Den Blick gen Osten gewandt
23.06.11
Evangelische Presbyter zu Besuch bei Glaubensgeschwistern in der Ukraine und in Russland (II) / Von Pfr. Uwe Seidner, Wolkendorf
Unsere Reise führte uns weiter ins Donezk-Becken. Wir erinnerten uns an die Zwangsverschleppung. Gemeinsam mit Nikolai Schischkin aus der evangelischen Gemeinde Makeevka suchten wir die Stätten der ehemaligen Deportationslager auf. In Jenakiewo, bei einem Gedenkstein hielt Altdechant Klaus Daniel eine Gedenkfeier für die Opfer der Verschleppung. Gräber haben wir keine finden können. Nach 66 Jahren war das wohl auch zu erwarten. Nikolai Schischkin will sich auch weiterhin bemühen, Erkundungen zu diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte einzuholen. In Charkow, der ehemaligen Hauptstadt der Ukraine, - 1934 wurde die Hauptstadt nach Kiew verlegt-, besuchten wir das ehemaligen Gemeindezentrum. Es steht auch erst seit einigen Jahren. Die ehemalige neugotische Kirche im Stadtzentrum wurde von den Kommunisten in die Luft gesprengt. Unsere Landeskirche hat sich, als dieses Zentrum erbaut wurde, auch bemüht, dieses Unterfangen zu unterstützen, indem eine landeskirchliche Kollekte eingesammelt wurde. Wir trafen hier Pastor Schmechel aus Brasilien und Maryna Los, eine Mitarbeiterin der Gemeinde. Die Eltern von Pastor Schmechel stammten aus Wolhynien, Westukraine. Über die bayrische Landeskirche gelangte er in den Dienst der Gemeinde Charkow. Für ihn eine willkommene Gelegenheit die Heimat der Urahnen kennenzulernen. Charkow ist heute eine sehr lebendige und gut funktionierende Gemeinde.
Aus der ukrainischen Steppe kamen wir nun in die endlosen Birkenwälder Russlands. Auf der Fahrt erinnerte uns so manches Denkmal an vergangene Zeiten. Als wir schließlich mit unserem Kleinbus in Moskau einfuhren, verstanden wir, was der Russe mit „balschoi“ meint. Mitten im Nichts taucht diese Megametropole auf mit ihren siebenspurigen Alleen. In Moskau trafen wir den Bischof des Europäischen Russlands, Dietrich Brauer. Nachdem er ein Jahr bischöflicher Visitator war, wurde er im März im Alter von nur 28 Jahren als Bischof bestätigt. Er stammt aus einer russlanddeutschen Familie und hat am Theologischen Seminar der Evangelisch-Lutherischen Kirche Russlands in Nowosaratowka, bei St. Petersburg, Theologie studiert. Nun steht auch er vor großen Herausforderungen. In der evangelischen Gemeinde Sankt Peter und Paul von Moskau fand vor kurzem ein Strukturwandel statt. Nicht alle begrüßten diesen Gestaltungswandel. Nun gilt es einen gemeinsamen Weg zu finden, und auf Versöhnung hin zu arbeiten. Mit Bischof Brauer sprachen wir unter anderem über die Überreichung eines historischen Taufbeckens aus der Gemeinde Abtsdorf bei Agnetheln an die Moskauer Gemeinde. Bischof Brauer begrüßte dieses Vorhaben und wir hoffen in Zukunft einen passenden Termin für die Überbringung zu finden. Die nötige Vorarbeit und die Genehmigungen dafür wurden von unserer Seite schon eingeholt. Am Sonntag Miserkordias Domini, dem 8. Mai, feierten wir Gottesdienst in der schön hergerichteten Peter- und Paulskirche. Sie diente in sowjetischen Zeiten als Kino und Diafilm-Studio. Im Gottesdienst durfte ich ein Grußwort seitens unserer Landeskirche und unseres Bischofs Reinhart Guib ausbringen.
