Die Kronstädter Securitate und das „deutsche Problem“ (V)
28.10.21
Sächsische Intellektuelle geraten ins Visier des Geheimdienstes
In Berichten der Kronstädter Securitate aus dem Jahr 1972 werden, auf Grund der im Vorjahr erfolgten informativen Tätigkeit, drei Bereiche aufgezählt in denen sich „die feindliche Tätigkeit“ der als „nationalistisch“ eingestuften Elemente aus den Reihen der deutschen Minderheit bemerkbar mache. Es handelt sich um Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung, um die Bemühungen einiger sächsischen Intellektuellen, ihre Landsleute in einer Abgrenzung von der Mehrheitsbevölkerung zu halten und Kontakte zu jenen Kreisen im Ausland zu fördern die die Auswanderung unterstützen. Hinzu kommt noch die Absicht einiger sächsischen Jugendlichen durch Heirat eine offizielle Auswanderungsmöglichkeit zu erhalten oder dafür sogar einen illegalen Grenzübergang zu versuchen.
Ins Visier der Securitate gelangen Intellektuelle die sich gegen die Parteipolitik äußern, die die Partei- und Staatsführung kritisieren, die Kontakte zu Ausländern haben oder ans Ausland Daten über die Lage der deutschen Minderheit in Rumänien bekannt geben. Ein konkreter Fall wird erwähnt: vom Rechtsanwalt Michael Miess wusste man, dass er private Treffen zwischen sächsischen Intellektuellen (Pfarrer, Lehrer, Ingenieure) organisiere, wo die Zustände im Land kritisiert wurden, wo, laut Securitate-Wortschatz „schwere Verleumdungen“ über Partei und Staat verbreitet wurden. Miess nutze auch die von Mensch zu Mensch-Propaganda bei juristischen Beratungen die er in seiner Wohnung vor allem Landsleuten aus dem ländlichen Raum gewährte. Um nicht aufzufallen, warne er alle Beteiligten über diese Treffen zu sprechen und rate ihnen, falls sie dennoch darauf angesprochen werden, sie als eine Feier anlässlich des Namenstages zu bezeichnen.
Der Geheimdienst konnte ihm schwer diese angeblich „feindliche Tätigkeit“ vor Gericht nachweisen und griff, da der Rechtsanwalt Anfang 1971 in die Bundesrepublik ausgewandert war, auf eine bewährte Methode zurück. Seine hiesigen Landsleute, wie auch sein Bekanntenkreis in Deutschland, selbst deutsche Behörden, würden ihn der Mitarbeit mit dem rumänischen Geheimdienst verdächtigen. Als „omul Securitatii” (wie es im Bericht steht) würde sein Ruf und seine Glaubenswürdigkeit zu leiden haben.
Kritik und Ablehnung ernteten die offiziellen Bestimmungen, die deutschen Ortsnamen in den deutschsprachigen Medien nur in ihrer rumänischen Variante zu verwenden. Im Bericht (Nota Raport) wird festgehalten, dass bei der Redaktion der „Karpatenrundschau“ eine beträchtliche Zahl von Sachsen („un numar considerabil de sasi“) in Leserbriefen oder Telefonanrufe verlangt hätten, bei den zuständigen Behörden vorzusprechen, um diese Bestimmungen rückgängig zu machen. Der damalige stellvertretende Direktor des Honteruslyzeums, Roland Schmidt, wird mit der Aussage zitiert, diese Maßnahme benachteilige die sächsische Bevölkerung, auf so etwas hätte selbst das vormalige bürgerliche Regime nicht zurückgegriffen. Eine Lehrerin aus Tartlau war der Meinung, so eine Bestimmung sorge nur für Verwirrung und drohte mit Gleichgesinnten ein Abo-Boykott rumäniendeutscher Publikationen anzuregen. KR-Redakteur Michael Kroner äußerte seine Befürchtung, in der deutschen Bevölkerung werde man glauben, nun könnten auch andere Maßnahmen folgen, die die Rechte der Rumäniendeutschen einschränken.Von ihrem Spitzel der unter dem Decknamen Soare Mihai zeichnete und im Dezember 1971 die Bundesrepublik besucht hatte, wusste der Geheimdienst, dass dieses Problem auch die ausgewanderten Sachsen beschäftigte und in der Zeitung der Landsmannschaft heftig kritisiert wurde.
