Der Weg, der vereint
20.06.25
Via Transilvanica führt nun auch durch Kronstadt
Ein Vater singt seinem sechs Monate alten Baby ein Wanderlied, während es fröhlich aus der Trage schaut und seine pummeligen Beine energisch bewegt. „Er hat schon Erfahrung, das ist nicht seine erste Wanderung”, erfahren wir von der Mutter des Babys. Auf einmal rennen drei kleine Jungen dicht an uns vorbei, sie spielen Fangen. Ihre Familien gehen hinter uns, genau wie andere Hunderte von Menschen. Auch vor uns wandern Hunderte. Gemeinsam gehen wir an diesem schönen Tag von Zărnești nach Törzburg, um an der Eröffnung der neuen Strecke des Wanderwegs Via Transilvanica teilzunehmen.
Es ist der 5. Juni 2025. Ein wichtiger Tag für den beliebten Fernwanderweg Via Transilvanica (VT), der in Putna anfängt und 1.400 über Kilometer durch die Karpaten bis nach Drobeta Turnu-Severin führt. Eine Art Jakobsweg oder Appalachian Trail.
Vor sieben Jahren riefen die Gebrüder Ușeriu, Alin und Tibi, die Idee ins Leben, in Rumänien einen Weg zu schaffen, der vergessene Dörfer und schöne Städte in verschiedenen Regionen des Landes zum Vorschein bringt, der durch beeindruckende Landschaften in Gebirgen, Wäldern, Weiden führt und Menschen von nah und fern miteinander, mit der Natur und mit sich selbst vereint. Mit ihrem Verein „Tășuleasa Social“ haben der nach jahrelangem Leben in Deutschland zurückgekehrte Alin und der weltberühme Langstreckenläufer und Ultramarathonist Tibi ihrem Team eine Karte aufgestellt, die Wanderlustige Rumänien von seiner schönsten Seite entdecken lässt. Auf dem Weg mitten in der Natur, stoßen Ausflügler auf atemberaubende Landschaften, frische Luft und Stille, auf Bauern, die sie mit Palinka empfangen, auf Familien, die für sie kochen und ihnen eine Unterkunft anbieten.
Entwicklung des Tourismus
Dieser Weg hebt das Positive und Schöne dieses Landes hervor und setzt sich für die Unterstützung des Tourismus ein. Es ist ein soziales Projekt, das verlassene Dörfer wiederbelebt, Einkommen schafft und Begegnungen fördert. Seit seiner Eröffnung vor sieben Jahren entstanden zahlreiche Gastronomische Stellen (Punct Gastronomic Local-PGL), Pensionen haben mehr Touristen und Leute haben in ihren Häusern Zimmer für Gäste eingerichtet. „Es ist nicht nur ein finanzieller Gewinn, der sehr willkommen ist, es ist auch die Freude, öfter Leute zu sehen”, sagt der Besitzer einer Pension auf unserem Wanderweg, am 5. Juni. Er steht vor dem Tor und unterhält sich mit Wanderern. Vor einigen Jahren ist seine Pension abgebrannt, nun hat er sie wiederaufgebaut, wartet aber noch auf die nötigen Dokumente, um zu eröffnen. Die Wasserflaschen, die wir kaufen wollen, schenkt er uns und reicht uns auch eine Visitenkarte. Ein älterer Herr neben ihm wirbt für seinen PGL in Zărnești. „Ich war Koch bei der Hütte Plaiul Foii. Seit ich in Rente bin, koche ich zu Hause bei mir für Touristen. Ich liebe diesen Beruf und freue mich auch immer neue Menschen zu treffen und ihre Geschichten zu hören”.
Wanderer aus aller Welt
Über 30.000 Wanderlustige aus Europa und Amerika wandern jährlich auf VT. „Es gibt auch immer mehr australische Wanderer. Wenn sie früher für drei-vier Tage nach Rumänien kamen und die Törzburg besuchten, so bleiben sie nun auch 90 Tage und machen die ganze Trasse zu Fuß”, erklärt Alin Uhlmann Ușeriu. Manche gehen einige Stunden oder einen halben Tag, wie wir gegangen sind. Andere wiederum wandern mehrere Tage oder nehmen sich Zeit und die nötige Ausrüstung, um sich an allen sieben kultur-historischen Regionen, die der Weg vereint, zu freuen. In einem VT-Reiseführer, der als Buch oder als App Anwendung findet, sind alle Routen des gesamten Wegs klar beschrieben und mit Karten und Fotos verdeutlicht, aus der Bukowina ins Hochland (Region Bistritz), weiter ins Szeklerland (Terra Siculorum) und der Terra Saxonum. Der Weg führt weiter durch die Kreise Alba und Hunedoara (Terra Dacica) bis ins Banat, auf die Terra Banatica und die Terra Romana.
