„Die Freude an der Musik ließ mich jede Arbeit gerne auf mich nehmen…“
25.07.25
Kronstädter Musikerinnen (XVI): Komponistin, Organistin, Pianistin und Musikpädagogin Gabriele Einzig-Klees (1895-1989)
Das Typoskript der 16. Folge der Beiträge über Kronstädter Musikerinnen, einer Dokumentation aus dem Jahr 1943, trägt den Titel „Gabriele Klees / Organistin“. Es handelt sich um einen autobiographischen Text, der mit folgenden biographischen Daten ergänzt werden kann: Gabriele Klees wurde am 12. Dezember 1895 als Tochter des Kaufmanns Rudolf Klees (1873-1897) und der nachmaligen Tabaktrafikantin Rosa Elisabeth geb. Krauter (geb. 1873) in Kronstadt geboren. Sie heiratete erst nach dem Zweiten Weltkrieg den Ingenieur Eugen Einzig (gest. 1962) und trug seither den Doppelnamen Einzig-Klees. Sie verstarb am 26. April 1989 in Kronstadt. Eine ausführliche Darstellung ihres Lebens und Wirkens erschien im Jahr 1988 in der Wochenschrift „Karpatenrundschau“ (1).
Oft wurde mir erzählt, dass ich als einjähriges Kind nach den Tönen der Musik mich streckte, wenn mein Vater Flöte blies oder geigte oder meine Tante Klavier spielte. Ich musste immer dabei sein. Leider konnte ich meinem Vater, der Philharmoniker war, nicht lange zuhören, denn er starb, als ich eineinhalb Jahre alt war. Meine Tante nahm mich oft zum Klavier, so dass sie mir den ersten Unterricht gab, als ich vier Jahre zählte. Ich wollte immer schwerere Stücke spielen, aber ich musste ordnungsgemäß lernen. Als ich sieben Jahre alt war, übte ich unbeachtet die II. Rhapsodie von Liszt. Mit Interesse hörte ich die Promenadenmusik und die Musik in Badeorten; zuhause spielte ich das Gehörte nach. Mit zwölf Jahren lernte ich Violinspiel von Musiklehrer Andreas Antal. In der Schule musste ich in den Selbstbildungsstunden stets Klavier spielen. Unser Musiklehrer meinte, ich müsste aufs Konservatorium.
1910 kam ich zum Konservatorium, dessen Leiter Josef Stadtler, Organist an der röm.-kath. Kirche, war, und lernte Klavier, Violine u. Harmonielehre.
1911 spielte ich bei der Wlassics-Feier (2), die zu Ehren des Obergespans Graf Mikes (3) in der Redoute stattfand, die „Polonaise“ von Scharwenka.
1913 rückte mein Lehrer Josef Stadtler zum Militär ein. So kam ich zu Musikdirektor Rudolf Lassel. Er nahm mich jedes Mal, wenn er übte oder spielte, zur großen Orgel mit. Ich habe links registriert und Adolf Weiß (4) rechts. Da bekam ich Lust zum Orgelspiel und lernte nun auch dieses, neben Klavier, Theorie und Musikgeschichte. Musikdirektor Lassel hatte auch einen Mädchenkirchenchor, er entdeckte meinen hohen Sopran und ließ mich des Öfteren Soli singen, er riet mir auch, meine Stimme für Kirchengesang ausbilden zu lassen. Ich nahm bei ihm Unterricht. So bereitete ich mich für die höhere Musikschule in Deutschland vor. Zu gleicher Zeit nahm ich vom Stadtkapellen-Mitglied Franz Dvorak Unterricht im Harfenspiel.
1915 studierte ich bei Operndirigent Math. Csányi Operngesang, 1916 bei Prof. Egon Hajek Mythologie und 1918, als Musikdirektor Rudolf Lassel starb, auch Musikgeschichte.
1917-1918 war ich als Organistin in der röm-kath. Franziskanerkirche angestellt.
1918 im Januar starb Musikdirektor Rudolf Lassel. Im März kam eine Bekannte aus Deutschland von der Musikhochschule, die mir eine neue Methode des Klavierspiels zeigte, ich versuchte diese und zog mir eine langwierige Sehnenzerrung zu, so dass ich nicht mehr spielen konnte und meine Hand pflegen musste.
Im Mai desselben Jahres kam unsere bekannte Klaviervirtuosin Selma Honigberger heim. Ich bat sie, mich für die Aufnahmsprüfung zur Akademie vorzubereiten. Gleichzeitig lernte ich beim Organisten der Obervorstädter Kirche Adolf Weiß auf der neuen Orgel das Orgelspiel. Die Sehnenzerrung meiner Hand nahm wieder zu. Meine Lehrerin riet mir von der Auslandsreise ab, ich jedoch wollte es erzwingen. Der politischen Schwierigkeiten wegen, die sich in Deutschland zeigten, wollte meine Mutter mich nicht so weit fort lassen, und so richteten wir uns für Budapest vor.
