Die Kronstädter Securitate und das „deutsche Problem“ (VI)
18.11.21
Ein Spitzel berichtet (nicht nur) über die Befragung der Aussiedler bei deren Ankunft in Deutschland
In einem von Hauptmann Grigore Baias im August 1972 verfassten Bericht wird ein Gespräch mit „Dan Nicolae“ zusammengefasst, wobei dieser beschreibt, wie er von deutschen und US-amerikanischen Beamten bereits am zweiten Tag nach seiner Ankunft im Durchgangslager Nürnberg über Themen die mit Militär und Wirtschaft Rumäniens zu tun hatten, befragt wurde. Was dieser Spitzel zu sagen hatte, war der Securitate sehr wichtig, so dass dieser Bericht vom damaligen Kronstädter Securitate-Chef, General-Major Ion Bolintineanu, persönlich dem General-Major Dumitru Borsan, Chef der Directia 1 im Innenministerium, zur Kenntnis gebracht wurde. Einleitend heißt es, dass der bundesdeutsche Nachrichtendienst Aussiedler zu Fragen militärischen Charakters verhöre, um bereits bekannte Nachrichten zu überprüfen oder um neue Nachrichten zu erfahren.
„Dan Nicolae“ ist der Tarnname eines Spitzels der im August 1970 zusammen mit Ehefrau und zwei Kindern in die Bundesrepublik ausgewandert war, zuvor aber von der Securitate für seine zukünftige Tätigkeit als Spitzel vorbereitet wurde. Nach zwei Jahren befindet er sich auf Besuch bei Anverwandten in Kronstadt und kann so manches berichten: sowohl über die Befragung, wie auch über einige Landsleute für die die Securitate ein besonderes Interesse meldete.
Folgende Szene schildert der Spitzel: Nachdem er aus Nürnberg ins Übergangslager Geretsried kam, erhielt er eine Vorladung, sich innerhalb von zehn Tagen in München bei einer Villa in der Maximilian-Straße zu melden. Von einer Meldepflicht war allerdings nicht die Rede. „D.N.“ hatte bereits eine erste Befragungsrunde in Nürnberg hinter sich und ahnte worum es sich handeln werde. In der einstöckigen Villa die außer dem Hausnummernschild nicht weiter gekennzeichnet war, erwartete ihn ein rund 35-jähriger Mann in Zivilkleidung der ihn in einen Büroraum führte an dessen Tür „Befragungsstelle“ zu lesen war. Der Mann sprach Deutsch mit starkem amerikanischen oder englischem Akzent und erwies sich als ein sehr guter Kenner der Kronstädter Ortsverhältnisse und Fragen.Vor ihnen befand sich ein Kronstadt-Stadtplan wo bereits die Militäreinheiten eingetragen waren. Nun folgten Fragen, die „D.N.“ bereits in Nürnberg von einem US-Offizier gestellt worden waren, genaue Fragen wie z.B. „Was befindet sich gegenüber dem Rulmentul-Werk?“, „Befindet sich neben der Stofffabrik Partizanul nicht vielleicht eine Militärkaserne?“ „Was für ein Soldatenbestand ist in der Langgasse untergebracht?“ „Was für eine Rolle spielen die Gebirgsjäger noch, nachdem diese Einheiten von den Sowjets zunächst aufgelöst wurden?“, „Wo gibt es Radaranlagen um Kronstadt?“ Der Spitzel wurde aufgefordert, seine Antworten gut zu überlegen; wenn er sich nicht sicher sei, so solle er noch warten; wenn ihm nachträglich was einfällt, sollte er wieder vorstellig werden. „D.N.“ verließ den Raum und meldete sich nicht mehr. Ein weiterer Kontakt mit dieser BND-Dienststelle gab es nicht. Inzwischen war „D.N.“ aus Geretsried endgültig nach Traunreut umgesiedelt.
