Die Jahre im Honterus-Internat 1958 – 1962
24.11.23
Erinnerungen eines aus Heldsdorf stammenden ehemaligen Schülers (I)
Zwischen 1958 und 1962 habe ich das Honterus Gymnasium in Kronstadt besucht. Zwei Jahre davon im Honterushof als [coala Medie Nr. 2 Orasul Stalin wie die Stadt in den Jahren genannt wurde, und zwei Jahre als deutsche Abteilung des Saguna Gymnasiums als Scoala Medie Nr. 1 Brasov. 1960 wurde das Honterus Gymnasium als selbstständige Schuleinheit aufgelöst und als deutsche Abteilung des Saguna Gymnasium weiter geführt.
Mit Höhen und Tiefen ist diese Zeit vergangen, sie hat uns geprägt und sie hat einen kaum zu glaubenden Zusammenhalt generiert. Unsere gut besuchten nachherigen Jubiläums- und Klassentreffen sind ein Beweis dafür. Das ganze Schulwesen von damals und unsere gut vorbereiteten Lehrer sind nicht zu vergleichen, mit dem was noch kommen wird. Unser Lehrer Wilfried Bielz hatte den Mut am letzten Schultag mit unserer Klasse ein Gruppenbild am Honterusdenkmal zu machen.Der große Anteil an Aufnahmen zum Studium an Hochschulen war ein weiterer Beweis für die solide Ausbildung.
Das Schuljahr 1958 - 1959
Es war Mitte September 1958. Die Aufnahmeprüfung vom Juni war geschafft, wir durften noch einmal richtig die Ferien genießen und nun begann für uns, die wir vom Dorf kamen ein ganz neuer Lebensabschnitt an einem neuen, relativ unbekannten Ort. Ein Platz im Internat der Schule war reserviert. Das Internat der damaligen Scoala Medie Nr.2 Orasul Stalin war im ersten Stockwerk des C-Gebäudes am Honterus-Hof untergebracht. Die Betten stammten vom Gefängnis aus dem hinteren Teil des Justizpalastes, das nach Zeiden verlegt worden war. Es waren aber nur leere Eisenbetten, und so musste jeder mit gefülltem Strohsack anrücken, damals noch meist mit Pferdefuhrwerken herangekarrt. Ich erinnere mich, dass kaum zwei Betten gleich waren und wir stellten uns die Frage, ob die Häftlinge wohl verschiedene Komfortstufen „genießen“ durften – nach meinen heutigen Erkenntnissen eher nicht. Die Zimmer im Internat waren im System Eisenbahn angeordnet d.h. um in den am Ende befindlichen Waschraum zu gelangen, mussten alle Zimmer durchschritten werden. Die Elfklässler waren natürlich am Ende in Zimmer eins untergebracht, das kein Durchgangszimmer war. Oberhalb der Schlafzimmer im Obergeschoss waren zwei Klassenzimmer, wo die Lernstunden abgehalten wurden. Über eine Galerie am hinteren Teil des Gebäudes gelangte man direkt zum Treppenhaus nach oben. Zu dieser Galerie führten zwei Wege, durch den Waschraum und über einen kürzeren Weg durch Zimmer sieben, der gerne genommen wurde. Aus diesem Grunde hatte der Pädagoge Order gegeben, ab 22.00 Uhr, kein Durchgangszimmer mehr. Trotzdem wurde es auch weiter oft genutzt. Frieder Schuller hatte sein Bett neben der Ausgangstür zur Galerie und wenn nun doch einer den Weg im Dunkeln nutzte, war er am Kragen gefasst, mit einem Fußtritt und zugleich ein Kissen am Kopf schnell zur Tür hinaus befördert. An einem Abend hatte es den Päda erwischt, der aber kein Wort dazu gesagt hat. Frieder meinte nur, dass er gespürt habe, dass ein schwererer ihm in die Hände geraten sei.
Wir Zöglinge der achten Klasse waren ganz am Anfang in einem Zimmer untergebracht, aus dem eine Tür auch zum Zimmer unseres „Genossen Erziehers“ Hans Unberath (Päda) führte. Oft stand er folglich als stiller Zuschauer da, wenn die Kissenschlacht am heftigsten entbrannt war. Ein Schüler aus einem höheren Jahrgang, der auf Ordnung zu sorgen hatte, wurde als Zimmerverantwortlicher zugeteilt. Ein Elfklässer wurde zum Internat Ältesten gewählt. In dem Jahr war es Dieter Drotleff, der ebenfalls für Ordnung und Disziplin zuständig war. In den Fluren hatte jeder seinen abschließbaren Spind, in dem Kleidung, Schuhe u.a. aufbewahrt wurden. Es gab noch ein Krankenzimmer zur Isolierung von Krankheitsfällen. Frieder Schuller sollte einmal einen Vortrag über Leonardo da Vinci halten. Einvernehmlich zwischen Prof. Bielz und dem Päda wurde er „krank gemacht“ und zur Vorbereitung des Referats hier untergebracht. In Nachbarschaft des Hofes war die Schreinerei Schuller. Im Sommer bei offenen Fenstern hörten wir oft das Schrillen des Abrichters um 3.00 Uhr nachts.
