Deutschsprachige Literatur Rumäniens – ein einmaliges Phänomen
04.11.10
Kurzinterview mit Ingmar Brantsch anlässlich seines 70. Geburtstages
Ingmar Brantsch wurde am 30. Oktober 1940 in Kronstadt geboren. Nachdem er 1946 da die deutsche Volksschule besuchte, wechselte Brantsch 1953 zum Saguna-Lyzeum. Zwischen 1957 und 1962 studierte er Germanistik und Romanistik an der Universität Bukarest. In den darauf folgenden Jahren wirkte er als Redakteur und Bibliothekar bei „Casa Scânteii“ um anschließend als Deutschlehrer in seiner Heimatstadt am Abendgymnasium, an dem später wieder „Johannes Honterus“ benannten Gymnasium und an der Allgemeinschule Nr. 14 (Bartholomae) tätig zu sein. 1970 erfolgte seine Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland, wo er als Zweitstudium Deutsch, Philosophie, evangelische Religionskunde, Geschichte und Pädagogik an den Universitäten in Köln und Bonn studierte. Seit 1978 als Assessor und ab 1987 als Studienrat ist Ingmar Brantsch an verschiedenen Gymnasien in Köln tätig, wobei er ab 1998 bis heute auch als Lehrer in der Außenstelle des Abendgymnasiums in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf unterrichtet. Brantsch hat in Rumänien 1967 Gedichte und ein Essay im Band „Deutung des Sommers“ veröffentlicht. In Deutschland erschienen von ihm Gedichte, Kurzprosa, pädagogische Essays und Erfahrungsberichte sowie von Brantsch als „ironische Autobiographie“ bezeichnete Erinnerungen aus seinen in Rumänien verbrachten Jahren („Ich war kein Dissident“, 2009, Pop-Verlag, Ludwigsburg). Ingmar Brantsch ist ein guter Kenner der deutschsprachigen Literatur sowohl in Rumänien als auch in Ungarn und Russland – ein Themenbereich in dem er immer wieder mit Studien, wissenschaftlichen Mitteilungen, Artikeln präsent ist. Insgesamt sind es nun mehr als 500 Veröffentlichungen in Presse, Funk und Fernsehen die Ingmar Brantsch zum Autoren haben. Der heute in Köln lebende Kronstädter, der Mitglied mehrerer literarischen Gesellschaften sowie Mitglied des Vereins für siebenbürgische Landeskunde ist, antwortete für die KR per E-Mail auf die von Ralf Sudrigian gestellten Fragen.
Wie haben die in Kronstadt verbrachten Jahre Sie in Ihrer weiteren Tätigkeit geprägt?
Grundsätzlich haben sie mich geprägt. Als Schüler der deutschen Volksschule habe ich auch in der Zeit des rumänischen Ostblocksozialismus noch voll die protestantische Arbeitsmoral mitbekommen. Sie hat mir in meinem späteren Leben über manche bittere Stunde hinweggeholfen, wenn ich, statt zu verzweifeln, Etwas arbeitsintensiv angegangen bin. In dem rumänischen Gymnasium habe ich zu meinem großen Erstaunen eine ungeahnte Flexibilität und Weltgewandtheit sowie eine Bewunderung für die deutsche Kultur, insbesondere die deutsche Romantik, deren Anhänger auch der rumänische Nationaldichter Mihai Eminescu war, erlebt. Bis heute fühle ich mich im lateinischsprachigen Raum, sei es Frankreich, Italien, Spanien oder die rätoromanische Schweiz, zuhause wie in Transsilvanien. Vor allem habe ich sowohl in der deutschen wie auch in der rumänischen Schule eine Sprachsensibilität vermittelt bekommen, die mir immer wieder zeigt, dass es niemals auf das wortwörtliche Mot-a-mot ankommt, sondern immer auf das sinngemäße und nationalspezifisch Einmalige.
Welches waren seinerzeit die Beweggründe für Ihre Auswanderung?