In Nürnberg wo die erste Befragung erfolgt war, hatte „Dan Nicolae“ zunächst vor einem Mann in Zivil erklären müssen, woher er komme und weshalb er ausgewandert war. Dann wollte man von ihm wissen, ob er mit der Securitate zusammengearbeitet habe und, falls ja, mit wem. Er wurde darauf verwiesen, eine Securitate-Mitarbeit freiwillig zuzugeben. Das werde nun verziehen und bleibe ohne weitere Folgen. Ansonsten werde er entdeckt und zur Rechenschaft gezogen. Falls „D.N.“ von der Securitate irgendwelche Anleitungen und Aufgaben erhalten habe, so werde ihn der rumänische Geheimdienst mit Sicherheit aufsuchen. Dann gebe es kein Zurück, und, wer weiß, er könne eines Tages einen tödlichen Verkehrsunfall erleiden. Also wäre es besser mit der Wahrheit herauszurücken, dann könne man ihn auch besser schützen. Nachdem „D.N.“ weiterhin bestritt, mit der Securitate in Verbindung zu sein, musste er eine diesbezügliche schriftliche Erklärung unterzeichnen. Nachher wurde er einem Mann in US-Uniform zugeführt der Fragen zu stellen hatte. Es ging dabei um seinen Militärdienst, um die Waffenausstattung der rumänischen Armee in und um Kronstadt, ob er über die Ausrüstung der Armee mit sowjetischen Raketen Bescheid wisse, ob er von Weidenbach gehört habe und was dort gebaut werde, ob er wisse, wo Abflug- und Landestellen um Kronstadt seien, was er über Militärmanöver der Warschauer Staaten in Rumänien wisse usw.
„D.N.“ nennt in seinem Gespräch mit dem Securitate-Offizier auch weitere endgültig in die Bundesrepublik Deutschland ausgewanderte Personen die bei ihrer Ankunft solchen Verhören unterzogen wurden. Er geht dabei ausführlicher auf den Fall des vor seiner Auswanderung beim Kronstädter Polytechnischem Institut als Ingenieuren angestellten Christian G. ein, weil dieser schnell zu einer guten Arbeitsstelle im Bereich Elektronik und Optik gelangen konnte und als hervorragender Fachmann in diesem Bereich galt. Genau so überraschend und unerklärlich verlor dieser dann nach einigen Monaten seinen Job, was ihn tief traf und ihn zu einer Umschulung zwang um im Unterricht eine neue Arbeitsstelle zu finden.
Bereits 1968 war auch die Kronstädter Securitate von General-Leutnant Nicolae Doicaru, Vizepräsident des Staatssicherheitsrates (Consiliul Securit??ii Statului) in Kenntnis gesetzt worden über die Art und Weise wie Aussiedler deutscher Herkunft aus Rumänien von der westdeutschen Gegenspionage „informativ ausgewertet“ („exploatati informativ“) werden. Dafür war die „Hauptstelle für Befragungswesen“ die zu dem Bundesnachrichtendienst (BND), dem deutschen Geheimdienst, gehörte, verantwortlich.
Der rumänische Geheimdienst hatte erfahren, dass die Auswanderer zunächst zwei bis drei Wochen in Aufnahmelagern verbringen. Dort erfolgte eine erste verdeckte Befragung. Die Datenermittlung diene der Auswahl und anschließenden Zuweisung in die Bundesländer oder für die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, hieß es. Jene Personen die für die westdeutschen Behörden von Interesse waren, wurden per Postschreiben zu verschiedenen Anschriften vorgeladen – gewöhnliche Immobilien manchmal mit irreführender Ausschilderung. Eigentlich handelte es sich, nach Annahme der Securitate, um Büroräumlichkeiten für Verhöre. Die Securitate nannte einige dieser Anschriften z.B. in Düsseldorf, Stuttgart, München. Sie wusste auch, worum es bei diesen Befragungen ging. Es wurden Daten gesammelt über die Kriterien zur Erteilung der Ausreisegenehmigung aus Rumänien und über die Art und Weise, wie man diese erhält; über den Grund zur Auswanderung; über Abgabe der Auswanderungsunterlagen, wo, bei wem, durch wen und wie dabei eingegriffen wurde; über Daten militärischen Charakters, über den Standort der Sitze der Miliz- und Sicherheitsorgane sowie der Strafanstalten. Von Interesse für die deutschen Stellen war auch, heißt es in dieser Dokumentation aus Bukarest, wie mit den Häftlingen umgegangen wurde, wie die Lage der Deutschen in Rumänien sei, wie die Stimmung in ihren Reihen sei, wie sie zur Familienzusammenführung stehen. Es ging aber auch um die allgemeine wirtschaftliche Lage oder auch um das Profil, die Produktionskapazität, die Zukunftsaussichten der Betriebe oder Behörden in denen die Befragten tätig gewesen waren. Abschließend wird erneut darauf hingewiesen, dass angesichts der „feindlichen Tätigkeiten“ einiger Führer und aktiven Mitglieder der Landsmannschaften in der BRD und Österreich, es notwendig sei Spitzel („informatori“) anzuheuern oder bereits vorhandene weiter auszubilden, damit diese, zeitweilig oder endgültig in die genannten Länder geschickt werden mit der Aufgabe, konkrete Informationen in Bezug auf das als „Volksdeutsche“ benannte Ziel zu sammeln.
