Die Hüllen sind gefallen
21.10.22
Die Burzenländer Bank, das erste Jugendstilgebäude Kronstadts, welches von Anbeginn die Bestimmung hatte eine Bank zu beherbergen (II) / Von Peter Simon
Über die Entstehungsgeschichte dieses Hauses lassen wir einen Zeitgenossen zu Wort kommen, und zwar Dr. Karl Ernst Schnell, der letzte deutsche Bürgermeister Kronstadts. Im Jahre 1899 gehörte er zu den Gründern der sächsischen „Nationalbank A.G.“, die als Gegenstück zur „Kronstädter Allgemeinen Sparkasse“ gegründet wurde und wurde ihr erster Vizepräsident.
„…der Schluss war der, dass der Dreißiger Ausschuss der “Grünen“ im Januar 1898 über Antrag Dr. Karl Flechtenmachers beschlosss, eine neue, eigene sächsische Bank ins Leben zu rufen. Ich wurde ersucht, die Satzungen auszuarbeiten. Ich war in wenigen Wochen mit der Arbeit fertig. Dr. Karl Lurz führte inzwischen die sonstigen nötigen Verhandlungen, insbesondere mit dem Bankhaus „Nussbächer & Beer“, dessen Wechselportfeuile wir übernehmen sollten. Heinrich Nussbächer und Hugo Beer sollten die Direktoren der neu zu gründenden Bank werden. Endlich am 28 Januar 1899 erschien in der Kronstädter Zeitung auf der ersten Seite des Blattes der Gründungsprospekt der Nationalbank Aktiengesellschaft, unterschrieben von 25 Gründungsmitgliedern. Am 16. März 1899 folgte die gründende Hauptversammlung. Dr. Karl Lurz wurde zum Präsidenten, ich zum Vizepräsidenten gewählt.
Der Name der Bank ist später (1920) über Betreiben der Rumänischen Nationalbank abgeändert worden. Sie hieß dann „Burzenländer Bank A.G.“ bis zu der Vereinigung mit der Hermannstädter allgemeinen Sparkasse, deren Zweigstelle sie heute ist.
Es ist selbstverständlich, dass die Bank in erster Linie gegründet worden war, um dem sächsischen Handel und Gewerbe die nötigen Mittel durch Kredite zu schaffen, aber ebenso selbstverständlich war es, dass alle Erträgnisse der Bank zu kulturellen Zwecken, für Kirche und Schule verwendet werden sollten. So ist es geschehen und wir haben jahrzehntelang selbstlos ohne Tantiemen mitgetan und gearbeitet“.
„Die Nationalbank, die ihre Geschäftsräume zuerst im Kaufhaus, an der Ecke gegen den Marktplatz hatte, erstand im Jahre 1905 das Hirscherhaus an der Ecke der Purzengasse und Zwirngasse und erbaute dort nach den Plänen des jungen Architekten Albert Schuller das große Bankhaus, wie es heute noch dort steht (1934). Für die Grundsteinlegung verfasste ich die Urkunde, die nebst Geldmünzen und dergleichen in einer verlöteten Metallbüchse eingemauert wurde“.
Heinrich Nussbächer (1861-1937) war ein Bruder von Gernot Nussbächers Urgroßvater und das Bankhaus Nussbächer & Beer hatte seinen Sitz in der Hirschergasse Nr. 1, das als Kaufhaus bekannte Gebäude am Marktplatz Eck Hirschergasse, wo auch die Nationalbank A.G. ihren ersten Sitz hatte, bis zur Fertigstellung des neuen Baues in der Purzengasse.
„Im Anstaltsgebäude habe ich gleich nach dessen Fertigstellung die im ersten Stock von mir gemietete Wohnung bezogen und ebenso auch die gegen die Zwirngasse gelegene Advokaturskanzlei, die eigens für diesen Zweck gebaut und auch nach außen durch die über den Fenstern angebrachten Reliefbildern als Advokaturskanzlei gekennzeichnet worden war.
In dieser Wohnung habe ich mit meiner Familie 23 Jahre lang gewohnt. Im Jahr 1929 zog ich über Bitten der Bank aus, weil sie die Räume im ersten Stock für ihre eigenen Zwecke dringend benötigte. In die Advokaturskanzlei, die während der Zeit, als ich Bürgermeister war, Dr. Oskar Tellmann innehatte, bin ich im Jahre 1929 wieder eingezogen. Ich übte dort bis vor kurzem die Advokatur aus, seit Jahren zusammen mit meinem Sohn Dr. Fritz Schnell und seiner Frau Dr. Annemarie Schnell“.
Dr. Karl Ernst Schnell hatte vier Kinder, zwei Töchter und zwei Söhne, die älteste Tochter war die Großmutter von Gernot Nussbächers Frau Ada geb. Schiel.
Das Erdgeschoß war ausschließlich von der Nationalbank A.G. belegt mit Eingang von der Purzengasse durch das Prunkportal mit rotem Marmor. Im Seitentrakt mit Eingang von der Zwirngasse (heute Michael Weiss) waren die Büroräume der Bank und das gemeinsame Treppenhaus für die Wohnungen im 1. und 2. Stock. In der Wohnung im 1. Stock wohnte Dr. Karl Ernst Schnell mit Fenster sowohl zur Purzengasse als auch zur Michael Weiss-Gasse und einem Bogenerker am Eck, und im Nebentrakt war seine Advokaturskanzlei.
In der Wohnung im 2. Stock mit einer Aufteilung genau wie 1. Stock wohnte Dr. Oskar Tellmann. Der Nebentrakt hatte keinen 2. Stock, dort war schon der Dachboden für Abstellräume. Der Eingang vom Nebentrakt zum Treppenhaus hatte einen Vorhof.
Im Jahre 1912 kauft die Nationalbank A.G. auch das Nachbarhaus in der Purzengasse (heutige Nr. 20) und das entsprechende Haus in der Spitalsgasse Nr. 19. Die Arbeiten betreffend Anpassungen der Fassade und Verbindungen zwischen den Häusern, werden von der Firma Wagner & Bruss durchgeführt. Moritz Wagner (1876-1934) war der Architekt der Handelskammer (heute Sitz der Kreisbibliothek) und des Gesellschaftshauses des sächsischen Gewerbevereins (heute Sitz des Kunstmuseums), beide am Rudolfsring. Im Erdgeschoß hatte der Wirkwarenfabrikant Georg Foith seinen Verkaufsladen, sowohl vor dem Ankauf als auch danach.
Laut Bauschild hätte die Renovierung schon im Januar 2021 fertig sein sollen. Jetzt warten wir gespannt darauf welche Funktionen die Räume bekommen sollen. Gaststätten gibt es in Kronstadt schon genug, die Michael Weiss-Gasse ist jetzt schon Fussgängerzone und es ist bald ein Kunststück die Purzengasse zwischen den Tischen zu überqueren.
(Schluss)
Eine fotografische Meisterleistung von Heinrich Lehmann von vor hundert Jahren. Foto: Nationalarchiv Kronstadt.
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