Die siebenbürgisch-sächsische Volkspersönlichkeit
30.11.17
Die Hermannstädter, Kronstädter, Schäßburger, Mediascher und Bistritzer in der Sicht von Fritz Heinz Reimesch
Einen 1926 in den „Ostdeutsche Monatshefte (7. Jahrgang, Juni 1926, Heft 3, Sonderheft: Siebenbürgen; Herausgeber: Carl Lange, Oliva bei Danzig) erschienenen Beitrag heute, nach 91 Jahren zu lesen, kann von Interesse sein denn er ist aufschlussreich über damalige Meinungen und Einschätzungen. Der Beitrag des, laut Wikipedia, vor 1933 nach Deutschland ausgewanderten Journalisten und Schriftstellers Fritz Heinz Reimesch (geb. am 10. Februar 1892 in Kronstadt – gest. am 10. September 1958 in Bayreuth, Sohn des Lehrers und Schriftstellers Friedrich Reimesch) ist umso interessanter, da der Autor über die Gemeinschaft spricht der er angehört. Der Text hat einen rein zeithistorischen Wert; er ist dem damaligen Zeitgeist verpflichtet da nationalistische Sicht und Vorurteile jener Zeit ihre Spuren hinterlassen haben. Der hier abgedruckte Teil enthält auch eine Charakterisierung des Siebenbürger Sachsen als Stadtmenschen im jungen Großrumänien, differenziert nach seiner jeweiligen Heimatstadt. (Ralf Sudrigian)
Der Rassenforscher Günther nennt die Siebenbürger Sachsen eine nordische Auslese, was man aber nicht so ohne weiteres unterschreiben kann, da noch zu wenig Forschungen in dieser Richtung gemacht wurden. Nach seinen Tugenden und Fehlern gewertet, also nicht anthropologisch genommen, ist der Siebenbürger Sachse stark nordisch bedingt. Es eignet ihm zäher Fleiß und kühner Wagemut in geschäftlichen Dingen, er ist mit einem gesunden Konservatismus behaftet, aber nicht rückständig, sondern Neuerungen gegenüber nur vorsichtig; Bedächtigkeit und kluges Abwägen, ein sorgsames aber nicht habgieriges Rechnen machte ihn wohlhabend und infolgedessen leicht etwas geizig. Dieser Geiz zeigt sich aber mehr gegen seine Person. Seinem Vieh baut er die schönsten Ställe, während er selbst in einem alten Hause wohnen bleibt. Er ist grundehrlich, unbedingt zuverlässig, äußerst sauber, im geselligen Verkehr zunächst zurückhaltend und leicht zum Misstrauen geneigt, da er ja mit den umwohnenden Völkern nur zu viele schlechte Erfahrungen machen musste. Dies Misstrauen zeigt sich vor allem stark in der Politik und ist sehr berechtigt. Seine Feinde nennen ihn kalt und stolz. Mit den leichtlebigen Magyaren und Rumänen verglichen, ist er natürlich kalt, ja langweilig – besonders die Frauen wirken temperamentlos und selbst in der Liebe nüchtern. Stolz ist er nicht, dafür aber selbstbewusst, da er weiß, dass er der Lehrer der anderen Völker ist. Jedenfalls ist der Siebenbürger Sachse nicht überschäumend, es fehlt ihm ganz bestimmt der Sinn für ein heiteres Genießen des Daseins um des Genusses willen. Sein größter Genuss ist Schaffen und Vorwärtskommen. Wohl gibt es auch unter den Sachsen unverbesserliche Trinker, Kartenspieler und sonstige Tunichtgute, dumme Protzen und maulaufreißerische Prahlhänse, der Gesamteindruck ist aber doch in überragender Weise eine in sich gefestigte Persönlichkeit, die ihre Pflichten kennt und befolgt, was sich wohl am besten dadurch ausdrückt, dass die Sachsen die besten und pünktlichsten Steuerzahler sind und dem alten Ungarn eine große Zahl hervorragender Soldaten und Beamten geschenkt haben.
Das oben Gesagte gilt in der Hauptsache für den Bauern. Der Städter ist schwerer auf eine Formel zu bringen, vielmehr hat jede Stadt einen eigenen Typus hervorgebracht.
Der Hermannstädter ist, wenn man so sagen darf – Residenzler. Mit einem gewissen Hochmut betrachtet er sich als die Krone siebenbürgisch-sächsischen Lebens, da in den Mauern seiner Stadt sich die wichtigsten Ereignisse der Geschichte abspielten, hier der Bischof und die höchsten Würdenträger ihren Sitz haben, sich Kunst und Wissenschaft am schönsten entfalten konnten. Der Hermannstädter ist am stärksten mit der Tradition des Volkstums verwachsen, doch macht sich sein starkes Nationalgefühl weniger durch Robustheit bemerkbar als durch eine gewisse diplomatische Abgeschliffenheit, durch gute Umgangsformen und weltmännisch sein wollende Allüren, obwohl er im Grunde genommen ein gemütlicher Spießer ist, mit viel Mutterwitz, guter Allgemeinbildung und ausgesprochenem Sinn für gute Musik.