Wahrscheinlich war auch „Dan Nicolae“ für solche Aufgaben vorbereitet worden, denn in der anfangs erwähnten Begegnung mit dem Securitate-Hauptmann ist nicht nur über die informative Auswertung der rumäniendeutschen Aussiedler die Rede. Es geht auch um Kontakte mit Leuten über die die Securitate möglichst viel wissen wollte. „D.N.“ gehörte zum Bekanntenkreis von Hans Bergel, damals Chefredakteur der „Siebenbürgischen Zeitung“ der, so „D.N.“, dieser Zeitung nun, zur Überraschung der meisten seiner Landsleute, einen Rechtsschub gegeben habe, nachdem sie unter Alfred Hönig eher dem rumänischen „Neuer Weg“ geähnelt habe. Über den Bruder von Hans Bergel, der Dirigent Erich Bergel, den „D.N.“ in Traunreut traf, berichtet dieser, dass er nie etwas Positives zur Lage in Rumänien zu sagen habe, sondern, im Gegenteil, eine feindliche Einstellung bekunde. Aus dem Bericht ist zu entnehmen, dass „D.N.“ vor seiner Auswanderung mehrmals im Westen war und so auch Johannes Acker (eigentlich Hans-Joachim Acker, am Mikrophon als Mircea Ioanid bekannt), Nachrichtenredakteur beim in München angesiedelten aus den USA finanzierten Radiosender „Freies Europa“, kennengelernt hatte. Erleichtert wurde das, da die Ehefrauen der Beiden Schulkolleginnen gewesen waren. „D.N.“ wollte auch mehr von Ackers Vorgesetztem Barbu Mihai Cismarescu erfahren, was nicht klappte, da dieser sich als eher mürrisch und sehr wortkarg erwies. „D.N.“ berichtet auch vom Heimattreffen in Dinkelsbühl, wo er die Präsenz des auf Besuch in Deutschland weilenden KR-Redakteurs Hans Barth in der offiziellen Tribüne nicht zu vermerken vergisst. „D.N.“ wird sogar persönlich im Gespräch mit dem Hauptmann: er habe zwei schwierige Jahre hinter sich. Heimweh und Anpassungsschwierigkeiten haben ihm zu schaffen gemacht; außerdem musste er eine entsprechende materielle Grundlage seiner Familie sichern. Das sei ihm nun gelungen und nun habe er mehr Zeit und Möglichkeiten, Sachen in Erfahrung zu bringen, die die Securitate interessiert, so wie er es versprochen hatte.
In der Schlussnote heißt es unter Anderem: „D.N.“ werde die Verbindungen zu den genannten Personen vor allem zu Acker, Cismarescu und Hans Bergel auf Dauer aufrecht erhalten. Desgleichen werde er sich in die Landsmannschaft einführen lassen und den Aufrufen dieses Vereins folgen, „um uns so über deren Tätigkeit und Ziele Bescheid wissen zu lassen“.
Ralf Sudrigian
Eine heute verlassene Villa in Nürnberg von der es heißt, sie habe zu der „Hauptstelle für Befragungswesen“ gehört. Foto: www.nordbayern.de
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
25.04.25
Exponate des österreichischen Künstlers Michael Höpfner und Gedicht von Svetlana Cârstean dazu in Kronstadt zu sehen
[mehr...]
25.04.25
Oana Crîngasu und ihr Projekt „Somartin 65“ in Martinsberg
[mehr...]
25.04.25
Aus den Erinnerungen eines Kronstädter Hornisten/ von Diethard Knopp
[mehr...]