Der bessarabische Teppich
01.08.13
Aus dem auf der Hermannstädter Germanistentagung „Schriftsteller versus Übersetzer“ vorgelegten Referat über die Rumänien-Dimension des Übersetzers Paul Celan / Von Horst Schuller
Motto: „Lern ich's lieben, lehr ich's lieben...“ (Wilhelm Müller Amor, ein Gelehrter)
Zum historisch und politisch konkreten Psychogramm und Soziogramm des aus der Bukowina stammenden Autors Paul Celan gehört neben der Erfahrung von Zuneigung und Freundschaft auch sein Erleben von Distanz zwischen Minderheit und Mehrheitsbevölkerung, gehört die sensible, vielleicht übersensible Reaktion auf seine existenziellen Grenzerfahrungen.
Ein aufschlussreicher Text über politische Ursachen zeitweiliger Entfremdung und Ablehnung (die auch den quantitativ auffallend bescheidenen Teil von Celans Übersetzungen aus dem Rumänischen mitbestimmt haben mag – es handelt sich insgesamt um neun Texte von vier Autoren -) stellt jener Brief vom 29. Juni 1965 dar, in dem Celan der Würzburger Buchhändlerin Edith Hübner für das Geschenk eines bessarabischen Bauernteppichs dankt.
Dieses Geschenk, das Edith Hübner - eine umgesiedelte Bessarabiendeutsche, die in ihrer Jugend in Hermannstadt das deutsche Mädchengymnasium besuchte - dem Dichter am Tag nach der von ihr organisierten Lesung in Würzburg überreichte, hatte Celan überrascht und gerührt. Der kleine Webteppich mit großen roten Rosen auf schwarzem Grund (kein langhaariger „Kotzen“, wie Celan interpretierend formulierte) enthielt für ihn hohen Symbolwert, mochte er ihn doch an das frühe, beziehungsreiche Bild vom Tuch und Tüchlein erinnern, das in jenen Gedichten auftaucht, in denen er der Mutter gedachte. Dieser völlig unerwartete Teppich, wie ein den Tod überlebendes Grußzeichen der Mutter, bot Celan nun Anlass, um im deutlich dialogisch durchstrukturierten Brief über das wechselvolle Schicksal Bessarabiens bzw. seiner Bewohner nachzudenken, einer (zumindest bis zu Aktionen zur Umsiedlung der Deutschen im Jahre 1940 in den Warthegau, den Deportationen der Juden nach Transnistrien, der Verschleppung der Rumänen im Jahre 1941 nach Sibirien) plurikulturellen Landschaft mit gemischten (rumänischen, ukrainischen, russischen, deutschen, jüdischen und anderen) Bevölkerungsanteilen. Dieses historische Gebiet zwischen Pruth, Dnjestr, Donau und Schwarzem Meer kam im 14. Jh. unter rumänische, im 16. Jh. unter türkische, dann unter russische, von 1918 bis 1940 unter rumänische, dann unter sowjetische, von l94l bis 1944 wieder unter rumänische Herrschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte es zur Sowjetunion. Heute ist es Teil von Moldawien und der Ukraine.
Der Brief, sozusagen ein Gedicht in nuce, ist eine Partikelsammlung aus heraufbeschworenen Namen, deutschen und fremdsprachigen Zitaten, poetischen und musikalischen Anklängen, intertextuellen Verweisen (auf Hölderlin, auf Wilhelm Müller), aus mit gleichem Anlaut verbundenen phraseologischen Zwillingsformeln (die auf biblischen und existenzialphilosophischen Hintergrund hinweisen), mit Wortspiel, Wiederholung, rhetorischer Frage und einem metaphorischen Zentralbild, nämlich dem viermal genannten Teppich - bereit für ein sich ankündigendes Ineinanderwirken und eine Kristallisation, bereit für einen neuen, einen poetischen Aggregat-Zustand - dieser Brief lautet:
Liebe und verehrte gnädige Frau,
nun ist Ihr Geschenk, der bessarabische Teppich hier - herüber gekommen, unbefragt, auch über diese Grenze. (,,Nimmer kannt ich die Länder").
