Der Super-Optimierer
03.02.22
Versuch eines Nachrufs auf den Agrarwissenschaftler Dr. Heinz Werner Bredt
Spätestens nach Veröffentlichung ganzseitiger Zeitungsartikel im Neuen Weg und der Karpatenrundschau hatte er einen schmeichelhaften Spitznamen, den jeder weit und breit benutzen sollte, wenn von ihm die Rede war: der Kartoffeldoktor. Dr. Heinz Werner Bredt. Geboren am 23. Mai 1932 im siebenbürgischen Marienburg als zweites von vier Kindern von Hans und Hilda Bredt. Das Agrarier-Gen hat er wohl von seinem Vater geerbt, der als Ackerbauschuldirektor die Leidenschaft für die Landwirtschaft an seinen Sohn weitergab.
Bereits mit elf Jahren ging er an die Haltrich-Schule in Schäßburg und zwei Jahre später an das Agrarlyzeum Herrmannstadt, wo seine Liebe für die Pflanzenwelt erste Blüten trieb: Er legte zur Begeisterung seiner Professoren einen kompletten Botanischen Garten mit über 500 Pflanzenarten an, verzichtete auf Heimreisen, um auch wirklich alle korrekt zu beschriften und zu pflegen und als es auf Messers Schneide stand, ob einer, dessen Vater weder Arbeiter noch Bauer war, in einem kommunistischen System studieren dürfe, soll das Lehrer-Kollegium gesagt haben: „entweder Bredt oder keiner!“ Wie oft hat mein Vater voller Stolz diese Geschichte erzählt.
Oder jene vom Kriegsende in Marienburg. Als er 1945 zusammen mit Hans Klein, dem Sohn der Schulköchin, die gesamte Wirtschaft der Ackerbauschule auf Vordermann hielt, weil die Erwachsenen nach Russland deportiert worden waren. Zwei 14-jährige Jungs zuständig für 50 Hektar Musterwirtschaft, ein Dutzend Milchkühe, 50 Schweine, Pferde, einen Traktor, Maschinen. „Wenn du etwas erreichen willst, musst du bereit sein, alles zu geben!“ Und wenn du diese Worte zu deinem Lebensmotto machst, wächst du auch schon mal über dich hinaus.
In Klausenburg gab‘s nicht nur das heiß ersehnte Studium der Agrarwissenschaften, sondern auch Mathilde, eine junge Studentin, die im August 1958 ihrem Heinz in Scharosch an der Kokel das Ja-Wort gab. 1961 kam mein Bruder Dieter zur Welt und 1965 ich, Werner.
Über die Zwischenstation Thorenburg (Turda) und das Studium von Hybridmais, Getreide, Futterpflanzen und Leguminosen gelangte der frisch gebackene Landwirtschaftsingenieur und Doktor der Agrarwissenschaften nach Kronstadt und zu seiner innig geliebten Kartoffel, der er viele, viele Jahre die Treue halten sollte.
Ich erinnere mich an die endlosen Versuchsparzellen, in denen ich als Schüler, angeleitet vom Kartoffeldoktor höchstpersönlich, mein Taschengeld aufbessern durfte. Desiree und Bintje – zwei Sorten, deren Namen mir noch heute in den Ohren klingen. Mein Vater könnte zahlreiche andere nennen, doch leider kann ich ihn nicht mehr danach fragen. Dafür hat er aber viele Fachartikel und ganze Bücher – über 160 Publikationen zu Ehren der nahrhaften Knolle – hinterlassen.
Als leidenschaftlicher Forscher war Dr. Bredt viel unterwegs. In ganz Rumänien galt es, Versuchsfelder zu besuchen und mit den Angestellten verschiedenster Institute immer neue Rekorde zu erzielen. „Stell dir vor, bei Br?ila in der Dobrudscha haben wir schon mal 104 Tonnen Kartoffeln von einem einzigen Hektar geerntet!“
Trotz Eisernem Vorhang schaffte er es, auch über die Landesgrenzen hinaus sein Wissen und seine Leidenschaft zu exportieren. Vorträge auf internationalen Konferenzen, Fachartikel in den ausschlaggebenden Zeitschriften. Ungarn, Tschechoslowakei, DDR, Polen. Schließlich sogar das Reinschnuppern in den Goldenen Westen: Frankreich, Schweiz, BRD. Keine Selbstverständlichkeit in einem Land, das seine Bürger hinter stacheldrahtumzäunten Grenzen einsperrte.
Ich erinnere mich, wie aufgeregt wir Kinder stets die Rückkehr unseres weltgewandten Vaters aus der Ferne ersehnten. Nie vergaß er, uns Geschenke mitzubringen: aufregende Dinge, die es bei uns in Rumänien nicht zu kaufen gab. Ein großes Paket, das er nur dank seiner ausgeprägten Überzeugungskraft und gewandten Rede ins Flugzeug aus Warschau nach Bukarest hatte nehmen dürfen, ist fest in meinen Erinnerungen verankert. Was drin war? Eine Schuhputzmaschine mit elektrisch rotierenden Bürsten. So etwas hatten wir noch nie gesehen!
