Die Tropfsteinhöhle: alt-neue Attraktion in Rosenau
13.10.11
Wilhelm Riemesch, einer der Entdecker, berichtet
Wer kann sich noch daran erinnern? Bestimmt nur noch ein paar ältere Semester. Es ist lange her, 1951, gerade mal 60 Jahre. Ich möchte in Erinnerung bringen, was damals war und wie es sich zugetragen hatte, dass wir, ein paar Jugendliche, getrieben von Neugier und Entdeckungsdrang, in Rosenau hinter der Burg ein Wunder der Natur, eine bis dahin unbekannte Höhle entdeckt hatten: Wir nannten sie „Tropfsteinhöhle".
Wir hatten Sommerferien von der Berufsschule und zu Hause war sowieso nicht viel zu tun. Vom höchsten Punkt der Burg hielten wir Ausschau ringsum über die Berge und Täler bis zu den Hochgebirgen. Wir entschieden uns dann für eine Richtung und streiften so manchen Tag über Berg und Tal. Wir waren in dem Alter, wo wir noch nicht viel mit Mädchen anzufangen wussten, und einen anderen Zeitvertreib gab es auch nicht, kein Radio, kein Fernsehen. Vom Staat war eine Leitung gezogen worden und jeder kriegte Lautsprecher (difuzor) ins Haus, aus denen kam Musik aus einer Zentrale. So suchten wir uns Zeitvertreib in der Natur und gegen Langeweile hilft bekanntlich Bewegung. In unserer Bergregion gab es ab und zu heftige Unwetter mit enormen Wassermassen. So eins war in der Gegend hinter der Burg niedergegangen und hatte eine gewaltige Sturmflut ausgelöst.
Mein Vetter Walter Riemesch (unser „Specht“) war auch damals mehr Einzelgänger. Ihn hatten die vom Wasser hinterlassenen Spuren neugierig gemacht und er hatte sie nachverfolgt bis hin zu der Stelle, wo es aus dem Berg entwichen war; hier klaffte ein großes Loch. Er kam zu mir, wir gingen zu zweit hin und bemühten uns, „dieses Loch" näher zu erforschen: Wir krochen auf Knien oder auf dem Bauch und auch gebückt. Dann wurde es dunkel und wir zogen uns zurück. Also musste eine Beleuchtung her, aber es gab ja zu der Zeit keine Taschenlampen. Wir überlegten Fackeln herzustellen. Wir sammelten Harz von den Tannen und kamen nach Hause. Aus dicken Lumpen, welche wir in Speiseöl tränkten, mit Teer und Harz präparierten wir unsere Fackeln. Die Taschen mit sämtlichen Weihnachtskerzen und Zündhölzern gefüllt, machten wir uns beide auf den Weg ins Abenteuer.
Dort hinten im Tal, wo jetzt die Straße in die Schulerau führt, irgendwo rechts oben, war die Höhle, nur von hinten über einen Wandersteg zu erreichen.So gerüstet krochen wir in den Berg. Irgendwo war eine 2-3 m hohe Felswand, welche wir mit gegenseitiger Hilfe überwinden konnten. Man hörte das dumpfe Platzen von Wassertropfen, die von der Decke herunter fielen, so konnten wir annehmen, dass hier ein großer Raum ist oder ein tiefes Loch.
Wir arbeiteten uns weiter vor und plötzlich erblickten wir einen großen Raum und sahen ein Wunder der Natur. So weit unsere karge Beleuchtung uns die Sicht erlaubte, sahen wir bizarre Gebilde, lauter Stalagmiten und Stalaktiten, manche reichten von der Decke bis zum Boden. Der Raum war wie eine große unregelmäßige Blase mit etlichen dunklen Ecken, voll mit wunderschönen Kristallen in weiß bis hellbraun und in allen erdenklichen Formen. Ein Meisterwerk, das die Natur ungestört in 100.000 Jahren geschaffen hatte, offenbarte sich vor uns.