Am 1. September 1918 reisten wir mit meiner Mutter nach Budapest, wo ich die Aufnahmsprüfung an der Fr.-Liszt-Hochschule ablegte, aufgenommen wurde und bei Prof. Karl Székely Privatstunden nahm. Da sich jedoch meine Sehnenzerrung wieder stärker bemerkbar machte, die politische Lage sich auch in Budapest verschlechterte, rieten mir die Ärzte und Lehrer, nach Hause zu reisen. Mit Prof. Mattis Teutsch (5), der zur Zeit eine Ausstellung in Budapest veranstaltete, kam ich heim, kurz vor dem Ausbruch des Kommunismus in Budapest.
Nun folgte eine Pause von 3 Jahren, in denen ich wegen der Sehnenzerrung nicht mehr spielen durfte.
1918 kam Musikdirektor Paul Richter (6) vom Militär zurück. Da ich meine geliebte Musik nicht aufgeben konnte, begann ich bei ihm mit Kompositionslehre, Gesang korrepetieren und linkshändige Klavierstücke zu spielen. Hier hörte mich Prof. Emil Honigberger singen und führte mich in den Kronstädter Männer-Gesangverein ein, wo ich des Öfteren in Soloquartetten mitsang. Gleichzeitig konnte ich die philharmonischen Proben besuchen, was mir große Freude machte. So wurde ich auch neu gründendes Mitglied der Philharmonischen Gesellschaft.
1922 musste ich meine Studien bei Musikdirektor Richter unterbrechen, da er seine „Karpatische Suite“ fertigschreiben wollte. So kam ich zu Musikdirektor Bickerich, wo ich nun Bach und seine Zeit studierte. In dieser Zeit fing ich wieder mit dem Klavierspielen an.
Von 1922-1924 wurde ich Organistin in der ung.-evang. Kirche, bis die Gemeinde einen Lehrer bekam, der zugleich auch Organist war.
In derselben Zeit lernte ich bei Frau Lula Dörschlag singen.
1924 kam ich zu Musikdirektor Richter zurück. Habe fleißig komponiert, Chöre, Lieder, Klavierstücke usw. und auch zwei Ballette, „Waldmeisters Brautfahrt“ und „Der Schüchterne“. Die Librettos bekam ich von Prof. Hans Bulhardt (7), bei dem ich Kunstmalen, Mythologie, Kunstgeschichte und Bühnenliteratur studierte. Habe bei vielen seiner Aufführungen mitgeholfen, bis zum Jahre 1937, in welchem Jahre er starb.
1927-1929 war ich Organistin und Chordirigentin in der reform. Kirche. Habe sehr schöne Beweise über die Aufführungen. In dieser Zeit lernte ich bei Musikdirektor Richter den Dresdener Historiker Dr. Erich Müller (8) kennen. Ich erhielt von ihm ein Formular, welches ich unbedacht und mangelhaft ausfüllte, und so kam ich in das „Dresdener Musiker-Lexikon“.
In dieser Zeit arbeitete ich an der Oper „Die versunkene Krone“, welche ich von Prof. Bulhardt dediziert bekam. Sie war für die 800-Jahrfeier der Stadt Kronstadt bestimmt.
1929 sollte ich an das rumän. Mädchen-Lyzeum als Musiklehrerin ankommen, aber ich hatte kein Zeugnis von einem rumän. Konservatorium. Da bereitete mich Prof. Richter für das Kronstädter rumän. Konservatorium „Astra“ vor, wo er unterrichtete.
1931 wurde ich am „Astra“ Konservatorium geprüft, u. zw. von E. Bernfeld – Klavier, C. Bobescu-Canan (9) – Fuge, Paul Richter – Orchestration. Ich erhielt ein gutes Zeugnis als Musiklehrerin.
1933-1934 erhielt ich wieder die Stelle als Organistin in der röm.-kath. Franziskanerkirche und erhielt bei meinem Scheiden lobende Anerkennungsschreiben, auch für meine musikalischen Aufführungen dortselbst.
1936 vertrat ich den Organisten in der evang. Martinsberger Kirche durch drei Monate. – Im Männer-Gesangverein arbeitete ich fleißig mit, leitete und studierte im Frauenchor musikalische Tanzaufführungen ein. Die Freude an der Musik ließ mich jede Arbeit gerne auf mich nehmen. Es sind über 100 Darbietungen verschiedener Art, die ich leitete, darunter auch größere Aufführungen, in verschiedenen Vereinen. Dass diese Aufführungen Beifall fanden, ist aus den vielen Dank- und Anerkennungsschreiben ersichtlich, die ich besitze.
Neben der Musik vernachlässigte ich meine völkischen Pflichten nicht. Meine Mutter, seit 1912 Zehntfrau und später Nachbarhannin, regte mich zu solch völkischer Arbeit (10) an. Ich half ihr anfangs, bis ich später als Schriftführerin und Vertrauensperson der 1. Langgässer Nachbarschaft, als Kassierin des Männer-Gesangvereins, als Ausschussmitglied des W.H.W. (11) etc. meinen Pflichtenkreis innerhalb unserer Volksgemeinschaft ebenfalls übernahm.