Im Hof in einem Nebengebäude befand sich die Kantine, eine wichtige Einrichtung für uns damaligen Dauerhungrigen. Hier mussten die Internatler reihum Küchendienst leisten und waren an dem Tag vom Unterricht befreit. Dieser bestand neben Hilfe in der Küche auch in der Überwachung und Empfang der zu verarbeitenden Lebensmittel. Anhand der von Chefköchin Frau Kellner erstellten Liste wurden die Lebensmittel aus dem Lager von der Lagerverwalterin Frau Hermannstädter in Empfang genommen. Verwalter der Kantine und Internat war Herr Latzina, der auch die Zahlungen der Gebühren in Empfang nahm. Putzfrau war die resolute „Hannchen“, ihr richtiger Name ist mir entfallen.
Für die Bedienung zu Mittag waren die Schülerinnen aus dem Internat, sowie die von außerhalb, die aber hier zu Mittag speisten, reihum eingeteilt. Auch viele Lehrkräfte nahmen hier das Mittagessen ein. Am Abend hatte meist die Köchin Frau Mathilde Foith, die vor Ort im Erdgeschoss wohnte, Dienst. Bei ihrem groben Wortschatz war sie eine äußerst nette, liebe Frau, die immer einen Zuschlag für uns ständig Hungrigen hatte.
Im Internat herrschten strenge Disziplin und Ordnung. Um 6.00 Uhr aufstehen, waschen, Betten machen. In Zimmer eins wohnte auch der Einkäufer Domokos. Er stand immer früher auf und wenn er durch alle Zimmer mit seinen Holzpantoffeln zum Waschraum schlürfte, wurden wir alle wach. Verärgert darüber aber auch oft froh noch ein wenig liegen bleiben zu dürfen, nahmen wir es halt in Kauf. Dann ging es zum Frühstück. Die Mädchen waren in der Waisenhausgasse Nr.14 untergebracht und kamen geschlossen zum Essraum. Gegessen wurde erst nachdem eine Schülerin oder ein Schüler den Spruch des Tages verlesen hatte, gemeinsam wurde der Essraum verlassen. Im Nachhinein empfinde ich den Spruch des Tages als Ersatz für das Gebet, das ja zu der Zeit verboten war. Selbst zum Abendessen um 19.00 Uhr, ging es geschlossen, nachdem der Internatsälteste uns vorher im Vorraum gesammelt hatte. Zu den Unterrichträumen im Nebengebäude bzw. Kapitelzimmer war es nicht weit. Nach dem Unterricht und Mittagessen hatten wir frei. Diese Zeit nutzten wir um unsere neue Umgebung zu erkunden. Warthe, untere Zinne, innere Stadt und Gemüsemarkt waren nur einige der angestrebten Ziele. Wenn ein guter Film spielte und der Stundenplan es erlaubte wurde das nahegelegene Popular- oder Maxim Gorki-Kino aufgesucht. Bald hatten wir auch das schwarze Brett am Pfarrhaus entdeckt und standen am Turmaufgang, wenn Herr Zackel kam und dem Chef der Läute Brigade das Geld übergab. Mit Läuten konnten wir somit unser karges Taschengeld aufbessern. Damals gab es noch Pferdekutschen und die Taxis waren noch privat, schwarz lackiert und hatten den Stand neben dem neuen Honterusgebäude, damals Krankenhaus.
Zwischen 16.00-19.00 Uhr, war obligate Lernstunde in den Klassenräumen über unseren Zimmern. 19.00 Uhr, war Abendessen und von 20.00 bis 21.00 Uhr, erneut Lernstunde. Jedem Zögling der achten Klasse war ein Schüler der neunten zugeteilt, der die Aufgabe hatte, in dieser letzten Stunde uns das Gelernte auszufragen.
21.00 bis 22.00 Uhr, war Vorbereitung für die Nachtruhe. Jeder hatte vor seinem Bett einen Stuhl auf den die Tageskleidung schön sauber gefaltet gelegt wurde, darunter die geputzten Schuhe, die auch zwischen Sohle und Absatz eingecremt werden mussten.
Um 22.00 Uhr, wurde das Licht ausgemacht aber nicht ohne, dass der „Päda“ vorher Kleidungs- und Schuhkontrolle durchgeführt hatte. Diese Kontrolle blieb manchmal aus, wurde dann nachts aber nachgeholt. Ich kann mich erinnern wie mein Bettnachbar Bernd Kolf vier Mal nachts geweckt wurde um die Schuhe in Ordnung zu bringen. Er war immer nur bis zum Spind gegangen und mit ungeputzten Schuhen zurück.
