Den Blick gen Osten gewandt
16.06.11
Evangelische Presbyter zu Besuch bei Glaubensgeschwistern in der Ukraine und in Russland /Von Pfr. Uwe Seidner, Wolkendorf
Vom 29. April zum 12. Mai besuchten Vertreter der Gemeinden Wolkendorf, Neustadt und Weidenbach die Schwesterkirche im Osten. Angepeilt waren die Gemeinden in Odessa, Makeewka, Charkow, Moskau und Kiew.
Seit vielen Jahren ist der Blick unserer klein gewordenen evangelischen Kirche in Rumänien westlich ausgerichtet. Nach der Wende wurde unsere Kirche in ihrem Bestand bedroht, bedingt durch die schroffe Abwanderung unserer Kirchenkinder nach Deutschland. Unsere Kirche wurde während dieser Zeit von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nicht im Stich gelassen, sie wurde bestärkt und aufgebaut durch anhaltende Zuwendungen. Nun sind zwanzig Jahre seit der Wende vergangen und unsere Lage hat sich gebessert. Die finsteren Voraussagen sind nicht eingetroffen. Ein Beweis dafür, dass Kirche nicht stirbt und das Wort Jesus Christi lebendig bleibt. Auch merkten wir in den letzten Jahren, dass es evangelische Christen gibt, die noch weiter östlich ansässig sind. Seit einigen Jahren bemühen sich Vertreter unserer klein gewordenen Kirche, den Blick nach Osten zu richten, um Tuchfühlung und Beziehung zu der Schwesterkirche im Osten aufzunehmen. Unsere diesjährige „Ostbegegnung“ hat ihren Anfang vor fast zehn Jahren in Heltau genommen.
Diesmal sollten wir die Lage der evangelisch-lutherischen Gemeinden im Osten besser kennenlernen und über mögliche Unterstützungsformen nachdenken. Den Vertretern von Wolkendorf, Neustadt und Weidenbach war es wichtig, mit den Glaubensgeschwistern im Osten ins Gespräch zu kommen und Erfahrungen auszutauschen. Obwohl beide Seiten eine „rote Vergangenheit“ hinter sich haben, war die Voraussetzung für kirchliche Entfaltung doch eine andere. In Rumänien war immerhin ein Weiterbestehen von Kirche und deutscher Minderheit geduldet, zum Teil sogar gefördert. In der ehemaligen Sowjetunion war das nicht der Fall. Das dauerte bis zur Perestroika. In den neunziger Jahren gab es dann wieder ein Aufbäumen. Es haben sich wieder Christen gefunden, die sich zum evangelischen Glauben bekannten. Und, wie der Phönix aus der Asche, erhob sich eine kleine evangelische Hausgemeinde im Osten und richtete sich wieder auf. Die Anfangsjahre waren schwierig und wechselreich, da auch im Osten ein großer Auswanderungsdrang einsetzte. Nun, so wie auch bei uns, hat sich die Lage inzwischen etwas beruhigt, die Auswanderung nach Deutschland hat nachgelassen und die kirchlichen Amtsträger bemühen sich um Aufbau, Beständigkeit und Ausdauer.
Mit diesen Amtsträgern suchten wir nun das Gespräch.
Ein weiteres wichtiges Anliegen unserer Abordnung, war ein Besuch des Donezk-Beckens. Dieser Besuch sollte der Aufarbeitung unserer Vergangenheit im Bezug auf die Nachkriegszeit dienen. Auch heute noch erinnern sich viele unserer Landsleute an die Verschleppung im Januar 1945. Jeder der Reiseteilnehmer hatte Eltern oder Großeltern, die im Donezk-Becken unter schwersten Bedingungen bis zu fünf Jahren haben arbeiten müssen. Manche der Verschleppten sind nicht wieder heimgekehrt, sie liegen in fremder Erde begraben. Dieses Schicksal traf die Väter einiger Reiseteilnehmer. Während des Kommunismus wurden diese Ereignisse jahrzehntelang verschwiegen. Über den Gräbern in der Region Donezk wollten wir der Opfer dieser Zeit gedenken, freilich im Zeichen der Versöhnung und der Völkerverständigung.