Trotz der vielseitigen Inanspruchnahme hatten wir unsere Hausmusik nicht vernachlässigt, sondern jeden Donnerstag mit Musikfreunden gute Musik getrieben. Meine Liste der Musikfreunde, die bei uns musizierten, weist 45 Namen auf.
Nach dem Tode meiner lieben Mutter zog ich mich zwei Jahre lang von allem zurück, bis ich, auf Zureden meiner Freunde, wieder mit meiner musikalischen Arbeit, Musikstunden geben usw. begann. Mein Geschäft, welches ich von meiner Mutter geerbt habe, gibt mir ebenfalls viel zu tun, so dass ich meinen künstlerischen Neigungen nur zum Teil nachkommen kann, d.h. ich finde keine Zeit mehr, mich dem Komponieren und der Malerei zu widmen. Ich hoffe jedoch, dass die schweren Verhältnisse, in denen wir gegenwärtig leben, ein vorübergehender Zustand sein werden und ich später wieder ganz meinen künstlerischen Neigungen werde leben können.
Außer meinen Klavierstunden, die ich gebe, korrepetiere ich mit Prof. Honigberger und helfe an großen Feiertagen in der röm.-kath. Kirche meinem früheren Lehrer Musikdirektor Stadtler bei den Aufführungen der schönen großen Messen auf der Orgel und auch im Chor aus.
Viel Freude macht mir auch die Mithilfe bei den von Prof. Honigberger eingeführten „Tondichterabenden“, wo ich verschiedene Male mitgespielt habe, sowie die Mitarbeit im Männer-Gesangverein und im „Bachchor“ der Schwarzen Kirche.
Kronstadt, im März 1943
Gabriele Klees
(Vorspann, redaktionelle Bearbeitung und Anmerkungen:
Wolfgang Wittstock)
Anmerkungen:
(1) Wittstock, Wolfgang: „Ich habe sehr viel Schönes erlebt…“. Besuch bei einer alten Dame / Gabriele Einzig-Klees, eine vielseitige Künstlerin, in: Karpatenrundschau, Nr. 49/9.12.1988 (I) und Nr. 50/16.12.1988 (II).
(2) Gyula Wlassics, seit 1916 Baron Wlassics von Zalánkemén (1852-1937), war ein ungarischer Jurist und Politiker, Minister für Kultus und Unterricht sowie Präsident des ungarischen Magnatenhauses.
(3) Graf Zsigmond Mikes von Zabola (1867-1951) war in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg Obergespan des Komitates Kronstadt (der Obergespan als von der Regierung eingesetzter oberster Verwaltungsbeamter eines Komitates entspricht etwa der heutigen Funktion eines Landkreis-Präfekten).
(4) Adolf Michael Weiß (1897-1963), blind geborener Organist, Pianist und Klavierstimmer, war in seiner Kindheit Schüler der Blindenanstalt in Wien; trat 16-jährig, als Organist der Obervorstädter Kirche, in den Dienst der Evangelischen Stadtpfarrgemeinde A.B. Kronstadt (Honterusgemeinde), den er 50 Jahre lang, bis zu seinem Tod, versehen hat.
(5) Hans Mattis-Teutsch (1884-1960), namhafter avantgardistischer Maler, Graphiker und Kunsttheoretiker, der größtenteils in Kronstadt gelebt und gewirkt hat.
(6) Paul Richter, bedeutender Komponist (u.a. 6 Sinfonien), Dirigent und Pianist, Chormeister des Kronstädter Männer-Gesangvereines (1900-1918) und danach, bis 1935, städtischer Kapellmeister und Dirigent der Kronstädter Philharmonischen Gesellschaft.
(7) Hans Bulhardt (1858-1937), Kunstmaler, trat auch als Regisseur von Opern-Inszenierungen des Kronstädter Männer-Gesangvereins in Erscheinung.
(8) Erich Hermann Müller von Asow (1892-1964) war ein deutscher Musikwissenschaftler. Zu seinem Veröffentlichungen gehört das „Deutsche Musiker-Lexikon“ (Dresden 1929), das in zweiter Auflage als „Kürschners Deutscher Musiker-Kalender“ (Berlin 1954) erschienen ist.
(9) Constantin Bobescu (1899-1992) war ein rumänischer Violinist, Dirigent und Komponist, Direktor des Kronstädter Astra-Konservatoriums in den Jahren 1928-1935.
(10) Ausdrücke wie „völkische Pflichten“ oder „völkische Arbeit“ sind von der Zeit geprägt, in der Gabriel Klees ihre autobiographischen Aufzeichnungen geschrieben hat.
(11) W.H.W. = Winterhilfswerk.
Foto: Die vielseitige Musikerin Gabriele Klees nach einem Konzert im Jahr 1940.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
25.07.25
Zu einem Konzert im Rahmen der sommerlichen Reihe Musica Barcensis
[mehr...]
25.07.25
Kronstädter Musikerinnen (XVI): Komponistin, Organistin, Pianistin und Musikpädagogin Gabriele Einzig-Klees (1895-1989)
[mehr...]