An diesen geordneten Rhythmus hatten wir uns schnell gewöhnt, die Zeit flog dahin und schon war das Wochenende da. Meist wurde nach Hause gefahren, es gab ein Wiedersehen mit dem Kränzchen und den Freunden aus der Grundschule aber auch der Rucksack wurde gefüllt, insbesondere in der Zeit des Schweineschlachtens. Die Heimfahrt wurde nicht mit den Bussen der „Autogara“ vom Anfang der Schwarzgasse gemacht, man nahm billigere Gelegenheiten.
Im Internat wurde eine Art „Hochsächsisch“ gesprochen, jeder konnte jeden verstehen nur wenn zwei Zeidner oder Tartlauer untereinander stritten, bekamen die Übrigen wenig mit.
Schnell kannten wir uns alle untereinander und wussten von jedem den Herkunftsort. Unser Pädagoge Hans Unberath war Fernstudent der Mathematik und Physik und konnte uns bei jeder schweren Aufgabe behilflich sein. Seine stille, ruhige Art, er redete fast nur im Flüsterton, hat nie geschrien, war äußerst wirksam. Er wohnte in Wohngemeinschaft mit Prof. Walter Schuller. Es ist uns nicht verborgen geblieben, wenn unser Päda im Sakko mit Krawatte Ausgang hatte, es nicht lange dauerte bis ein bestimmter weiblicher Besuch kam.
Bei so einem geregelten Alltag war das Schuljahr bald zu Ende. Zwei Ereignisse sind mir noch gut in Erinnerung geblieben, wo die Internatler organisatorisch eingebunden waren. Es war das letzte Honterusfest in kommunistischer Zeit auf der Kleinen Hangesteinwiese Ende Juni 1959. Wir mussten helfen die Getränke und anderes benötigtes Mobiliar verladen und nachher wieder zurück bringen, durften dafür aber mitfahren.
Beim Fest selbst gab es ein Schauturnen, die Neuntklässler spielten Fußball gegen die Lehrer, es gab mit Namen bemalte Lebkuchenherzen und eine Blaskapelle spielte zum Tanz auf.
Das Fußballspiel endete glaube 4:1 für die Schüler, im Tor der Lehrer stand Prof. Adleff und wenn Direktor Thot am Ball war, riefen wir Zuschauer: „wo bleibt der jugendliche Schwung“ (eine übliche Redensart von ihm).
Das Zweite war die Verladung der Küchenausstattung (Geschirr, Töpfe usw.) auf einen IFA-Laster. Diese wurde samt Köchinnen nach Costinesti ans Schwarze Meer ausgelagert. Hier konnten damals die Honterianer in vier Serien Urlaub am Meer machen. Bevor es in die Ferien ging mussten noch unsere Strohsäcke transportfähig gemacht werden. Kurzer Hand wurde das Stroh im Hof ausgeleert und ein richtiges Lagerfeuer entfacht.
Noch einiges über die Schulzeit in diesem Jahr: Der erste Schultag in der Scoala Medie Nr.2 Orasul Stalin in einer ganz fremden Umgebung, begann am 15.09.1958, im Festsaal des B-Gebäudes am Honterus-Hof. Wir, aus der achten Klasse sollten auf drei Klassen, zwei englische und eine französische, aufgeteilt werden. Gleich waren zwei Blocks englische beisammen nur der französische wollte nicht entstehen. Direktor Otto Liebhart (Lippi) setzte seine volle Überzeugungskraft ein und wenn einer schwach wurde und zu den Franzosen wechselte, wurde er per Handschlag beglückwünscht. Irgendwann waren wir gleich verteilt und konnten in unsere Klassen gehen. Ich war der 8-A zugeteilt und unsere Klasse wurde das Kapitelzimmer. Die Ausstattung war gewöhnungsbedürftig aber durch zwei Fenster konnten wir sehen, wenn die Lehrer kamen. Noch etwas wunderte mich am Anfang und zwar der massive Andrang der Schüler in die Klassen am Ende der Pause. In Heldsdorf stellten wir uns klassenweise auf und es ging geschlossen in die Klassen. Bin aber bald zur Erkenntnis gekommen, dass wegen der Masse der Schüler und dadurch aufgewandten Zeit, so etwas hier nicht möglich war.
Um uns kennen zu lernen stellte jeder Lehrer eine alphabetische Namensliste auf. In der Folgezeit wurde diese so oft wiederholt, dass sie mir auch heute noch geläufig ist. Unsere Klassenlehrerin war Frau Klothilde Killyen, die auch Rumänisch unterrichtete.
Deutsch hatten wir mit Prof. Liebhart (Lippi), der als Direktor immer zu spät kam und mit dem Stoff dadurch nicht fertig wurde. Ab Frühjahr 1959 wurde Prof. Erwin Thot Direktor und nun kam der immer zu spät und konnte den Stoff in Naturkunde nicht fertig bringen.
Karl-Heinz Brenndörfer
Fortsetzung folgt
11-E Klasse mit Prof. Wilfried Bielz im Juni 1962 beim Honterus Denkmal. Foto: privat
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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