Der diskrete Charme von Reußdorf (II)
05.08.22
Ein siebenbürgisch-sächsisches Dorf wird zum Leben entweckt / Eine Fotoreportage von Elise Wilk und Laura Capatana- Juller
Auch der Flensburger Jonas Schäfer fühlt sich bereits als Reußdorfer. Schließlich ist er schon seit 18 Jahren mit seiner Frau Ulrike hierher gezogen. Heute leiten die beiden das „Valea Verde Retreat“, ein Urlaubsparadies, das Gäste aus aller Welt anlockt. Es handelt sich um mehrere Ferienhäuser, im ganzen Dorf verstreut, um einen riesigen Garten mit Teich, ein Luxusrestaurant und eine Spa-Anlage. Kurz zusammengefasst eine Mischung aus Tradition und Moderne, ideal für diejenigen, die sich für einige Tage vom stressigen Alltag erholen wollen.
„Hier könnte ich leben“
1993 besuchte der deutsche Soundingineur Jonas Schäfer erstmals Rumänien. Sein Vater Klaus war Sozialarbeiter und brachte seit der Wende 1989 regelmäßig Hilfstransporte ins Land. Wenige Jahre später kaufte sich Klaus Schäfer ein sächsisches Haus in Reußdorf und machte es zu seinem Ferienhaus. Jonas war begeistert vom Dorf und von Siebenbürgen, erkundete mit der Zeit alle Regionen des Landes. „Die Natur, die Menschen, die unglaubliche Wärme im Umgang mit Mitmenschen haben mich verzaubert”, sagt Jonas Schäfer, der zwischen 2003 und 2004 zehn Mal nach Rumänien gereist ist. 2004 kam auch seine Frau Ulrike mit. „Nach einigen Tagen im Dorf meinte Ulrike: Ich glaube, hier könnte ich leben. Zwei Monate später sind wir hergezogen“. Dass sie die Dorfbewohner für “ein bisschen verrückt” hielten, machte ihnen nichts aus. Sie blieben da, kauften und renovierten ein sächsisches Haus und passten sich dem Dorfleben in Rumänien an. Bis 2016 führten sie einen Verein zur Betreuung deutscher Kinder mit Problemen, „Viitorul Copiilor” (Die Zukunft der Kinder). Die Neugier brachte viele Verwandte und Freunde in die Gegend. „Die am nächsten gelegenen Hotels sind in Schäßburg oder Neumarkt, also kauften und renovierten wir ein traditionelles Haus für Ulrikes Familie. Dabei achteten wir darauf, ihren historischen Charme zu erhalten und ihn mit dem modernen Komfort zu verbinden.“ Sie dachten, dass möglicherweise auch andere deutsche Touristen an dem Dorf Interesse hätten könnten und stellten die Ferienwohnung auf fewo-direkt.de, einer deutschen Internetseite zum Vermieten von Ferienwohnungen. „Es gab ein unglaubliches Interesse, in kurzer Zeit war das Ferienhaus komplett ausgebucht.“ Die Tatsache, dass deutsche Staatsbürger die Wohnung vermieten, war eine Garantie für ausländische Touristen. „Wir haben keine Anzahlung für die Buchung verlangt, die Leute hatten Angst, dass beim Buchen das Geld verschwinden wird“, erinnert sich Schäfer. Immer mehr Dorfbewohner renovierten die leeren Häuser ihrer Großeltern oder Verwandten und baten Schäfer, sie zu vermieten. Manche Touristen waren so begeistert, dass sie sich Häuser kauften und sie zu Ferienhäusern umgestalteten, die ebenfalls Schäfer vermietet. So wurde Reußdorf in ein paar Jahren zum Feriendorf.
Nachhaltigkeit an erster Stelle
„Dieses Dorf brauchte einen zentralen Ort” sagt der Geschäftsmann. Es sollte nicht nur ein Feriendorf sein, das nur in der Hochsaison von Touristen bewohnt ist. Die Einwohner, also Ungarn, Rumänen und einige Roma sollten weiterhin hier leben, ihre Traditionen weiterführen und das Dorf pflegen. Das macht es für Reisende umso interessanter. Daher kaufte das Paar im Jahr 2007 ein großes Grundstück im Dorf, wo das „Valea Verde“-Retreat errichtet wurde. Zur Inspiration für das Unternehmen diente ihnen das italienische Konzept „Albergo diffuso“ oder „verstreutes Hotel", welches viele verlassene Dörfer in Italien wieder zum Leben erweckt hat. „Damals stand ein alter sächsischer Hof hier. Wir haben die Fassade renoviert und auf den Ruinen, die auf Kniehöhe standen, ein Restaurant mit 24 Sitzplätzen gebaut. Und ein Zimmer zum Vermieten. So haben wir angefangen.“ Jahr für Jahr haben die Schäfers neue Häuser traditionsgemäß renoviert, so dass den Touristen derzeit 64 Betten in 26 Zimmern zur Verfügung stehen.
Dabei setzten Jonas und Ulrike Schäfer immer auf Nachhaltigkeit. „Nachhaltigkeit ist uns sehr wichtig: die ökologische, die soziale und die wirtschaftliche“, erklärt der Unternehmer. Alle sächsischen Häuser wurden mit lokalen Rohstoffen und mit hilfe lokaler Arbeitskräfte renoviert. „Mit drei Ausnahmen sind alle unsere 32 Mitarbeiter Dorfbewohner, die anderen sind aus dem Nachbardorf“.