[Celan zitiert hier aus dem Gedicht Patmos von Friedrich Hölderlin. Die zweite Hälfte von Zeile 24 lautet: ...”nimmer kannt' ich die Länder ...”
Im polar gebauten Gedicht werden Gefahr und Rettung, Abgrund und Brücke, Ferne (,,Asias Tore“) und Nähe, Heimat und Identität, Vergängliches und Bleibendes thematisiert. Der poetologische Schluss wird (trotz aller Gefahren
trivialisierenden nationalistischen Missbrauchs) selbstverständlich miterinnert; ,,der Vater aber liebt, [...] Am meisten, dass gepfleget werde/ Der feste Buchstab, und Bestehendes gut/ Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.“]
Und wird in ein paar Wochen weiterfahren in die Normandie, wo er sein Haus und seine Hütte haben soll, lange.
Bessarabien - was bedeutet das für mich? Viel, von den Menschen her, vom Menschlichen her. Namen. Solche, die Ihnen geläufig sind, und solche, die Ihnen geläufig sein könnten, spät: weil ich sie mitgenommen habe, wie Sie gnädige Frau, den Teppich.
Einmal, vielleicht, wenn Sie auf dem Weg in die Bretagne, in Paris, in Moisville - so heißt der Ort in der Normandie, wo Ihr Geschenk, der bessarabische Teppich, sein und warten soll - Station machen, will ich diese Namen auf- und herzuerzählen versuchen, sie zu beleben.
Ego sa wetscher w stepi moldowanskoi = ihn am Abend in der moldauischen Steppe..., ein Lied oft gesungen, eine ,,Schnulze" (von Wertinskij?) und doch keine, mit der Moldowanka drin, angeweht von Odessa her, von Babels Reiterarmee, vom Sohn des Rabbi, von Tatar Bunar.
Und nicht nur davon. Belebt durch Ihren durch den Warthegau - wie furchtbar! - gewanderten Teppich. (Wir daheim in der Bukowina, wir, die wir ,,Rumänisches“ nicht mochten, auch deshalb, weil es uns Juden - die Sprache verbot, die deutsche, auch die Sprache, wir nanntens „Kotzen“).
[Was ist mit diesem Sprachverbot gemeint? ,,An den Mittelschulen war ein nach Nationalitäten gesonderter Unterricht eingeführt worden, und dem einzigen deutschen Staatsgymnasium war es verboten, jüdische Schüler aufzunehmen. Die in die nunmehr rumänische Bukowina hineingeborenen Dichter Paul Celan, Immanuel Weißglas und Alfred Gong - alle drei Jahrgang 1920 – waren genötigt, Gymnasien zu besuchen, an denen, ebenso wie an der Universität Czernowitz, ausschließlich in der Staatssprache unterrichtet wurde“, schrieb Peter Motzan, 2009].
Erst heute gnädige Frau, durch Sie, und weil so viel damit und darin zur Gegenwart erwacht, lern ich's lieben, lehr ich's lieben. [...].
Es handelt sich am Schluss des Briefes um ein abgewandeltes Zitat aus Wilhelm Müllers Liebesgedicht Amor, ein Gelehrter: [...] ,,Liebe heißt er, Liebe treibt er / Liebe lernt er, Liebe lehrt er,/ Und er ist mit dieser Weisheit/ Also übervoll geladen,/ Dass er allen Schriftgelehrten“ [...]
