Der Wandel des Ceausescu-Bildes
15.07.10
Ein komplexes deutsch-rumänisches Forschungsprojekt (II)
Auch das Beispiel der Ceausescu-Familiendiktatur wurde im Kontext des Personenkultes generell im Stalinismus untersucht. Ein Paradebeispiel von erschreckendem Ausmaß für dieses Horrorszenario ist der sich ständig verschlimmerte Personenkult um Ceausescu und dessen katastrophale Folgen nach seinen Julithesen 1971, als er nach einem Besuch Chinas und vor allem Nordkoreas seine kurze liberale Phase von 1965-1971 beendete und eine systematische, sich ständig verschärfende Restalinisierungspolitik im Zeichen eines bis dahin noch nie da gewesenen Personenkultes betrieb.
Es ging den Autoren vor allem in der Studie „Die außenpolitische Sonderrolle Rumäniens in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre als Voraussetzung des positiven Ceausescu-Bildes“ darum, historische Zusammenhänge über den ganzen Ostblock herzustellen.
Rumänien erscheint in diesem Kontext in den ersten sechs Jahren der Ceausescu-Herrschaft 1965-1971 fast schon als eine Art rumänischer Sozialismus mit menschlichem Antlitz.
Jimmy Hendrix und die Stones, die im Ostblock verpönt waren, wurden in dieser Zeit in Rumänien im Radio gesendet. Auch die Stücke des rumänisch-französischen Vaters des Absurden Theaters aus Paris, Eugen Ionesco (1909-1994), „Die Nashörner“, „Die Stühle“, „Der König stirbt“, „Die Unterrichtsstunde“, „Die kahle Sängerin“ sowie eine Aufführung über die Weiterführung durch Ionesco des dramatischen Erbes des rumänischen Klassikers Ion Luca Caragiale (1852-1912) mit einer Gegenüberstellung von ähnlichen Szenen aus den Werken der beiden Autoren, die das experimentierfreudigste rumänische Theater, das „Kleine Theater“ („Teatrul mic“) aufführen konnte, verstärken diesen Eindruck auf kulturellem Gebiet.
Eine noch viel gewichtigere Sonderrolle als im kulturellen Bereich spielte Ceausescu auf politischem Gebiet. Besonders wichtig war die Aufnahme am 31. Januar 1967 der diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik. Willy Brandt war in diesem Jahr Ceausescus persönlicher Gast.
Im selben Jahr 1967 wird der rumänische Außenminister Corneliu Manescu mit amerikanischer Unterstützung Präsident der Vollversammlung der Vereinten Nationen, der UNO. Ebenfalls 1967 bricht Rumänien als einziges Ostblockland die Beziehungen zu Israel nach dem Sechs-Tage-Kriege nicht ab. Im Jahr darauf, am 21. August, marschiert Ceausescu nicht mit den anderen Warschauer-Pakt-Staaten in Prag ein, um den Prager Frühling niederzuwalzen. Am 22. August 1968 hält Ceausescu seine mutigste Rede überhaupt auf dem Balkon des ZK-Gebäudes in Bukarest, in der er den Einmarsch verurteilt. Es war dies der Höhepunkt seiner außenpolitischen Wirkung. Auch innenpolitisch war er nie wieder so populär wie an diesem Tag, als die Rumänen ihren Ohren nicht trauten, was er da der ganzen Welt verkündete.
Schon zuvor, im März 1967, hatte er den amerikanischen Vizepräsidenten, Richard Nixon, in Bukarest privat empfangen. Auch in der Hoffnung, die Meistbegünstigungsklausel der USA zu erhalten. Dies sollte ihm aber erst 1975 gelingen. Am 2. August 1969 besuchte Richard Nixon nun als Präsident der USA (ab 1968) Ceausescu. Die amerikanische Mondlandung vom 24. Juli 1969 sendet im Ostblock live nur Rumänien. Ceausescu besuchte auch dreimal die Vereinigten Staaten, 1978 das dritte Mal.
Auch die bundesdeutschen Politiker kommen Ceausescu sehr entgegen. Außer Willy Brandt auch Walter Scheel, Gustav Heinemann, Carl Carstens, Helmut Kohl und Richard von Weizsäcker, wie dieses Buch dokumentiert.
