Die Elektrifizierung Heldsdorfs
12.11.09
Das Elektrizitätswerk - Eine technische Meisterleistung (II)
Es wurde eine Francis Turbine installiert, die 110 PS leisten sollte. Als Reservekraft wurde eine halbstabile Dampfmaschine in getrenntem Maschinenraum montiert. Um bei Ausfall der Turbine bis zum Aufheizen der Dampfmaschine nicht ohne Strom zu bleiben, wurde eine Akkumulatorenbatterie eingebaut, die nachts, bei geringem Stromverbrauch, aufgeladen wurde.
Das Gebäude wurde von Heldsdörfer Baumeistern errichtet. Die Masten für das Leitungsnetz aus Eisenbeton gefertigt, Schotter war ja reichlich vorhanden. Von der Form her schön und einmalig, tun diese auch heute, nach 100 Jahren, ihren Dienst, ohne jede Spur von Verwitterung. Um den Spannungsabfall in Grenzen zu halten, mussten viele Drähte mit großem Querschnitt verlegt werden. Diese Last hätte von Masten aus Holz nicht getragen werden können. Kupfer war auch damals nicht gerade billig, was die Kosten gewaltig in die Höhe trieb. Die Eckmasten sind aus Eisen und wurden vom Mechanikermeister Andreas Liess (Türkgasse 180/166) angefertigt. Wenn man diese heute betrachtet, kann man eine verblüffende Ähnlichkeit mit den jetzigen Hochspannungsmasten feststellen, was den konstruktiven Aufbau (Festigkeitslehre!) anbelangt.
Zu Weihnachten 1909 brannte erstmals elektrisches Licht auf den Straßen in Heldsdorf. Am ersten Abend erschienen die Heldsdörferinnen mit Regenschirmen auf der Straße, um von dem „starken“ Licht nicht geblendet zu werden! Heiligabend 1909 war auch der Weihnachtsbaum in der Kirche elektrisch beleuchtet. Wenn damals das erste Mal elektrisches Licht brannte, hieß das noch lange nicht, dass es auch in jedem Haus brannte. Dieses wurde mit nach und nach erst eingeführt, meist zuerst nur in die Wohnungen (gute Stube), obwohl das Leitungsnetz in allen Straßen (auch in den rumänischen Gassen) vorhanden war. Mit der Inbetriebnahme des Elektrizitätswerkes tauchten auch neue Berufe auf und zwar, der des Elektro-Installateurs und der des Maschinisten-Turbinenwärters. So klangvoll auch letztere Berufsbezeichnung klingen mag, war es keine leichte Arbeit. Rund um die Uhr musste der Rechen vor der Turbine sauber gehalten werden und da gab es einiges zu tun im Herbst, wenn die Blätter fielen oder wenn Treibeis kam.
In den ersten Jahren arbeitete die Aktiengesellschaft unrentabel. Die Zinsen für die hohen Kredite waren erdrückend. An eine Gewinnausschüttung an die Aktionäre war nicht zu denken.
Um den Stromabsatz zu erhöhen, stellten 4 Dreschmaschinengesellschaften den Betrieb auf elektrischen Antrieb um. Eine Dreschsaison lang lieferte das E-Werk den Strom unentgeltlich, um die Anschaffung der Elektromotoren zu erleichtern. Die Dampflokomobile wurden verkauft, das teure Brennholz musste nicht mehr beschafft werden, der Transport der Dreschgarnitur von Hof zu Hof war bedeutend leichter und vor allem sank die Feuergefahr erheblich. Durch die höhere Belastung während der Dreschzeit sank die Spannung im Netz erheblich, so dass die Motoren nicht mehr die erforderliche Drehzahl hatten, um der Dreschmaschine die benötigte Kraft zu geben. Die Folge: es blieben Körner in den Ähren, wovon die Heldsdörfer nicht gerade begeistert waren. Dieser Unmut konnte nur mit dem Stolz, etwas zu haben, was andere Gemeinden nicht hatten, weggemacht werden. Nach einem Jahr wurde vereinbart, für den Strom je Motor, 150 kg Braugerste pro Dreschtag, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, zu leisten, wodurch die Einnahmen des E-Werkes stiegen. Während des 1. Weltkrieges wurden die Strompreise unwesentlich erhöht. Die letzten sächsischen Bewohner führten elektrischen Strom in ihre Wohnungen ein. Die Petroleumlampen wurden abgestellt, wodurch die Feuergefahr weiter sank.
1918 wurde Siebenbürgen in den rumänischen Staat eingegliedert. Die Aktien von 100 Kronen wurden zu 50 Lei eingetauscht. Das Aktienkapital betrug demnach: 103 Aktien zu 50 Lei = 51.500 Lei.
Die evangelische Kirchengemeinde hatte einen beträchtlichen Grundbesitz, den sie verpachtete. Die Einnahmen aus der Verpachtung wurden hauptsächlich für die evangelische Schule verwendet. Durch die Agrarreform vom Jahre 1923 verlor die evangelische Kirche den größten Teil dieses Grundes und damit auch die Einnahmen. Um diesen Verlust wegzumachen, wurde erwogen, das Elektrizitätswerk schon vor Ablauf der 30 Jahre zu übernehmen, obwohl es ein unrentables Unternehmen war.
Um das Geld für den Ankauf der Aktien aufzubringen, beschloss die Kirchengemeindevertretung, die Einhebung einer 1800 %-igen außergewöhnlichen Umlage. Dieses klang nach sehr viel, richtete sich aber nach den landwirtschaftlichen Steuern, die damals sehr klein waren. Weniger gut schnitten die Kaufleute, Gewerbetreibende und die freien Berufe ab. Die Umlage konnte auch mit Aktien bezahlt werden.
Gleich nach Übernahme des Betriebes wurde an die wirtschaftlichere Gestaltung desselben geschritten. Die Akkumulatorenbatterie, die in der Wartung und im Betrieb sehr teuer war, wurde verkauft und in den freigewordenen Raum eine Flachmühle installiert. Obwohl die Turbine tadellos gewartet, war sie doch schon technisch veraltet. Sie hatte noch keinen automatischen Drehzahlregler und so begannen die Spannungsschwankungen schon während der Erzeugung. Um diesem Übel ein Ende zu setzen, beschloss der Verwaltungsrat eine neue, leistungsfähigere Turbine anzuschaffen. Diese wurde von der weltberühmten Wasserturbinenfabrik I.M. Voith, Heidenheim an der Brenz, aus ihrem Zweigwerk St. Pölten (Österreich) geliefert. Sie leistete 160 PS bei einem Wasserdurchfluss von 4 Kubikmeter/sek.
(Fortsetzung folgt)
Karl-Heinz Brenndörfer
Foto: Schlachthaus und Schleuse auf einer alten Heldsdorfer Ansichtskarte
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