Die „Benzinvergiftung“ (V)
11.03.10
Eine LieBiss-Geschichte / Von Walter Gottfried Seidner
Er war auch der einzige, der eine Fahrerlaubnis für Trecker besaß. Er hatte zwar eine Kabine um sich herum, nichtsdestotrotz musste er gut angezogen sein, weil es von allen Seiten zog. Er steckte in Filzstiefeln, trug eine wattierte „Schalopeta“ (Arbeitskleidung), eine Fellmütze und pelzgefütterte Fäustlinge.
In der Kombüse heizte ein kleiner Holzofen den Innenraum so zur Not an. Die Fahrt über Tekendorf, Reen, Neumarkt und Mediasch dauerte etwa fünf Stunden. Unterwegs wurde gesungen. Eine Tschutra (hölzerne Bauchflasche) mit Lorzendorfer Riesling wurde ebenfalls umhergereicht – und das feuerte den Gesang an.
Der Empfang war herzlich, und wie wir gleich sehen werden, durch eine Überraschung überhöht worden. Wer „über Land“ heiratet, muss sich gefasst machen, dass eine unerquickliche Ortsneckerei aus dem Hintergrund hervor schießt und die Gemüter erhitzt.
Wer wird wohl den Niederländern erzählt haben, dass in Lorzendorf während des Herbstes, wenn es tagelang regnete, Stelzen angelegt werden müssen? Des lehmigen Morastes wegen. Man ging sogar zur Kirche auf Stelzen. Mädchen und Frauen gleicher Weise. Darüber hinaus in der Kirchentracht. Nur die Männer konnten auf ihre Stiefel sicher sein, wenn sie auch im Morast bis zu den Knöcheln versanken. Die Schüler schnallten ihre Stelzen an, wenn sie zur Schule oder zum Konfirmandenunterricht gingen. Doch äußerst selten fiel jemand in den Morast. Dann gab es Lachen für die einen und Schrubben für die andern.
Diesmal erschien in Maidenbach zur Begrüßung der Oberländer eine stattliche Anzahl von hochzeitlichen Frauen auf Stelzen. Sie hatten sie aus der Nachbargemeinde Urselndorf geborgt; denn in Maidenbach waren die Wege geschottert und zum Teil asphaltiert. Nun standen sie in einer Reihe entlang der Hausfront und hießen die Oberländer herzlich willkommen. Das gab nun ein großes Gelächter auf Seiten der Maidenbacher. Die Lorzendorfer lachten wie der Töpfer, wenn das Tongefäß einen Sprung bekam. Zum Glück wurde alsbald der Willkommenswein ausgeschenkt und alles Volk hielt sich bereit für den Kirchgang.
Die Braut und ihre Mutter waren schon gestern angereist.
Minichi wurde nun in die Nösner Tracht eingekleidet: mit Trachtenkittel, Kirchenmantel und Schnürschuhen. Dann wurde ihr der Borten aufgesetzt mit den sogenannten Fronsen. Für Georg schickte es sich, das gestickte Hemd, das Halstuch, den Kirchenpelz und die Schaftstiefel anzulegen. Bis zuletzt gingen die Beiden so stattlich wie königlich im Gefolge der Adjuvanten. Den Bräutigam führten die Bittknechte, die Braut die Bittmägde. Der bekränzte Hut des Bräutigams und das perlenfarbene Myrthenkränzchen der Braut, das sie am oberen Rand des Bortens trug, das alles zeichnete sie aus vor allen andern Jugendlichen. Es folgten die Trauzeugen und ein Flor bunter Trachten, so zahlreich wie unüberschaubar. Nur die Hauchfahnen waren des Winters.
So ging es zur Kirche.
Pfarrer Heinrich, ein unvergleichlicher Redner, wusste das Ereignis gebührend auszuloten: er sprach über das dramatische Suchen und Finden, zu dem sich nun das beieinander Bleiben hinzugesellen möge. Dann kam es auch schon an den Ringwechsel, zum Niederknien und zum Kirchensegen. Nach der Einsegnung der jungen Frau sang der Jugendchor von der Orgelempore herab ein Lied in althergebrachter Kirchentonart, dass sich die Augen der Älteren mit Tränen füllten. Dr. Aleman ging es ebenso. Er, seine Frau, seine Tochter, ebenfalls Medizinerinnen, sie wurden in den Strudel dieser herben Rührung mit hineingezogen. Selbst ihre Seelen drängten nach den Augen.
