Die „Benzinvergiftung“ (III)
25.02.10
Eine LieBiss-Geschichte / Von Walter Gottfried Seidner
Und weil sich die sprachlichen Schwierigkeiten häuften, versuchten sich die Beiden zuerst im Rumänischen, dann im Deutschen – sie blieben jedoch bis zuletzt im Sächsischen.
Ja, aber es zeigte sich bald, dass das „oberländische“ sich mit dem „niederländischen“ Sächsisch nicht gleichen wollte. Jetzt war die Reihe an dem jungen Mann laut aufzulachen. Und das ging noch eine Weile vom einen zum andern etwa so: „Wie sagt man bei euch?“ – „So sagt man bei uns!“ – „So sagt man bei uns zu etwas ganz anderem.“
Zuletzt fragte Minichi:
„Woran bist du operiert worden?“
„Nun, ich habe seit meiner Kindheit geschickelt (Schielen). Was haben mich meine Schulkameraden gehänselt! Sie sagten: Mit einem Auge schielst du nach dem Speck, mit dem andern nach dem Brot und der Zwiebel.“
„Dann ist es dir ähnlich ergangen wie mir. Mein linkes Augenlid hing herab und ich musste mir ständig anhören: ‚Pass auf, dein rechtes Auge fällt dir in den Mund’.“
Solche und ähnliche Erfahrungen tauschten sie aus. Dann nahm Minichi den Georg Wenrich – denn so hieß er - bei der Hand und führte ihn hinauf in den zweiten Stock, zu seinem Krankenraum.
Am nächsten Tag holte Minichi den Georg ein weiteres Mal ab für einen Spaziergang durch den Kurpark. Sie nahm ihn sachte bei der Hand und Georg ließ sich leiten. Schließlich tauschten sie sich aus über das Leben im Niederland und im Oberland. Und der Augen verbundene Georg konnte nicht genug erfahren, vor allem darüber, wie Minichi eigentlich aussah. Schließlich ergab er sich in sein Schicksal, indem er meinte:
„Du wirst ja so aussehen, wie dein Lachen klingt.“
Schnell noch die Rufnummern ausgetauscht und die Anschriften von Lorzendorf und Maidenbach aufgezeichnet, und der Abschied konnte erfolgen. Das Aufschreiben musste Minichi besorgen; ihr stand ja zumindest ein Auge zur Verfügung. Und weil sie erst jetzt ihren Namen preisgab, konnte Georg bemerken:
„Maria Kainzel – welch hübscher Name. Ich werd dich dann anrufen“. Und Minichi – von ihrer Mutter abgeholt – ließ den Georg buchstäblich im Dunkeln zurück.
Kurz vor dem Weggang aus dem Krankenhaus nahm die Assistentin Minichi den Verband von den Augen und Dr. Aleman stellte sie vor den Spiegel. Sie sah sich mit beiden Augen an und ihre Freudentränen „scheppelten“, wie es im Sächsischen heißt. Den Schafkäse und die Büffelmilch wollte Dr. Aleman nicht annehmen; aber die Kirchenmutter war nicht abzuweisen.
Es herrschte ja nicht nur bei Rumänen die Denkweise: Wer sich nicht redlich bedankt, dem hilft die Wohltat nicht.
Zu Hause in Lorzendorf änderte sich das Leben der Minichi von Grund auf. Ihr Selbstwertgefühl kehrte zurück, ja es wurde sogar überhöht. Die Vaideminichi gab es einfach nicht mehr.
Von Stund an kamen die drei Anwärter Gyirko, Miértchi und Hanni Abend für Abend vor das Gassentor der Familie Kainzel, aber Minichi war keine „Weh-mir“ mehr. Sie ließ sich auch nicht herbei, an Tanzabenden und in der Rockenstube mitzuhalten. Sie würdigte ihre alten-neuen Bewerber - keines Blickes. Sie hatte eben beide Rollläden herabgelassen – bildlich gesprochen, versteht sich.
Mittlerweile wurden Fäden gesponnnen zwischen Maidenbach und Lorzendorf. Die erste Nachricht kam von Georg Wenrich: Er sei wieder zu Hause und die Operation sei gut gelungen, er sehe jetzt nur noch nach dem Speck, denn mit Speck fängt man Mäuse. Und noch etwas: Georg wolle nach Lorzendorf kommen, um die Minichi zu „heischen“ (zur Verlobung auffordern).
Sie wehrte aber ab:
„Meine Eltern nehmen keinen Windhund in Betracht: verschrobene Wettermacher gäbe es im Nösnerland ihrer genug!“
Georg ließ sich jedoch nicht abweisen. Er stand eines Tages im Frühherbst auf dem Lorzendorfer Bahnhof, fragte sich durch die Gemeinde und stand plötzlich vor seinen zukünftigen Schwiegereltern mit der Bitte, die Tochter heiraten zu dürfen.
Minichi war im Weingarten, in der ersten Lese: Gutedel und Perle von Csaba. Man ließ sie rufen. Und sie kam.
Und nun standen sie sich gegenüber und sahen sich in die Augen - zum ersten Mal in beide Augenpaare - und es geschah auf der Stelle, dass sie sich mit Lachen um den Hals fielen: Liebe auf den zweiten Blitz. Was zählte es, wenn man bis hierher eine etwas getrübte Vorstellung voneinander hatte.
Das Augenlicht brachte volle Klarheit.
Nach der Weinlese wurde in Lorzendorf Verlobung gefeiert und an Mariä Lichtmess die Hochzeit in Maidenbach.
Bis dahin aber sollten sich die einzelnen Abläufe ineinander verbeißen.
Die drei abgeblitzten Verehrer wollten die Schmach der Ablehnung nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Und dann: Was hatte ein „Niederländer“ in Lorzendorf zu suchen! Und so kam es zu einem unliebsamen Zwischenspiel. Die drei Verschmähten schmiedeten einen Anschlag auf den Eindringling, ja sie wollten ihm sogar einen Denkzettel verpassen.
Nach der Verlobung erschien der Bräutigam etliche Male mit dem Motorrad in Lorzendorf. Er nannte das glänzende Chrom-Nickel-Gefährt seine „Gruiß Mäid“, denn sie war ein tadelloses Werkel der Marke Simson Suhl, 250 Kubikzentimeter: eine Viertakterin, wie sie im Buch steht. Er selbst trug eine ledergefertigte Motorradfahrerkluft und zum Schutz der Augen Spezialbrillen.
(Fortsetzung folgt)
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