Nachdem wir uns sattgesehen hatten, kamen wir heim. Unser Geheimnis mussten wir mit jemandem teilen. Am Abend gingen wir wie immer auf die Gasse - wie wir es nannten -, wo man sich mit Seinesgleichen für allerlei Späße traf. Wir erzählten unser Geheimnis ein paar Freunden, die sich auch bereit erklärten mitzumachen, den Eingang frei zu legen. Am nächsten Tag machten wir uns mit Schaufeln und Maurerkellen an die Arbeit. Wir schaufelten den Zugang frei und hoben einen Steg aus, so dass man gebückt in die Höhle treten konnte. Um den Felsen zu überwinden, zimmerten wir eine Leiter.
Man konnte sich jetzt irgendwie gemütlich in das Berginnere wagen. Mit vereinten Kräften haben wir alle Ecken und Enden durchsucht und gehofft, einen weiteren Durchbruch zu finden, aber nur rechts von unserem Eingang, in einer Ecke, waren mehrere Felsblöcke locker, die sich aber nicht bewegen ließen. Vermutlich war das viele Wasser hier eingedrungen. Wir haben dann auch von draußen die Gegend durchlaufen, irgendwo war ein Kessel, wo sich das Wasser bei Regen und Schneeschmelze sammelte und dann in den Berg verschwand.
Es hatte sich ein harter Kern von 4-6 Kumpeln gebildet und wir waren fast jeden Tag dort. Unser Geheimnis blieb aber nicht lange geheim. Nach ein paar Tagen fing eine „Völkerwanderung" an. Jeder wollte das Wunder der Natur sehen und jeder hatte dazu seine eigene Leuchtquelle dabei.
Nach 2-3 Wochen fing der Spaß an ernst zu werden. Die Leute schlugen Tropfsteinstücke ab und nahmen sie als Souvenirs mit, so wurde so manches schöne Stück zerstört. Wir waren uns des Schadens bewusst, konnten aber nicht viel unternehmen, um dies zu unterbinden und diese Herrlichkeit zu schützen.
Weil immer mehr fremde Leute kamen, hofften wir, dass jemand von einer verantwortlichen Stelle kommt, um Ordnung zu schaffen.
Denkste. Es war die Zeit in der die politische Führung das ganze Land in die landwirtschaftlichen Genossenschaften hineingepresst hatte. Die ganze Führung war beschäftigt mit dem Aufbau des Sozialismus und Kommunismus, wo nur noch Milch und Honig fließen sollten und die ganze Welt sollte ob dieser neuen Errungenschaften lobsingen. So war kein Platz und Zeit für so eine Lappalie von Loch in einem Berg. Wir waren entschlossen, selbst etwas zu unternehmen. Eine Mauer war die Lösung. Keiner von uns hatte aber Geld für den nötigen Zement. Wir hatten die Idee, von jedem, der die Höhle besuchte, einen Leu zu kassieren.
In wenigen Tagen war so viel Geld zusammen gekommen, dass wir davon den Zement kaufen konnten. Wir schleppten ihn und des Werkzeug in Rucksäcken hin und machten uns an die Arbeit; an einem Tag war des Loch zu. Keiner hatte mehr danach gefragt, wie, was, warum. Bevor wir aber des Loch zumachten, pinselten wir unsere Namen und das Datum, jeder mit einer Farbe, die er für dauerhaft hielt, an irgendeiner verborgenen Stelle an die Felswand. Ob jetzt noch was übrig ist und ob die Namen entdeckt worden sind? Ich jedenfalls weiß noch genau, wo ich mich verewigt habe. Irgendwann tauchten zwei Reporter auf, die mich und meinen Vetter aufsuchten. Es stellte sich heraus, dass sie vom „Neuen Weg" waren und unsere ganze Geschichte nacherzählen wollten. Ich glaube der Artikel erschien 1955. Nach etwa drei Jahren bin ich mal wieder an der Höhlenöffnung vorbei gegangen, die Mauer war umgekippt und die Öffnung fast ganz mit Schlamm und Sand unterspült. Kein Zeichen davon, dass da jemand durch konnte. So viel zur Vergangenheit.
(übernommen aus der „Rosenauer Zeitung“, Sommerausgabe 2011)
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