Ein schönes Erlebnis in Moskau war auch das Treffen mit einem Wolkendorfer. Adolf Becker ist seit einigen Jahren als Chefkoch in einer Gaststätte tätig. Er ließ uns seine Freude über unseren Besuch deutlich spüren. Man trifft nicht jeden Tag Burzenländer in Moskau.
Auf diesen Sonntag folgte der 9. Mai, der Tag des Sieges über Nazideutschland. Als „Den Pobedy“ wird er auch heute noch so euphorisch wie früher gefeiert. Die Vorbereitungen dafür waren schon seit Tagen voll im Gange. Eine Sache hat uns aber vor den Kopf gestoßen: auch zwanzig Jahre nach der Wende, werden die sowjetischen Symbole gehisst und gefeiert. Ein eigenartiges Bild tat sich an dem Roten Platz vor unseren Augen auf: der Rote Stern thronte neben dem Mercedes-Stern. Zwei unterschiedliche Welten stoßen im Zeitalter der Globalisierung aufeinander.
Vom „Den Pobedy“ in Moskau fuhren wir zum „Den Pobedy“ nach Kiew. Wir konnten es voll ausnützen, dass die Straßen an diesem Tag frei waren. Also ging es sehr flott voran nach Kiew. Wir kamen noch rechtzeitig zum Abschlussfeuerwerk. Aber unser Anliegen war ein ganz anderes. In Kiew trafen wir Pfarrer Ralph Haska. Er ist nun seit zwei Jahren schon in Kiew und kommt aus Brandenburg. Wir besichtigten die Katharinenkirche, unweit des Präsidentenpalastes. Pfarrer Haska erzählte uns wie unterschiedlich die Gemeinde in Kiew ist. Die Gottesdienstbesucher reichen von eingesessenen Gemeindegliedern bis zu Botschaftern. Es ist eine sehr buntgemischte Gemeinde, was sich natürlich sehr positiv auswirken kann. Hohe Staatsbesuche gab es auch schon: z.B. Angela Merkel und einige deutsche Staatspräsidenten.
Unsere Reise führte letztendlich über Czernowitz wieder nach Hause. In Czernowitz gingen wir noch abends durch die Herrengasse und erinnerten uns an vergangene Zeiten der K.u.K.-Monarchie. Wir entdeckten das „Deutsche Haus“. Der Vorkriegsbischof Glondys kam aus Czernowitz nach Kronstadt als Stadtpfarrer. Die Spuren deutscher und jüdischer Vergangenheit konnte man noch deutlich erkennen. Auch hörte man ab und zu ein rumänisches Wort.
Nach einer erlebnisreichen und erfüllten Reise kamen wir zu guter Letzt wieder im Burzenland an.
Unser Vorhaben, die Schwesterkirche kennenzulernen, ist uns gelungen und wir haben uns auch schon nächste Ziele gesetzt: wir erwarten in Zukunft Bischof Uland Spahlinger als Gast in unseren Gemeinden, auch wollen wir eine Jungendgruppe der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine (DELKU) nach Wolkendorf einladen. Die Gemeinde hat sich bereit erklärt, Kost und Unterkunft zu übernehmen. Wir wollen uns auch weiter mit dem Thema Zwangsverschleppung auseinandersetzen. Vielleicht gelingt es uns, über unsere Kontaktperson Nikolai Schischkin, mit den ukrainischen Behörden über ein Mahnmal der Opfer der Zwangsverschleppung ins Donezk-Becken zu verhandeln.
Eine Partnerschaft zwischen Wolkendorf und einer Gemeinde im Osten ist auch gewünscht und soll in absehbarer Zukunft verwirklicht werden. Dieses Vorhaben erhält nach unserer Fahrt immer mehr Konturen.
Und dann bleibt noch das Taufbecken…
Andacht zum Gedenken an die Opfer der Zwangsverschleppung am Gedenkstein zu Jenakiewa.
Foto: Günther Bruss
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