Sein Gegenpol ist der Kronstädter. Scharf, bissig, etwas großspurig, ein stets geschäftiger, Pläne schmiedender, geschäftstüchtiger, auch recht temperamentvoller Unternehmer, der gut verdient, aber schwer ausgibt. Kronstadt ist stets die gewerbefleißigste Stadt gewesen; an der Haupthandelsstraße gelegen, musste sie den kaufmännischen Sinn anregen, der sich in unserer Zeit zu einem Unternehmertum verhältnismäßig recht großen Stils entwickelte. Der Kronstädter muss immer das größte haben, die größte Kirche, die größte Orgel, die größte Glocke und infolgedessen auch den größten Mund. Was man so in Siebenbürgen Liberalismus nennt, das kam aus Kronstadt, jedenfalls ist er ein geborener Protestant oder noch besser Protestierer, der sich nichts gefallen lässt und stets angriffslustig mehr als einmal in der Geschichte den Widerstand der Nation stärkte und begann. In seinen Mauern wurde der Reformator des Landes, Honterus, geboren. Der Kronstädter duckt sich selten, muckt immer auf, führt die schärfste Sprache und ist deshalb unbeliebt. Er ist der scharfe Wind aus dem Osten, der die Perücken in Hermannstadt genugsam in Unordnung brachte. Dabei steht er dem Rivalen in Wertung einer gediegenen Bildung nicht nach, doch ist er mehr Praktiker. Sein künstlerisches Leben ist reichhaltig, besonders auf dem Gebiet der Musik, doch ist bei ihm das „Ästhetentum“ nicht im Schwange wie beim Hermannstädter, obwohl von Kronstadt die Neuerungen in Malerei und Musik kamen. Er fühlt sich als Großstädter und ist leicht geneigt, soweit dies der siebenbürgische Charakter zulässt, zu protzen.
Die drei mittleren Städte Schäßburg, Mediasch und Bistritz haben auch ganz eigenartige Charaktere entwickelt. Schäßburg ist eine Stadt der Originale, der Kratzbürsten, Grobiane, Dickköpfe, der starkknochigsten Kämpen und sinnigsten und geistvollsten Volksmänner. Die Schäßburger Schnurren und deftigen Aussprüche sind landbekannt, in den Mauern dieses siebenbürgischen Rothenburgs wuchsen dem Sachsentum die Sammler der Märchen, Sagen und Volkslieder und die weithin leuchtenden Bischöfe der letzten Jahrzehnte heran.
Der Mediascher ist der leichtlebigste Volksgenosse. An den Hängen seiner Berge wächst ein köstlicher Wein, und seine Frauen sind im ganzen Lande geliebt wegen ihrer Schönheit und ihres sprudelnden Frohsinns.Hier hat sich das moselfränkische Temperament erhalten. Der Mediascher hat Schwung und Leidenschaft, die sich in einigen Fällen zu imposanter Heldengröße aufbäumten. Die große Masse aber ist mehr aufs Äußerliche aus, Wohlleben in jeder Form, auch Oberflächlichkeit, besonders bei dem schönen Geschlecht und ein gutmütiges Schwadroneurtum macht sich bemerkbar.
Der Bistritzer steht zwischen beiden. Da er weitab vom großen Volkskörper lebt, ist er weniger bekannt, aber meistens beliebt, da er ein heiter-ernster Mensch ist, der viel Sinn für Beschaulichkeit hat, fleißig seinem Geschäft nachgeht und es durch bedächtiges Vorwärtsschreiten zu etwas bringt, ohne durch Schroffheit oder Protestlerei anzuecken.
Es gäbe sicher noch viel zu sagen von den Charaktereigenschaften meiner Landsleute, von ihren Tugenden und Fehlern, doch ich will mich bescheiden mit dem, was ich hier in großen Strichen aufzeichnete. Ihre schönste Eigenschaft ist unbestreitbar ihre geradezu fanatische Heimatliebe, die sich insbesondere in der Fremde zeigt. Wo auch nur ganz wenige Siebenbürger Sachsen zusammen leben, gründen sie einen Verein, und allein in Nordamerika gibt es 48 siebenbürgisch-sächsische Vereine, aber auch in Budapest, Wien, Berlin und überall dort, wo sich Landsleute zusammenfinden. Ob reich, ob arm, ob Gelehrter, Handwerker, Bauer, alle fühlen sich als Brüder, und dieses enge Gemeinschaftsgefühl hat sich stark gemacht und wird sie auch die Stürme überstehen lassen, die jetzt über die Heimat brausen.
Fritz Heinz Reimesch
Foto: In diesem Siebenbürgen gewidmeten Sonderheft der „Ostdeutschen Monatshefte“ ist 1926 auch der Beitrag des Kronstädter Journalisten Fritz Heinz Reimesch zur „siebenbürgisch-sächsischen Volkspersönlichkeit“ erschienen.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
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E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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