Nach der Kirche ging es zum Hof des Georg; dort erfolgte das sogenannte Gaben. Der Hochzeitsvater hielt seine stehende Rede auf die Hilfsbereitschaft der Geladenen; schließlich galt es, dem Zustandekommen des neuen Hausstandes in jeder Hinsicht nach- und aufzuhelfen. Die jungen Leute hätten ihren Platz auf der Lebensschaukel eingenommen und es gelte nun, sie anzustoßen, ihnen Schwung zu verleihen. Sie hätten dann alleine und für sich weiterzustrampeln. Für das fürstliche Geschenk dankte der Hochzeitsvater anschließend mit Tränen in den Augen und in der Stimme.
Die Hochzeitstische im Saal bogen sich vor lauter Reichhaltigkeit und Segen. Und Pfarrer Heinrich sprach in seiner Tischrede über die „missglückte“ Operation, denn Georg habe das Schielen nicht verlernt. Er habe sogar bis nach Nordsiebenbürgen geschielt. Und Mini habe mit beiden Augen Ausschau gehalten nach dem, auf den sie ihr volles Vertrauen setzen würde. Die Blasmusik schmetterte einen Tusch in den Saal und die Begeisterung wollte kein Ende nehmen.
Zur Mitternacht griffen sich einige Lorzendorfer Frauen die Kerzen, die auf dem Fenstersims lagen und die für den Fall bereitgestellt wurden, wenn das Licht etwa ausgehen sollte; sie brannten sie an und hielten sie unter einige Teller. Mit dem so entstandenen Russ bestrichen sie ihre Gesichter. Dann betraten sie die Bühne und erzählten, sie seien auf die Straße hinausgetreten und der Wind von Klein Kopisch habe sie angeweht. Damals war die Russfabrik noch in Betrieb und die undichten Filteranlagen ließen den schwarzen Flaum nach Bäumen und Häusern ausschwärmen. Nun war es für die Lorzendorfer an der Reihe zu lachen. Eins ums andere, nichts umsonst. Mit Ortsneckereien ist nicht zu spaßen, oder aber die Ortsneckerei ist der einzige Spaß, den man überhaupt haben kann.
Und siehe da, auch der Fabi Hanni kam auf seine Rechnung. Die jüngere Schwester des Georg hatte es ihm angetan. Sie hieß Katharina und tanzte wie eine Spindel. Wie schwer er sich von ihr trennte, als er gegen Morgen sich einige Stunden aufs Ohr legen musste! Er sollte ja die Lorzendorfer Hochzeitsgesellschaft heil und wohlbehalten nach Hause befördern. Was ihm schließlich auch gelungen ist. Jedenfalls blieb Minichi im Niederland und Kathi kam im Herbst desselben Jahres ins Oberland. Eins ums andere, nichts umsonst.
Die „Benzinvergiftung“ war als erstes vergessen. Für Georg und Minichi, nicht aber für Lorzendorf. Oldem Gyirko und Stierl Miértchi hatten sich bis zuletzt selbst verraten. Bei einem Becher Lorzendorfer Riesling. Vielleicht mussten sie auch darum mit ihrem Minnedienst in die Nachbargemeinden ausweichen. Gerjeschthal und Lorzendorf blieben ihnen versagt. Gyirko blühte das Glück in Eibisch, Miértchi in Jakobsthal.
Als der große Regen die Nösner Landschaft heimsuchte und man in Lorzendorf nach den Stelzen greifen musste, kam auch das Hochzeitsgefühl wieder auf. Es hätte nicht viel gefehlt und die Trachtenhochzeit des Hanni und der Kathi hätte der Stelzen bedurft. Doch dann kam ein sonnig warmes Wetter auf - wie gerufen für eine sonnige Erinnerung an einen bemerkenswerten Tag.
Und weil der Volkswitz ständig auf der Lauer liegt, kam auch der Fabi Hanni nicht um einen Dorfnamen herum. Man nannte ihn den Zuckerhanni. Die Kathi aber hieß: det Zackerchen.
(Schluss)
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