Trotz beeindruckender Karriere und Anerkennung von Wissenschaftlern aus aller Welt führten wir ein bescheidenes Leben. Mit dem Gehalt eines Ingenieurs und einer Professorin am Johannes Honterus Lyzeum war der rumänische Alltag gut zu bewältigen, große Sprünge konnten wir uns aber nicht erlauben. Kein geerbtes Haus, sondern eine kleine Wohnung in einem sozialistischen Plattenbau. Kein dickes Bankkonto, sondern das nötige Geld, um im Alltag gut über die Runden zu kommen. Keine bemerkenswerten Beziehungen, sprich: Kontakte zu den „oberen Zehntausend“, für die andere Regeln und so manche Vorzüge galten. Dafür hatte Dr. Bredt keine Zeit. Er lebte für seine Forschungen, ging frühmorgens mit seiner vollgepackten Aktentasche aus dem Haus und kam erst abends wieder, um selbst in seiner Freizeit weiter zu arbeiten.
Und doch erinnere ich mich an viele Momente, die mir heute noch sagen: Du hattest einen guten Vater, auch wenn er nicht immer da war. Die Sommerreisen durchs ganze Land – zuerst mit dem Zug, später mit dem 70 000 Lei-Dacia, auf den meine Familie viele Jahre gewartet hat. Die Wochenendausflüge, Speck braten in freier Natur, Wandern in Halbschuhen und mit Krawatte – tausende Dias, mit einer alten Voigtländer Kamera aufgenommen, zeugen noch heute von vielen kleinen und großen Abenteuern.
Dass der Kartoffeldoktor 1984 mit 52 Jahren einen kompletten Neuanfang gewagt hat und mit seiner Familie nach Deutschland ausgewandert ist, finde ich erstaunlich. Insbesondere, weil er von seinen beruflichen Tätigkeiten und deren Bedeutung im sozialistischen Rumänien so überzeugt war. Ohne Scheu vertrat er seine Ansichten in unzähligen, teils lautstarken Diskussionen mit Verwandten und Freunden, die schon längst mit dem „System“ abgeschlossen hatten und nur noch im „Goldenen Westen“ das Allheilmittel sahen.
Der Neuanfang in Deutschland war nicht leicht, aber er gelang. In Düsseldorf konnte Heinz Bredt weiter forschen, auch wenn es diesmal nicht die geliebte Kartoffel war, sondern die Beschaffenheit der Böden generell. Am Institut für Wasserwirtschaft von Nordrhein-Westfalen genoss er seinen Beruf bis zu seiner Rente 1995. Und auch noch viele Jahre später kamen die Kollegen in die Benrather Wohnblock-Wohnung zu Besuch, genossen die von Ehefrau Mathilde gebackenen Greta Garbo und Zitronenschnitten und diskutierten heiß über diverseste landwirtschaftliche Themen. Die 4 Zimmer-Wohnung füllte sich im Laufe der Jahre mit unzähligen Büchern und Dokumentationsmaterialien zu Themen so bunt und vielfältig wie das ganze Leben.
„Es gibt noch so viel, das ich lernen will, kennen will, beherrschen will. Ich bring mir die Welt ins Haus.“ Dies sollte sein Motto bis ins hohe Alter werden und auch sein Vermächtnis für die beiden Söhne und mittlerweile drei EnkelInnen.
Ganz besonders lag ihm seine Herkunft Siebenbürgen am Herzen. Schon als Schüler in Schäßburg und Hermannstadt wirkte er aktiv in Tanzgruppe und Chor mit, und Ausfahrten in die Dörfer der Umgebung genoss er als besondere Höhepunkte, natürlich nur, wenn seine Arbeit nicht darunter leiden musste. Auch der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland war er sehr verbunden und erinnerte uns, seine Söhne, stets daran, unsere alte Heimat nicht zu vergessen.
Auch als Rentner war mein Vater hyperaktiv – sehen, kennenlernen, wissen, einordnen, katalogisieren – es gab immer so viel zu tun und voller Stolz präsentierte er jedem Gast (seit 2018 dann in einer Berliner Hochhauswohnung) seine Sammlungen. „Würde ich die nicht haben, wäre ich schon längst tot.“
Dr. Heinz Werner Bredt entschlief am 9. Dezember 2021 friedlich im Alter von 89 Jahren im Kreise seiner Familie in Berlin-Lichterfelde.
„Wenn ihr mich sucht, sucht mich in euren Herzen. Habe ich dort eine Bleibe gefunden, lebe ich in euch weiter.“ Diese Worte Rainer Maria Rilkes, die meine Mutter und mein Bruder für die Trauerkarte ausgesucht haben, hätten ihm gefallen. Mehr noch einer seiner vielen Leitsprüche: „Es geht nicht, gibt‘s nicht“ oder „Was mich nicht kaputt macht, macht mich stark“ oder „Arbeiten und nicht verzagen“ …
Seine Worte klingen in meinen Ohren. Ich bin überzeugt, dass er in uns weiterleben wird.
Klaus Werner Bredt
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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