VT-Reiseführer
Wer sich vornimmt auf der Via Transilvanica zu gehen, reiten oder zu fahren, findet im VT-Reiseführer alle nötigen Informationen: von der Beschreibung jeder einzelnen Route in den zehn Landkreisen über Empfehlungen für das nötige Gepäck oder für Notfallsituationen. Es gibt klare Tipps, die man anwenden sollte, im Falle, dass man einen Bären oder eine Hornotter trifft oder Sennenhunde auf einen zugerannt kommen. Radfahrer erfahren genau, welcher Schwierigkeitsgrad auf der von ihnen gewählten Route ist und wer den Weg am Pferderücken zurücklegen möchte, findet hier beispielsweise Kontakte zu Leuten, die in Gruppen reiten.
Aus Erfahrung wissen wir nun: wenn man einmal auf der Via Transilvanica war, kehrt zurück. Vor allem, wenn man mit mehreren Menschen unterwegs ist. „Es ist viel einfacher zu wandern, wenn viele Leute dabei sind”, stellt ein Jugendlicher fest, der mit seinen Eltern auf dem neu eröffneten Weg nach Törzburg unterwegs ist. Eigentlich wollte er nur eine halbe Stunde mitgehen, um Teil dieser Erfahrung zu sein. Die Menschenschar, die alle in dieselbe Richtung geht und ein gemeinsames Ziel verfolgt, hat ihn aber „angesteckt”, sodass er ganze drei Stunden aus Zărnești nach Törzburg läuft. Wie viele Anderen auch, macht er sich Selfies mit jedem Meilenstein, der jeden Kilometer des Weges markiert, er macht Pausen am Wegesrand, erzählt mit Leuten, die er gerade erst kennengelernt hat und bewundert die grünen Hügel. Er bedauert ein bisschen, die Pfeife, die er mitgenommen hat, um Bären zu verscheuchen, nicht anwenden zu müssen, gibt sich aber damit zufrieden, Insekten und bunte Blumen zu fotografieren.
Reiches Angebot in Terra Saxonum
Der Weg, der den Karpatenbogen durchquert, steigt in Radeln aus der Terra Siculorum ins Terra Saxonum. „Sächsische Dörfer mit ihrer Architektur, farbenfrohe Flora, dunkle und geheimnisvolle Laubwälder voller wilder Tiere… Route: gut markiert, leicht, meist durch den Wald, 70% auf Wegen, Weiden und Waldwegen, 1,5 km Asphalt… Kritische Orte: ein paar Schafherden mit Schafen und Hunden” – das ist ein kurzer Teil der Beschreibung im Reiseführer (der unter anderem auch in Deutsch ist). Er führt durch beliebte Dörfer wie Deutschweißkich, Deutsch-Kreuz, Keisd, Malmkrog, Reichersdorf wie auch durch Birthälm oder Mediasch, wo man Siebenbürger-Sachsen erleben kann. Wehrkirchen und Schlösser sprechen von der Geschichte der Gegend. Soziale Projekte wie die Frauen-Nachbarschaft in Keisd, die drei Kirchen im Dorf Șapartoc oder jahrhundertealten Eichen auf dem Fernwanderweg sind Anziehungspunkte, die ohne Via Transilvanica für Viele wohl unbekannt geblieben wären.
Dank des Reiseführers, der von der Internetseite viatransilvanica.com kostenpflichtig heruntergeladen werden kann, werden Interessenten auch auf das Bazna-Schwein, einer rumänischen Schweinerasse, aufmerksam gemacht, dessen Fleisch vor Ort gekostet werden kann.