Ich war einfach verzweifelt, dass meine Bemühungen, die rumäniendeutsche Literatur mitzumodernisieren - zusammen mit den Koryphäen der jungen Nachwuchsliteraten, Dieter Schlesak, Paul Schuster, Hans Liebhardt, Nikolaus Berwanger und vor allem auch Oskar Pastior - gescheitert waren durch das Verbleiben von Oskar Pastior und Dieter Schlesak im Westen.
Wie schätzen Sie die Perspektiven einer hierzulande geschriebenen rumäniendeutschen Literatur ein, wenn man bedenkt, dass es an Lesern und Literaturkritikern mangelt? Oder wird Literatur auch ein „Exportartikel"?
Wie ich schon 2007 in der Essay-Sammlung „Das Weiterleben der rumäniendeutschen Literatur nach dem Umbruch" versucht habe, zu belegen, dass es dieses einmalige Phänomen einer selbstständigen deutschsprachigen Literatur Rumäniens weitergeben kann, möchte ich nach den großartigen Erfolgen im Laufe der 20 Jahre seit dem Umbruch dies noch einmal bekräftigen und zum Weitermachen ermuntern. Bedeutende Autoren wie Eginald Schlattner, Joachim Wittstock, Hans Liebhardt, Annemarie Podlipny-Hehn, Walther Gottfried Seidner, Carmen Puchianu, wirken nach wie vor in der alten Heimat vor Ort. Hinzu kommt das einmalige Phänomen einer deutschen Literaturschreibung von rumänischsprachigen Autoren und Autorinnen, die die deutschen Kindergärten und Schulen besucht haben und in einem anschaulichen, mentalitätseigenen Sprachgebrauch deutsche Literatur verfassen, wie es sie bisher noch nicht gegeben hat. Ein Beispiel auch für andere Länder, wie Ungarn und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, wo noch deutsche Minderheiten leben und auch schreiben.
Die deutschsprachige Literatur Rumäniens vor Ort in der alten Heimat ist der eine wichtige Brückenpfeiler für die Brücke in die Bundesrepublik, wo die ausgewanderten rumäniendeutschen Autoren mehr oder weniger erfolgreich auch versuchen, ihre Literaturproduktion fortzusetzen. Einigen ist es gelungen - siehe Herta Müller, Oskar Pastior, Franz Hodjak, Hellmut Seiler, um nur einige der Wichtigen zu nennen -, andere sind, leider Gottes, trotz ihres großen Talentes verstummt, wie z.B. Bernd Kolf und Günther Schulz. In Rumänien hingegen gibt es inzwischen die „Stafette-Generation", die wir schon erwähnt haben, zu der aber auch noch unbedingt Robert Tari hinzugezählt werden muss, die durchaus eine Garantie für das Weiterleben dieses einmaligen gesamteuropäischen Kulturphänomens sein können. Deshalb sollte die Förderung, die die Bundesrepublik und Österreich der rumäniendeutschen Literatur zukommen lassen, gerechterweise in viel größerem Ausmaße die in Rumänien wirkenden Deutschschreibenden berücksichtigen. Denn sie sind für den Bundesdeutschen, Österreicher, Schweizer, Luxemburger, Südtiroler, Nordschleswiger, Belgiendeutschen, Elsässer und nicht zu vergessen auch Liechtensteiner eine echte Alternative zu dem oft monotonen unisono Klagelied, das einige im Westen verbliebene und hier nicht so recht angekommene selbsternannte rumäniendeutsche Kulturspezialisten anstimmen. Der Alltag in der alten Heimat vor Ort zwingt die verbliebenen rumäniendeutschen Autoren geradezu, sich mit den neuen Gegebenheiten aus ihrer persönlichen Sicht auseinandersetzen zu müssen. Somit bilden sie die einzige deutschsprachige authentische Literatur der Transformationszeit nach dem Umbruch, da sie alle Erfahrungen der Mehrheitsnation mitmachen, mitgestalten und auch mitverantworten. Ihre Aktivitäten müssen endlich mal richtig gewürdigt werden. Und das europaweit!
Ingmar Brantsch mit einer lebendigen Rote Chilevogelspinne in den Händen - „Als Skorpion gehört die Spinne zur Verwandtschaft" scherzt der gebürtige Kronstädter.
Foto: privat
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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