Was das Bestreben betrifft, sich als Sachse wahrzunehmen und zu behaupten – in der Auffassung der Securitate eine nationalistisch geprägte Tendenz zur Absonderung („separatism“), wird als Beispiel der Zeidner Lehrer Gotthelf Zell genannt. Dieser lehne bewusst jede gemeinsame Tätigkeit von deutschen und rumänischen Schülern ab mit der Begründung die Sachsen seien viel aktiver und disziplinierter als ihre rumänischen Altersgenossen. Ähnliche Verhältnisse herrschten auch in Brenndorf, Tartlau und Wolkendorf, so dass die Parteiorgane darüber in Kenntnis gesetzt wurden und dementsprechend eingegriffen haben. Zell war auch als Mitarbeiter des „Zeidner Gruß“,das Blatt der Heimatsortsgemeinschaft der Zeidner in Deutschland, aufgefallen, wo er über die Tätigkeit des Zeidner Literaturkreises „Michael Königes“ aber auch über das Leben der Zeidner Sachsen berichtete. Außerdem pflege er auch Kontakte zu Mitgliedern der Landsmannschaft.
Begegnungen oder Korrespondenz mit ausgewanderten Landsleuten galt der Securitate nach wie vor als sehr verdächtig. Über den Tartlauer Pfarrer Johann Orendi wisse man, dass er in Verbindung mit einem evangelischen Hilfswerk aus Deutschland („Centrul de ajutorare a evanghelicilor“) stehe, dem er in den Vorjahren über die Lage der deutschen Minderheit Auskunft gegeben habe – ein Dienst für den er mit einem VW belohnt wurde. Einige Vereine und Gesellschaften aus der Bundesrepublik seien an direkten Kontakten zu „gewissen Kategorien von Personen“ interessiert, so zum Beispiel der aus Rumänien stammende Hans Königes der im Vorjahr als Mitarbeiter eines christlichen Jugendaustauschdienstes eine Zusammenarbeit mit Jugendlichen aus Rumänien ins Leben rufen wollte. Das dabei verfolgte Ziel - „gegenseitiges Kennenlernen“- konnte die Securitate selbstverständlich nicht überzeugen.
Beziehungen zu Ausgewanderten, deren Organisationen oder Publikationen oder zu anderen westlichen Institutionen aufzubauen und zu pflegen, reichten praktisch für einen Verdacht auf Spionage oder zumindest Beihilfe im Dienste von rumänienfeindlichen Kreisen. Journalisten machten da keine Ausnahme. Im Falle der KR werden vier Namen genannt: Horst Schuller, Frieder Schuller, Hans Barth und Bernd Kolf. Für die zwei Erstgenannten heißt es, sie seien aufgedeckt worden („au fost demascati de organele noastre“), ohne dass wir heute genau wissen können, was ihnen nachgewiesen sein sollte; Bernd Kolf wurde unter Überwachung gesetzt.
Misstrauisch war die Securitate auch mit jenen die aus Deutschland Literatur oder Lehrbücher wünschten und erhielten. Viele Schüler und Lehrkräfte von deutschen Schulabteilungen hätten von deutscher Seite Belletristik, Atlanten, Lehrbücher in deutscher Sprache erhalten. Genannt werden auch einige Namen: Martha Wagner (Fachlehrerin in Reps), Ernst Wagner, Musiklehrer in Viktoria-Stadt, Roland Nagy und Dorothea Lukesch aus Neustadt.
West-Touristen wurden ebenfalls bespitzelt, vor allem wenn es sich um ehemalige rumänische Staatsbürger handelte. Wenn ein deutscher Tourist seine Mitreisenden überzeugen wollte, Kronstadt sei von Deutschen und nicht von Rumänen gegründet und bewohnt gewesen, galt das als staatsfeindliche Handlung. Das schlussfolgert man aus dem Securitate-Bericht; das erfuhr der Geheimdienst von einem seiner Spitzel. Die Securitate berichtet auch, dass das Honteruslyzeum nach wie vor von Lehrer- und Studentengruppen aus dem Ausland besucht wird. Die Gäste wollen in ihren Gesprächen erfahren, wie der Unterricht organisiert ist, ob und was für Lehrbücher es gibt, ob die Jugendorganisation nach sowjetischem Vorbild funktioniert usw.
Von „Barbu“ weiss der Geheimdienst, was manche deutsche Touristen von Sachsen erfahren mit denen sie ins Gespräch kommen: die deutsche Minderheit werde unterdrückt, die Stellungen im Beruf die ihren Mitglieder angeboten werden, seien minderwertig, sie werden nicht gut entlohnt, hätten Schwierigkeiten im Schulwesen und werden in Glaubenssachen benachteiligt.
Unter den Maßnahmen die der Chef der Kronstädter Securitate, General-Major Ioan Bolintineanu anregt, um vorbeugend gegen die Tätigkeit und dem Einfluss feindlicher deutscher Elemente aus dem In- und Ausland einzugreifen, heißt es als letzter Punkt: „Ausbildung und Entsendung von überprüften Informanten in die Bundesrepublik Deutschland und nach Österreich um konkret zu wissen, mit was sich manche Spitzen der sächsischen Emigration beschäftigen.“
Ralf Sudrigian
Foto: Vier KR-Redakteure werden 1971 von den kommunistischen Sicherheitsorganen namentlich erwähnt.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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