Gurkentartar und Kirschsorbet mit Prosecco, von Dorfbewohnern zubereitet
„Sie tun hier viel Gutes, wir haben Arbeitsstellen in unserem Dorf, müssen nicht wegreisen” sagt Frau Iluschka, eine Einheimische. Sie leitet die Küche im Retreat. Seit dem ersten Tag ist sie hier fest angestellt. Anfangs war sie Chefkoch Jonas Schäfers Küchenhilfe - er hat die Anerkennung der „Chaîne des Rôtisseurs”, einer weltweiten Gemeinschaft, die eine gemeinsamen Leidenschaft für die Kochkünste teilt. Mittlerweile muss Schäfer nicht mehr am Herd stehen, Iluschka und ein Team Köche bereiten die raffinierten Rezepte vor. Vom Gurkentartar mit roter Beete, gereifter Dotter und Senfschaum, Ziegenkäse-Mousse mit marinierten Birnen und Nüssen, über Pilzsuppe mit Trüffel-Flocken zu Schweinemedaillon mit Kartoffelpüree und sautiertem Spinat haben sie ständig kreative Ideen, in Absprache mit Jonas Schäfer. Jeden Tag bieten sie wechselnd drei, fünf oder sieben neue Gänge an, abhängig von der Saison und den Produkten, die gerade frisch geliefert werden. Zubereitet wird alles mit Gemüse oder Früchten aus dem eigenen Garten, oder mit Produkten von Lokalproduzenten aus der Gegend. Auch die Desserts sind etwas Besonderes, wie beispielsweise Kirschsorbet mit Pfefferminze, Prosecco und Pfeffer. Schäfer und Iluschka kochen manchmal auch für große Feste mit Hunderten von Gästen, im In- und Ausland. Auch in Reußdorf kochen sie manchmal für über 200 Gäste.
Beim Frühstück schnuppern wir die feinen Brötchen. „Eines der größten Probleme als wir hergezogen sind war das Brot. Das Brot aus dem Laden war überhaupt nicht essbar, sodass wir beschlossen selbst zu backen, erinnert sich Schäfer. Alles, was hier serviert wird, ist hausgemacht, alle Marmeladen, die Zacusca, der Auberginensalat. Auch der Käse bleibt nicht unbeachtet. Er wird von Istvan, einem lokalen Produzenten mit Ausbildung in der Schweiz hergestellt, der den Laden „Die Käsemanufaktur“ (Manufactura de brânza) betreibt.
Trüffeljagden in siebenbürgichen Wäldern
Viele der Touristen, die einen Urlaub im „Valea Verde” buchen, bleiben mehrere Tage im Retreat. Sie können tagelang einfach nichts tun – ein Luxus für viele Stadtmenschen. Es gibt aber auch ein großes Angebot an Freizeitaktivitäten, wie Schwimmen, Massage, Spa oder Sauna. Für aktive Urlauber eignet sich die Erkundung der Natur in der historischen Kutsche, am Rad oder am Pferdesattel, das Beobachten der Bären von einem Observatorium, oder unterschiedliche Workshops mit lokalen Handwerkern. Iluschka lehrt Interessierte donnerstags Brotbacken am Steinbackofen. Besonders sind mit Sicherheit die Kochseminare und Weinproben mit Jonas Schäfer, der oft mit Gästen ein Glas Wein anstößt und erzählt.
Ein Highlight ist aber gewiss die Trüffeljagd, eine Seltenheit in Rumänien. Touristen suchen mit Hunden in den naheliegenden Wäldern nach den teuersten und kulinarisch wertvollsten Pilzen, die sie dann gemeinsam unter freiem Himmel verzehren. „Wir erwarten die Touristen neben dem Wald und bereiten in einem großen Kessel Risotto mit den gefundenen Trüffeln vor“, erzählt die Köchin. „Vor etwa zehn Jahren war ein Freund zu Besuch, der Trüffel suchen wollte. Wir sprachen darüber auf der Terrasse des Restaurants, Reisende hörten das Gespräch. Als wir losziehen wollten, hatten sich etwa zehn Personen versammelt, die mitkommen wollten. Das war die erste Trüffeljagd“, erinnert sich Jonas Schäfer.
Bis Jahresende wollen die beiden Unternehmer ihr Geschäft weiterhin vergrößern und 90 Betten anbieten. Die Pandemie hat zwar die Zahl der ausländischen Reisenden verringert, dafür haben aber Rumänen den Ort entdeckt. Viele sind zu Stammgästen geworden. „Wegen dem Krieg in der Ukraine wurden etwa 1.000 Buchungen von deutschen Gästen abgesagt“, erklärt der Unternehmer . Durch eine an die Situation angepasste Marketingstrategie plant Schäfer im kommenden Jahr Gäste zur Hälfte aus Rumänien, zur anderen Hälfte aus dem Ausland in Reußdorf zu begrüßen. Bei „Valea Verde“ muss man wenigstens einmal im Leben gewesen sein. Besonders an heißen Sommertagen ist es ein wunderbares Urlaubsgefühl: leckeres Frühstück unter den Obstbäumen, schwimmen im Teich, in der Hängematte lesen. Eins müsste man beachten: bei der Rückkehr nach Hause nicht zu viel über die Gegend schwärmen. Sie soll noch ein Geheimtipp bleiben, um ihren Charme nicht zu verlieren.
Jonas Schäfer in gerne in seinem Urlaubsparadies. Seine Reiseziele für den Urlaub sind vorwiegend Sovata, Zabala im Kreis Covasna oder das Donaudelta. Foto: Laura Capatana-Juller
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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