Unser erstes Reiseziel war Odessa am Schwarzen Meer. Auf unserer Fahrt hielten wir in Baschtanowka und S²rata, in Bessarabien. Aus Baschtanowka stammte ein Gemeindeglied aus Weidenbach, Herr Paiuc. Er ist in den Kriegswirren, als junger Mensch gemeinsam mit seinen Eltern vor dem Heranrücken der Roten Armee nach Rumänien geflohen. Auch heute noch wird in diesem Ort rumänisch gesprochen. In Sarata besuchten wir die ehemalige evangelische Kirche, heute von Baptisten benützt. Im Gemeindehaus konnten wir uns anhand einer Ausstellung ein Bild machen über den Wegzug der deutschen Bevölkerung im Jahr 1940 aus Bessarabien: „Heim ins Reich“.
In Odessa durften wir im Haus der Sankt-Pauls-Kirche, dem Sitz des Bischofs, nächtigen. Wir trafen Bischof Uland Spahlinger. Er ist von der Bayrischen Landeskirche für den Dienst in der Deutsch-Evangelischen Kirche der Ukraine entsandt worden. Bischof Spahlinger erzählte uns von den Herausforderungen, vor denen die Evangelische Kirche in der Ukraine steht. Die Kirche zählt heute ungefähr 3000 Mitglieder in über 30 Gemeinden. Zu den Herausforderungen zählen die unterschiedliche Herkunft und das unterschiedliche Frömmigkeitsprofil. Da gilt es, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die junge Kirche hatte nicht die Möglichkeit auf althergebrachte Traditionen zurückzugreifen. Neuausrichtung kann Schwierigkeiten mit sich bringen, im äußersten Fall kommt es zu Spaltungen.
In der Umgebung von Odessa besuchten wir auch ehemalige deutsche Gemeinden des Großliebentaler Gebietes. In den Kriegsjahren diente eine Reihe von Pfarrern aus Siebenbürgen in diesen Gemeinden. Es galt, die Gemeinden, nachdem über ein Jahrzehnt christlicher Glaube untersagt war, im christlichen Glauben wiederzubeleben. In Peterstal/Petrodolina trafen wir Pastor Alexander Gross. Hier steht die einzige evangelische Kirche, die nach der Wende erbaut wurde. Sie sollte eigentlich den Rücksiedlern aus Kasachstan und Kirgisien dienen. Diese sind aber weiter nach Deutschland gegangen. Heute ist hier das Jugendbegegnungszentrum „Gloria“ untergebracht. Pastor Gross bemüht sich sehr, die Jugend zu missionieren und ihnen die Werte des Evangeliums nahezubringen. Wir waren sehr beeindruckt, wie er es schafft, mit so wenig Mitteln so Vieles in Bewegung zu setzen.
Ein Lichtblick der Gemeinde in Odessa ist die Wiedereinweihung der Sankt Paulskirche, nachdem sie gründlich saniert wurde. Lange Jahre stand das Gebäude mitten in der Stadt als Ruine. In den siebziger Jahren wurde dieses schöne neugotische Bauwerk durch Brandstiftung zerstört. Nur durch die kräftige Unterstützung der bayrischen Landeskirche konnte es vor dem Verfall gerettet werden. Bischof Spahlinger erzählte, dass die Kirche früher wie ein Leuchtturm stand, weil sie am höchsten Punkt erbaut worden ist, und vom offenen Meer von jedem Schiff zu sehen war. Heute ist die „Kircha“, wie die Odessiten sie nennen, wieder zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden, auf das alle Bewohner der Stadt stolz sein können. Am 1. Mai, feierten wir in dieser Kirche den Sonntag Quasimodogeniti mit Heiligem Abendmahl. Ich durfte die Predigt halten. Dieser Tag ist für die Russisch-Orthodoxe Kirche der Totensonntag. Die orthodoxen Gläubigen verbringen diesen Tag auf dem Friedhof. An den Gräbern der Heimgegangen wird gegessen und getrunken. Jetzt wussten auch wir, wozu die Tische und Sitzbänke an den Grabsteinen dienten.
(Schluss folgt)
Nach dem Gottesdienst in Odessa, in der Mitte Bischof Uland Spahlinger.
Foto: Günther Bruss
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
13.06.25
Die Konferenzreihe ArhiDebate in Kronstadt
[mehr...]
13.06.25
Kronstädter Musikerinnen (XIII): Klavierlehrerin Adele Honigberger (1887-1970)
[mehr...]