Der wunderschöne Zeidner Aufenthalt
23.06.23
Zu: Friedrich Müller „Mein Zeidner Jahrzehnt. Tagebuchseiten eines Feintäschners aus Offenbach am Main. 1925 – 1935 in Siebenbürgen in Rumänien“. 2022, Herausgeber: Zeidner Nachbarschaft. ISBN 978-3-9819831-1-1
In der neuen Buchreihe der Zeidner Nachbarschaft „Zeidner MERKwürdigkeiten“ ist im Vorjahr der Nachdruck eines Familienbuches von Friedrich Müller über sein zwischen 1925 und 1935 in Siebenbürgen, hauptsächlich in Zeiden verbrachtes Jahrzehnt erschienen. Friedrich Müller (1902 – 1982) war ein Feintäschner („Portefeuilleur“) aus Offenbach am Main der eigentlich zusammen mit seinem Freund Josef Disser für ein Jahr bei der Zeidner Lederfabrik Georg Göbbel & Co eine vertraglich vereinbarte Arbeitsstelle antreten sollte. In Zeiden fühlte er sich so wohl, dass aus dem einen Jahr ein Jahrzehnt wurde. Mehr noch - da hat er Ida Stolz geheiratet, eine Familie gegründet und ist so zu einem Zeidner geworden. Rückblickend gehörte für Müller diese Zeit „zu den schönsten Erlebnissen und Erinnerungen meines Lebens“.
Die eigentlich nur für seine Kinder und Enkelkinder gedachte Schilderung jener Jahre die er mit vielen Familienfotos und Postkarten illustrierte, gelangte als Kopie in den Besitz von Altnachbarvater Balduin Herter und von ihm in die Hände des Altnachbarvaters Udo Buhn. Letzterer war so begeistert von Müllers Erinnerungen, wie er in der Einleitung zum Band schreibt, dass er an eine Veröffentlichung des Familienbuches dachte die einen breiteren Leserkreis (vor allem selbstverständlich die Zeidner) erreichen würde. Mitgewirkt haben dabei außer Udo Buhn (der die Fotos eingescannt hat), Heidenore Glatz (Digitalisierung des Typoskripts) und Carmen Kraus (Lektorat und Layout). Als Herausgeber kommen hinzu: Georg Aescht (der auch das Nachwort zeichnet), Nachbarvater Rainer Lehni, Annette Königes und Helmuth Mieskes.
Der Schwerpunkt der Schilderungen liegt auf Zeiden, eine Ortschaft von der Müller bei seiner Ankunft noch nichts wusste. Deshalb war seine Überraschung umso größer als er „eine aufstrebende Gemeinde, eine angehende Stadt“ entdecken konnte. Beeindruckt war er von dem regen Kulturleben der Sachsen, von deren Geschichte und Brauchtum. Die Details zur eigenen Hochzeit geben Aufschluss über den damaligen Wohlstand und sind ein Zeitdokument der damit verbundenen Traditionen, einschließlich die Aufzählung des reichen Menüs und dessen Zubereitung. Bei so einer Hochzeit waren viele im Einsatz. Ein aussagekräftiges Detail dazu sei hier als Beispiel angeführt: „Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass die etwa 40-50 freiwilligen Helferinnen für die Küche sowie die vielen Serviererinnen und Servierer alle aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis der Brautleute ehrenhalber diese aufopfernde Tätigkeit übernehmen. Dazu gehört in erster Linie eine qualifizierte Köchin, die besonders auf so großen Hochzeiten von etwa 300 bis 400 Hochzeitsgästen eine hervorragende Spezialistin auf diesem Gebiet sein muss.“ Beeindruckt war Müller von den „Kränzchen“ („lebenslange Freundschaften“) sowie von den Nachbarschaften als gelebte Gemeinschaft.
Ausführlich beschrieben wird „Das sächsische bäuerliche Leben auf unserem Stolzen-Hof“ und das zu einem Zeitpunkt in dem in Zeiden die Industrialisierung ihren Einzug gehalten hatte. Die Ortschaft zählte damals rund 5.100 Einwohner und es gab bereits, wie Müller vermerkt, drei große Schlossereien, eine landwirtschaftliche Maschinenfabrik, eine Weberei, ein Sägewerk und mehrere holzverarbeitende Fabriken „in denen vor allem Möbel bis zu den feinsten Ausführungen fertiggestellt wurden“. Besonders hervorgehoben müssen die Gärtnereien werden, die größten Rumäniens in jener Zeit von denen heute nichts mehr übrig geblieben ist. „Selbst die rumänische Königin Maria kam von ihrem königlichen Schloss aus Sinaia nach Zeiden, um sich in der Gärtnerei Thomas von Kraus eigenhändig Nelken zu schneiden.“
Müller war ein leidenschaftlicher Wanderer und Schwimmer. Beiden Hobbys konnte er da in seiner Freizeit in vollem Umfang nachgehen. Er beschreibt seine recht abenteuerlichen Ausflüge auf den Butschetsch, wie auch seine Wanderungen zum „hohen Schuler“ und zur „steilen Zinne“, wie auch den „kaum zu erwartenden Aufstieg auf den Zeidner Berg“. Ein Kapitel ist der Tier- und Vogelwelt in Siebenbürgen und in Zeiden gewidmet. Als Schwimmer der bereits in seiner Heimat Erfolge vorweisen konnte, war für Müller das Anfang der 1930-er Jahre neu entstanden Zeidner Waldbad mehr als willkommen. „Für mich war die 50 Meter große Schwimmerbahn des neuen, vergrößerten Waldbades das schönste Geschenk, das ich je erhalten konnte.“ Müller konnte sich bereits 1927 erfolgreich an den rumänischen internationalen Landesschwimmmeisterschaften in Sächsisch-Regen beteiligen „und dem sächsischen Schwimmsport zu einem großen Erfolg verhelfen“, wie er vermerkt. Da war sein Sieg beim Schwimmfest in Heldsdorf nicht mehr so beeindruckend. Am Sankt-Annen-See bei Tuschnad sorgte er für Aufsehen als er es wagte, von dem einen zum anderen Ufer des Sees zu schwimmen.
Friedrich Müller schildert auch seine in Lugosch als Betriebsleiter bei der größten rumänischen Lederwarenfabrik „Carol Kiszela“ verbrachte Zeit mit den damit verbundenen Problemen von finanziellen Experimenten bis zu Bestechungsversuchen.
Die Zeit in Zeiden bleibt aber für ihn in bester Erinnerung was seine Jahrzehnte später verfasste Schilderung beweist. Dank der Zeidner Nachbarschaft ist nun sein Familienbuch zur interessanten und angenehmen Lektüre für all jene geworden, die an dem sächsischen Leben in Zeiden vor bald hundert Jahren interessiert sind.
Ralf Sudrigian
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