Der bäuerliche Webteppich - er wurde, weil von Motten befallen, von Gisele Lestrange-Celan aus dem Ferienhaus in Moisville entfernt - beschwört neben Verbindendem auch Trennendes herauf, neben bekannten Namen auch unbekannte. Unterschiedliche Assoziationen und Perspektiven, mit denen zum Beispiel die Unruhen in Tatar Bunar im Jahre 1924 von den einzelnen Ethnien und deren ideologischen Programmen eingeschätzt werden können. War es ein Terrorakt, mit dem die Sowjets ihre Revolution exportieren wollten, wie die überraschten rumänischen Behörden vielleicht zu Recht behaupteten, war es eine berechtigte Bauernerhebung, die vom großrumänischen Unterdrückungsapparat niedergeschlagen wurde?
Auch in einem zweiten, noch unveröffentlichten Brief an Edith Hübner nimmt Celan auf den Teppich und die bessarabische Kulturlandschaft erneut Bezug, wenn er schreibt, dass das Haus, in welchem der geschenkte Wandteppich nun Herberge finden solle, „schon einiges 'Bessarabisches' und viel 'Cis- und Trans-Bessarabisches' vernommen“ habe, „und auch unser 'Teppich-Landsmann' Puschkin hat seine Dichtungen dort stehen.“ Auch entschuldigt Celan sich quasi, dass sein erster (von uns oben aus dem Briefwechsel mit seiner Frau zitierter) Brief ,,so abrupt und elliptisch“ geraten sei.
Für die lateinische Lokalpräposition ,,cis“ (diesseits) und ihr Gegenwort ,,trans“ (jenseitig, drüben, dort) beziehungsweise für deren neutrale, in altösterreichischen Verhältnissen übliche Kombination zu Land- und Landschaftsbezeichnungen wie zum Beispiel Cis- und Trans-Leithanien (für die Reichhälften Österreich im Westen und Ungarn im Osten) oder für Transnistrien (die für Celan hochemotional aufgeladene Landschaft rechts vom Dnjestr), aber auch für den Wechsel, für die jeweils standpunktabhängige Festlegung von ,,diesseits“ und „jenseits“ sowie die symbolisch übertragene Bedeutung dieser schicksalhaften Orts-, Zeit- und Sinnzuweisungen war Celan aus Gründen der
eigenen Lebensgeschichte besonders empfindlich. Hier sei auch die Analogbildung ,,transkarpatisch“ erwähnt, die Celan in einem 1962 geschriebenen Brief an Sperber verwendet, wenn er sein Leben als einen Weg vom ,,Karpatisch Fixierten“ zum ,,Transkarpatischen” bezeichnet.
Paul Celan schrieb den zweiten Brief am 20. 8. 1965 in Paris, wo er den ganzen Sommer verbracht hatte. Die Empfängerin Edith Hübner war so freundlich, uns im Oktober 2009 Einblick in das Schreiben zu gewähren.
Die Beteuerung im ersten Brief, dass im Beschenkten erst durch die Begegnung mit einer ehemaligen Bewohnerin jener heimgesuchten Landesteile, tiefere Einsicht, Verständnis, ja Liebe für alle Betroffenen geweckt worden sei, muss wohl auch im übertragenen Sinn verstanden werden. Die schenkende Bücherfrau ist Botin, Muse, Mutterfigur. Erst durch das Gedicht, denn ein solches ist mit der Teppichmetapher, mit der poetischen, Lebens- und Schicksalsfäden verwebenden Textur gemeint, vermag er, der Dichter, seiner eigentlichen Aufgabe gerecht werden, nämlich trotz aller Spannungen und Widersprüche Humanes, die Menschen Versöhnendes zu artikulieren.
Im ersten Brief an die Buchhändlerin Edith Hübner klingen also in Stichwort-Reihung Gründe an, warum Celan und seine Bukowiner Schicksalsgenossen nach 1918 ,,Rumänisches“ (wie er im Brief die unreflektierte, pauschale Meinung umgangssprachlich nachformuliert, aber dann genauer erklärt) möglicherweise wenig schätzten: Was sie entschieden ablehnen mussten, war eine Einebnung, die eng praktizierter nationalstaatlicher Politik diente, waren mangelndes Verständnis für Partikularismen und Minoritäten, die Verdrängung jüdischen Lebens, und dann in den Kriegsjahren der Militärdiktatur Verfolgung, Pogrom und Deportation.
