Die Hüllen sind gefallen
14.10.22
Die Burzenländer Bank, das erste Jugendstilgebäude Kronstadts, welches von Anbeginn die Bestimmung hatte eine Bank zu beherbergen / Von Peter Simon
Schon 2011 weist Dieter Drotleff in der Karpatenrundschau darauf hin, dass das Gebäude Michael Weiss-Gasse 22 dringend renovierungsbedürftig ist. Es handelt sich um das Gebäude welches als Sitz der Burzenländer Bank gebaut wurde. Sowohl in der Siebenbürgischen Zeitung (2019) als auch in der Allgemeinen Deutschen Zeitung wird die Hoffnung geweckt, dass die Sanierung bald fertig sein wird. Die Bezeichnungen Sächsische Bank oder auch Hirscherhaus, welche sich fälschlicher Weise im Laufe der Jahre eingebürgert hatten, klärt Wolfgang Wittstock in seinem Beitrag vom 20.08.2020 in der Karpatenrundschau auf. Das Hirscherhaus war das Haus an dessen Stelle das Gebäude der Burzenländer Bank gebaut wurde. Von dem Haus wurde nur das Hirschgeweih übernommen welches das neue Gebäude am Eck ziert. Mal sehen ob es nach Vollendung der Renovierungsaktion wieder an seine alte Stelle angebracht wird.
Der Verfasser dieses Beitrags hat eine besondere Beziehung zu diesem Gebäude. Nach dem es 1948 nationalisiert wurde, beherbergte es die Büroräume des Elektrizitätswerkes und dort war mein Vater Buchhalter, später Oberbuchhalter. Wir Kinder hatten ihn dort oft besucht und zwar durch den Eingang von der Michael Weiss-Gasse. Beim Prunkportal in der Purzengasse war damals ein Modegeschäft.
Im gleichen Jahr der Nationalisierung ist auch der Architekt dieses Hauses Albert Schuller gestorben und zwar am 26. Oktober 1948. Zu einem so bedeutenden Architekten für die Stadt Kronstadt hätte auch eine entsprechende Würdigung gehört in der man nachlesen kann was er geleistet hat. Normalerweise findet man so einen Nachruf in der „Kronstädter Zeitung“, aber die letzte „Kronstädter Zeitung“ ist am 25. August 1944 erschienen. Erst 13 Jahre später gab es wieder eine deutschsprachige Zeitung in Kronstadt, am 30. Mai 1957 erschien die erste „Volkszeitung“ in Kronstadt.
Über die Entwicklung der Bank hatte Wolfgang Wittstock in seinem Beitrag geschrieben (Karpatenrundschau 6.08.2020). Im vorliegenden Beitrag soll mehr die Rede vom Gebäude, von seinem Erbauer und von den Menschen die es bewohnt haben die Rede sein.
Aus ihrem Vortrag, welchen die Historikerin Dr. Maja Philippi 1975 an der Volksuniversität von Kronstadt hielt, entnehmen wir folgenden Abschnitt. Es muss vielleicht vorher noch gesagt werden, dass sie nicht nur Historikerin war. Sie studierte Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten in Kiel, Freiburg, Göttingen und Hamburg in den Jahren 1932 – 1937.
„Es war Albert Schuller (1877-1948), dessen Rolle bei der Gestaltung des Kronstädter Stadtbildes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken ist.
1903 aus München, einer Hochburg des Jugendstils, vom Studium zurückgekehrt, hatte der junge Architekt das große Glück, schon nach wenigen Jahren einige große Aufträge zu erhalten, an denen er sein Können unter Beweis stellen sollte. 1908 wurde der damals Dreißigjährige damit beauftragt, den neuen Sitz für die Burzenländer Bank (damals noch Nationalbank A.G.) zu bauen (Ecke Purzengasse-Zwirngasse). Es wurde an der Stelle, wo früher das Haus der Apollonia Hirscher gestanden hatte, errichtet. Ihr zu Ehren wurde ein Hirschgeweih angebracht und oben das Medaillon mit ihrem Bild (gemalt von Friedrich Mieß, restauriert von Gisela Richter). Dieses Haus zeigt bereits alle Merkmale des Jugendstils und wirkte im Kronstädter Stadtbild wie ein Programm. Die Hauptforderungen, die der Jugendstil an das Bauwerk stellte, waren, dass das Gebäude wieder ein Körper werden solle, im Gegensatz zur Flächenhaftigkeit der vergangenen Baustile. Diese Körperhaftigkeit wird durch seine Gliederung erreicht, die viel lebendiger durchgestaltet, viel abwechslungsreicher ist als bei den früheren Fassadenbauten. Dabei benutzen die Jugendstilarchitekten sehr gerne das Mittel der Asymmetrie, ein Prinzip, das es außer im Rokoko in keinem der früheren Baustile gegeben hat. Die Jugendstilkünstler gingen von der Ansicht aus, dass alles Symmetrische zwar vollkommen, aber leblos, dafür alles Unsymmetrische unvollkommen, jedoch lebendig ist. Sie liebten in fast schwärmerischer Art alles Lebendige, die Bewegung, und brachten dies auch an den Häuserfronten zum Ausdruck. Dies wird erreicht durch unregelmäßiges Anbringen der Portale, Giebel, Balkone, die verschiedene Größe und Form der Fenster. Die Erker, die die Plastizität des Baukörpers betonen, sind ein beliebtes Motiv des Jugendstils. In den alten Stilen sind sich die einzelnen Gebäude sehr ähnlich, im Jugendstil jedoch ist jedes eine eigene Persönlichkeit.“
Es ist das erste Jugendstilhaus in Kronstadt aber auch das erste Gebäude in Kronstadt welches von Anfang an, die eindeutige Bestimmung hatte eine Bank zu beherbergen.
(Fortsetzung folgt)
Heutiger Zustand nach der Renovierungsaktion. Der hellgrüne Farbanstrich der Fassade lässt das Prunkportal besser zur Geltung kommen. Foto: der Verfasser
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