170 Kilometer durch den Kreis Kronstadt
Seit Anfang Juni führt der beliebte Wanderweg nun auch durch Kronstadt. Mit großem Aufsehen wurde ein Meilenstein, der den Weg markiert, am Marktplatz eingeweiht. Er sieht aus wie ein Stapel Bücher. Einen Kilometer weiter sieht man am Anger eine weitere Skulptur, die auf Ausflügler wartet.
Jeder der über 1.400 Kilometer der VT ist durch eine einzigartige Andesit-Skulptur markiert, die von rumänischen oder ausländischen Künstlern geschnitzt wurde und eine Ausstellung unter freiem Himmel zusammenstellt. Was sie alle gemeinsam haben ist der orange gefärbte Buchstabe „T”, der auch auf Schildern, auf Bäumen oder - in Städten - auf Gehsteigen als Zeichen für den Weg stehen.
Insgesamt neun Meilensteinen stehen im Umfeld von Kronstadt, darunter einer in der Nähe des Salomonsfelsen und einer auf dem Weg in die Schulerau, Richtung Deutsch-Weißkirch.
Die große Veranstaltung am 5. Juni, bei der Alin Uhlmann Ușeriu mit Hunderten von nach Törzburg lief, weist auf die 170 Kilometer und 18 Ortschaften hin, die dieser Weg im Kreis Kronstadt vereint. Davon kennen wir die Wege innerhalb der Stadt.
Wanderpass als Andenken
Wir sind aber stolz darauf, auch Terra Borza Teutonica entdeckt zu haben. Eine leichte Route, die mit einem beeindruckenden Anblick auf die Törzburg belohnt wird. Auf einer Wiese in der Nähe des Schlosses haben sich die Ausflügler am Ende der Tour versammelt und warten auf die offizielle Einweihung der neuen Trasse. Weiße Plastikstühle stehen schon bereit vor der Bühne, wo in Kürze Lokal- und Kreisbehörden, Organisatoren und Unterstützer über das Projekt sprechen werden.
Musik erklingt in großen Lautsprechern, es herrscht eine gemütliche Atmosphäre. Eine Gruppe von Kindern spielt, unter einem Baum isst ein Mann einen Fisch aus der Konserve, auf einem Stuhl stillt eine Mutter ihr Baby. Wir setzen uns fast automatisch an eine Warteschlange, wie man in den 1980er Jahren für Essen Schlange stand. Wir wollen auch Wanderpässe, kleine Heftchen, in die man Stempel sammelt, aus den Ortschaften, wo man bereits gewesen ist.
Die große Anzahl an Touristen überwältigt die Organisatoren und die Pässe gehen aus. Wir finden aber im INSPIRATIO-Geschenkeladen welche zu kaufen und bekommen auch gleich einen Stempel für die gelaufenen Strecken. Alle Orte, an denen man Stempel bekommt, sind im Reiseführer festgehalten. Wer ein vollständiges Heftchen hat, bekommt ein Diplom und wird sogar auf die Internetseite des Projekts eingetragen.
Via Transilvanica ist ein Erlebnis. Es bietet viele Überraschungen, die die Reise unvergesslich machen: eine Führung in deutscher Sprache, die Schwester Tatiana im Kloster Sucevița anbietet, die atemberaubenden Landschaften in der Bukowina, Palinka und Langosch bei Szeklern zu Hause oder eine herrliche Mahlzeit bei Bio-Moșna in Meschen. Persönliche Geschichten von Küster, die die Schlüssel zu Wehrkirchen bewahren oder der Empfang durch die Blaskapelle des Dorfs bleiben bestimmt in Erinnerung, ebenso wie der Anblick einer Frau, die im Fluss ihre Wäsche in der Walkmühle wäscht. Die Entdeckung der Nationalparks Retezat, der Ruinen der Festung Ada Kaleh auf der Insel Șimian oder einfach nur das Liegen auf ruhigen Blumenwiesen wecken den Wunsch, den Wanderpass mit allen Stempeln zu füllen.
Laura Căpătână Juller
Gemeinsam sind Hunderte am 5. Juni aus Zarnesti nach Törzburg gegangen. Für die Instandhaltung und Wartung dieses Wegs und der weiteren über 1.400 Kilometer sind Freiwillige zuständig. Foto: Via Transilvanica
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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