Aber der Dichter Celan vermeidet es, in diesem Brief, historisch bedingte Urteile zu Vorurteilen zu verfestigen, die Opferrolle nur für den einen unter den vielen zu beanspruchen, er setzt das ,,Rumänische“ nicht für alle Zeiten und Schichten mit einer repressiven Behörde gleich. Celan sieht in der Vielvölker-Webe dieses Teppichs, der hier zum Motiv eines (nicht geschriebenen, aber zur 'Koagulation' entworfenen) Gedichts wird, in dem (rumänische, ukrainische und andere) Muster und Farben nachbarschaftlich vereint werden, das Verbleibende, das Völker Verbindende und moralisch Verpflichtende.
[Uns ist nicht bekannt, ob Celan das Gedicht „Bessarabische Teppiche“ von Ariadne Baronin Löwendal (1899 - 1954) aus A. Kittners Typoskript-Sammlung oder eventuellen Veröffentlichungen gekannt hat].
Der Dichter ist bereit, so kann man diesen geformten Brief verstehen, Superbia, das heißt hochmütige und kränkende Ablehnung zuzugeben, also den zeitweiligen minderheitlichen Bildungsdünkel als verfehlte Abwehrhaltung und sowohl gruppenspezifische als auch eigene Fehler in der Wahrnehmung und Einschätzung des Anderen zuzugeben, und er ist desgleichen bereit, diese seine gereifte Einsicht vom Menschlichen zu verbreiten und durchzusetzen. Er betrachtet es als tätige Aufgabe des Dichters, mit Hölderlins anklingenden Worten, ,,Bestehendes gut zu deuten“.
Damit werden in diesem Briefdokument - nach mehrfachem Verzicht, nach mehrfacher Delegierung von Mittler-Chancen - positive subjektive Einstellungen signalisiert, die dann den Übersetzer Celan 1969, ein Jahr vor seinem Tod, auf seinen älteren Plan zurückkommen ließen, nämlich im Rahmen einer Sammlung mit Übersetzungsbänden nach verschiedenen Literaturen, auch rumänische Autoren vorzustellen. Seine Krankheit, eine schwere delirierende Depression, und sein Freitod setzten dieser Perspektive ein Ende.
Die unbestreitbare rumänische Dimension, eine unter mehreren Dimensionen dieser komplexen geistigen Persönlichkeit, zu der auch seine Übersetzungsabsichten und Taten gehören, wird wohl nur dann hinreichend und gerecht beleuchtet, wenn man auch die Fremdheitsmomente und ihre versuchte Überwindung in dieser Beziehung beachtet.
In Czernowitz bewegte Celan sich unter deutschsprachigen Juden, die sich zu ihrer Identität und zum Solidaritätsgebot der Minderheit offen bekannten, ja diese im Gegenzug zu einer staatlich geforderten Rumänisierung vielleicht noch
besonders betont pflegten. Ihr traditionelles kulturelles Ziel war Wien. In Bukarest verkehrte Celan dann in rumänisch sprechenden, assimilierbereiten oder assimilierten Kreisen. Die gelebte kulturelle Modernität und der Internationalismus in der rumänischen Hauptstadt gleich nach Kriegsende, faszinierten ihn. Eine zunächst für Strömungen und Austausch offene Stadt. Das kulturelle Ziel der rumänischen und jüdischen Autoren in Bukarest blieb aber bei aller politischen Linksorientierung das alte Paris und nicht etwa ein reales Moskau. Celan fuhr nach Wien und kam in Paris an.
Paul Celan (1920-1970) – einer der bedeutendsten deutschen Dichter des 20. Jahrhunderts. Foto: babelmatrix.org
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