Dabei gibt es bundesdeutscherseits national überbetonte Lobpreisungen. So schreibt Walter Scheel den Rumänen eine größere Umsicht zu, als den Rumäniendeutschen und den Rumänienungarn anhand einer Anekdote über den gekreuzigten Jesus, den alle drei Nationen aus Rumänien vom Kreuz befreien wollen. Der Ungarn will die römischen Bewacher niederschlagen, der Siebenbürger Sachse will eine Bittschrift einreichen, während der Rumäne zur Geduld mahnt bis zur Nacht, um dann im Mantel der Dunkelheit Jesus heimlich vom Kreuz mitgehen zu lassen.
Wenn schon der aufgeklärte Westen das Rumänischnationale so überbezogen preist, wie kann man dann den Rumänen vorwerfen, besonders selbstbewusst aufzutreten bei diesen eindeutig politisch motivierten Hofierungen westlicher Berufsdiplomaten?!
Die Hofierung Ceausescus durch westliche Politiker wird am Ende des Buches im Kapitel „Dokumente im Anhang“ mit drei Quellen belegt. Es sind dies die Rede Gustav Heinemanns, Bundespräsident 1969-1974, vom 26. Juni 1973, die Rede Walter Scheels, Außenminister 1969-1974, vom 26. Juni 1973 und die Rede Willy Brandts (1969-1974) vom 27. Juni 1973.
Bei diesem Entgegenkommen gegenüber Ceausescu verwundert es dann nicht mehr, dass der Westen mehr oder weniger die Augen vor Ceausescus Gigantomanie verschloss und erst sehr spät, kurz vor Ende der Ceausescu-Diktatur, energischer entgegentrat.
Inzwischen aber hatte die Bevölkerung durch Verarmung, Hungererleiden und Kälte wegen drastischer Heizungsregulierungen, bis 14 °C für alle in den bitterkalten Wintern, die Quittung bezahlen müssen.
„Pyramiden“ Ceau{escus waren der Donau-Schwarzmeer-Kanal und vor allem der Bau des riesigen „Hauses des Volkes“ in Bukarest, des zweitgrößten Gebäude der Welt. Für diesen Riesenbau wurde in der Hauptstadt ein Areal mit 9000 Häusern, Kirchen und Klöstern eingeebnet.
Ein ähnliches schauerlich-grotesk grausames Spektakel war auch auf dem Lande vorgesehen. Dort sollten unter dem Motto „Systematisierung“ von den 13.000 rumänischen Dörfern die Hälfte verschwinden und die verbliebenen 6.500 zu agroindustriellen Zentren umgebaut und umfunktioniert werden. Dieses Vorhaben aber wurde – schon begonnen – aber Gott sei Dank durch das Ende der Diktatur auch relativ schnell beendet.
Diese schlimmste Zeit der Ceausescu-Diktatur, das fürchterliche, unerträgliche Jahrzehnt 1980-1989 voll von Entbehrungen und diktatorischen Regulierungen, wurde von den Mediaschen Schülerinnen und Schülern, zusammen mit ihren Leverkusener Partnern, im Frühjahr 2010 erforscht. Die Hintergründe des allmählichen Wandels des Ceausescu-Bildes und seines Familienclans vom Positiven zum Negativen werden dankenswerterweise ausführlich und anschaulich in diesem Buch dokumentiert.
Vor allem geht es in Rumänien genauso wie in den anderen Ostblockstaaten um die Verquickung von Opfer- und Täterschicksalen, die oft denselben Menschen sowohl als Opfer wie auch als Täter erscheinen lassen.
Auch die rumänische Securitate bietet inzwischen seit zwei Jahren Einsicht in die Akten des Geheimdienstes in einem eigens dafür eingerichteten Gebäude in Bukarest mit Archiv, geschultem Personal und Studienräumen mit den entsprechenden Apparaten, die auch digitale Medien zugänglich machen.
So wurde bisher schon bekannt, dass die Securitate, die rumänische Stasi, auch im Westen als hehre Kritiker Ceausescus gehandelte „politisch korrekte Autoren“ der Aktionsgruppe Banat und deren Umfeld wie William Totok und Werner Söllner dazu brachte, Mitarbeitsverpflichtungen zu unterschreiben. Mit ihrem Schicksal, sowohl als Opfer wie auch als Täter, wird nicht nur in diesem Fall die Perversität der Ceausescu-Diktatur anschaulich.
Es bleibt spannend, was alles noch ans Licht kommen wird. Auch mit diesem sehr aufschlussreichen Buch stehen wir erst am Anfang der Aufarbeitung.
Ingmar Brantsch(Schluss)
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