„Das Wichtigste ist die Freude am Beruf!“
10.02.11
Besuch in einer vorbildlichen Arztpraxis
Nein, es ist kein Kindergarten, es ist eine Arztpraxis auf dem Lande in Rumänien! Kein Wunder, dass hier die Kleinen gerne zu ihrer Hausärztin kommen, denn im Raum für pädiatrische Behandlung sind mehr Plüschtiere, Puppen, Spielsachen und Bonbons angehäuft als in vielen Kindergärten hierzulande. Die Arztpraxis in Bodendorf/Bunesti, Kreis Kronstadt, verfügt zudem über einen gemütlichen Wartesaal mit zahlreichen Infoposters, dekoriert mit Aquarien und Blumen, über komplett ausgestattete Untersuchungs- und Behandlungsräume für Erwachsene, Lagerraum für Impfstoffe und Medikamente und Archiv/Sekretariat. Ein zusätzlicher Therapieraum und eine Apotheke sollen in Kürze eröffnet werden.
Ana Sestacova, die Ärztin, die seit dem 14. Februar 2009 hier arbeitet, stammt aus Russland und hat in Klausenburg Allgemeinmedizin studiert. Nach ihrem Abschluss, noch während der Praktikumszeit, studierte sie zusätzlich an der Hochschule für Gesundheits- und Krankenpflege. Sie hatte sich schon immer eine Arztstelle auf dem Lande gewünscht. Es fiel ihr nicht schwer, sich für Bodendorf zu entscheiden, trotz der hiesigen kritischen Zustände – sogar die Angestellten des Kronstädter Gesundheitsamtes staunten über ihre Wahl. Die junge Ärztin übernahm Ende 2008 ein Gebäude in dem seit drei Jahren kein Arzt mehr gearbeitet hatte. Es gelang ihr, mit der Unterstützung ihres Mannes, Edmond Hermel, in wenigen Monaten die Praxis sanieren und neu ausstatten zu lassen: „Ich habe hier alles eingerichtet, wie ich es als Patientin haben möchte, wenn ich zum Arzt gehe“, sagt Ana Sestacova. „Vor allem für die chronisch Kranken aus der Gegend ist es lebenswichtig, eine gute Arztpraxis vor Ort zu haben, denn die wenigsten können es sich leisten, ihre Medikamente zu kaufen, geschweige denn nach Reps oder Kronstadt ins Krankenhaus oder zum Facharzt zu fahren.“ Anfangs kamen täglich bis zu 70-80 Leute zu Dr. Sestacova. Heute ist sie für insgesamt 1900 Patienten in Bodendorf und den dazugehörenden Dörfern Deutsch-Kreuz/Crit, Deutsch-Weißkirch/Viscri, Radeln/Roades und Meschendorf/Mesendorf zuständig. Ihr Team besteht aus einer Krankenpflegerin auf Teilzeit und einem auszubildenden Krankenpfleger, ihrem Mann als Verwalter der Praxis und einer Buchhalterin. Sowohl für den Start vor zwei Jahren, als auch danach, kam regelmäßige Unterstützung in Form von Sachspenden (Medikamente, Möbel, technische Ausstattung) von ausländischen Hilfsvereinen sowie von einheimischen Medizinunternehmen.
Dass in die Entwicklung der Bodendorfer Praxis viel Energie investiert wird, zeigen die bemerkenswerten Ergebnisse: in den vergangenen Monaten ist die Anzahl der Notfälle, die aus dieser Gegend ins Krankenhaus Reps gelangen, stark geschrumpft. Viele akuten Fälle können vor Ort behandelt werden, noch wichtiger ist aber für die Hausärztin die Vorbeugung, „eigentlich der Sinn der Allgemeinmedizin“. Sie legt großen Wert darauf, ihre Patienten im Sinne eines gesünderen Lebensstils zu „erziehen“. Keine einfache Aufgabe, denn die meisten kommen aus sehr bedürftigen Verhältnissen.
„Es ist kein Wunder, dass viele Ärzte aus Rumänien im Ausland arbeiten – dort sind die Entlohnung und die Bedingungen unvergleichbar besser und man ist für viel weniger Patienten als die hiesigen 2000-2200 zuständig, was die Qualität der Arbeit erhöht“, sagt Dr. Sestacova. „Ich hatte Glück mit einer sehr guten Ausbildung in Klausenburg, mit Professoren, von denen ich enorm viel lernen konnte, mit Menschen, die mich unterstützt haben, mit meinem Mann, der die Verwaltung der Praxis übernommen hat, sodass ich in Ruhe arbeiten kann.“
Seit etwas mehr als einem Monat arbeitet die Ärztin donnerstags abwechselnd in den Dörfern, die zu Bodendorf gehören. Mit Unterstützung auch seitens des Bürgermeisteramtes ist es gelungen, in den vier Ortschaften je eine ärztliche Nebenstelle zu eröffnen. Regelmäßig besuchen Fachärzte aus Kronstadt die Patienten in der Bodendorfer Praxis, für die Untersuchungen werden in Zusammenarbeit mit Sponsoren Ermäßigungen angeboten. In den Registern herrscht „deutsche Ordnung“, im Wartesaal bildet sich keine Schlange, denn die Termine werden per Telefon ausgemacht. Sicherlich ist es nicht einfach, das alles zu finanzieren – die Einnahmen werden stets in die Entwicklung des Hauses investiert. Zu den guten Ideen, die zurzeit umgesetzt werden, gehören ein Gymnastiksaal, Erziehungsprogramme an Schulen und ein eigener Krankenwagen. Ein Erfolgsrezept? „Das allerwichtigste ist für mich die Freude am Beruf. Deshalb bin ich geblieben, deshalb ist für mich nicht das Geld an erster Stelle“, sagt die Ärztin. „Ich freue mich viel mehr, wenn ein Patient wieder gesund wird und bleibt!“
Christine Chiriac
Dr. Ana Sestacova im „Kinderraum“
Foto: die Verfasserin
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