen sehen konnte. Die drei wurden exmatrikuliert, durften aber an der Abendschule weiter machen und Liebhardt musste den Posten räumen aber erst nach einem Jahr. Da erst nach einem Jahr könnten auch andere Gründe dazu beigetragen haben. Die Rock-Geschichte hatte damals viel Wirbel in Kronstadt hervorgerufen. Darüber wollte ich einmal einen Bericht schreiben, hatte sehr detaillierte Infos von Rolf Haleksy, der damals UTM-Sekretär der Schule war. Ein Lehrer wurde als Zuträger vermutet. Mit Fritz Müller war ich zeitweilig Kollege in der Rulmentul und er erzählte mir, dass er mit einem Ex-Securisten in einem anderen Betrieb Kollege war und der ihm gebeichtet hätte, wer der IM gewesen sei ohne aber den Namen zu nennen. Fritz Müller ist im Mai 2020 bei Pforzheim gestorben.
Im Internat herrschte eiserne Disziplin, abends mussten die Schuhe geputzt unter den Stuhl vorm Bett gestellt und darauf die Kleider schön gefaltet. Mein Bettnachbar Bernd Kolf wurde in einer Nacht vier Mal geweckt, um seine Schuhe in Ordnung zu bringen. Wir hatten aber auch spitz gekriegt, wenn unser Päda im Sakko und Krawatte Ausgang hatte, es nicht lange dauerte bis Bettina auftauchte. (Es bahnte sich die Beziehung Schuller-Bettina Toma an!) Als Internatler mussten wir Küchendienst leisten und waren vom Unterricht befreit. Unsere Hauptaufgabe war, die von der Oberköchin Frau Schenker aufgestellte Liste der Alimente korrekt zu übernehmen. Die Magazineurin Frau Hermannstädter hatte bei allen Sorten Dauerminus und konnte deshalb von überall nur weniger ausgeben. Ihr Gejammer ist mir nach über 60 Jahren noch immer gegenwärtig. Der Einkäufer der Kantine war ein Domokos, der am Ende im Zimmer der Elfklässler übernachtete. Die Zimmer waren System Eisenbahn und der Waschraum war am anderen Ende. Er stand früher auf und weckte uns regelmäßig auf, indem er mit Holzpantoffeln durch alle Zimmer in Waschraum schlürfte. Nach einigen Jahren hatte ich ihn in der Stadt getroffen und stolz kam er mit den Worten auf mich zu: „Bin ich jetzt auch wie Latzina.“ Latzina war der Verwalter der Kantine.
Im Jahre 1958 wurde das Gefängnis nach Zeiden verlegt. Die Eisenbetten von dort hatte das Internat zur Ausstattung bekommen aber ohne Matratzen. So mussten wir Dörfler im September 1958 mit gefülltem Strohsack anfahren. Nach dem Honterusfest sollten die Sommerferien beginnen und wir mussten ja unsere Strohsäcke entfernen. Niemand wollte mit vollem Strohsack abreisen und so hatten wir sie in der Mitte des Hofes von C-Gebäude entleert und das Stroh angezündet. Als wir uns am Feuer erfreuten kam ein IFA-Laster, der kaum durch die Durchfahrt konnte und wir mussten helfen die ganze Küchenausstattung verladen, denn es ging samt Köchinnen nach Costinesti, wo die Honterianer damals in vier Serien Urlaub am Meer verbringen konnten.
Karl-Heinz Brenndörfer, Stuttgart
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