Die Turmuhr tickt, die Glocke schlägt, die Stadt schläft
30.09.10
Originales Mannhardt-Uhrwerk im alten Rathaus
Turmuhren sind out. Uhren und Handys hat fast jeder, warum dann noch für den Rathausturm und seine älteste Stadtglocke ein passendes Uhrwerk suchen, kaufen, einsetzen und warten? Weil gerade im Kronstädter historischen Zentrum der Glockenschlag und die alte Turmuhr am Rathaus dazu gehören. Weil es schade ist, dass oben, im Turm, Glocken und Uhrwerk rosten und vergessen werden.
Es brauchte zwei leidenschaftliche deutsche Uhrsammler (Christa und Klaus Keith aus Schwäbisch Hall), einen beherzten Kronstädter Hobby-Mechaniker (Zoltán Boér), einen der die Verbindung herstellte (Dipl.-Ing. Francisc Incze, gebürtiger Kronstädter, heute bei Heilbronn lebend) und eine Menge Glück, damit alles klappt und die alte Turmuhr wieder in Gang gesetzt wurde. Diese Vierer-Formation war Mitte September drei Tage im Turm im Einsatz. Klaus Keith, ausgebildeter Maschinenbau-Ingenieur, und seine Ehefrau Christa, beide Inhaber einer Uhrenwerkstatt in Schwäbisch Hall, hatten sich wohl nicht gedacht, dass ihr erster Rumänienbesuch mit dem Montieren eines alten Mannhardt-Turmuhrenwerks (Baujahr 1890) zustande kommt. Über Francisc Incze hatten sie erfahren, dass so eine Uhr für Kronstadt gesucht wurde. Incze selbst hatte einen Aufruf in der „Neuen Kronstädter Zeitung“ gelesen – ein Aufruf der in unserer Redaktion auf Initiative von Zoltán Boér zustande kam. Das passende Uhrwerk tauchte auf und, genauso wichtig, die richtigen Menschen trafen zusammen. Nachdem der Kreisrat Kronstadt (mit Verspätung aber doch) 2000 Euro für das Restaurierungsprojekt im Rathaus (Sitz des von dieser Behörde finanzierten Geschichtemuseums) zuwendete, nachdem aus Spenden (Firma „Velux“, Benefizkonzerte, Unterstützung seitens in Deutschland lebender Kronstädter) die Differenz bis zu 3000 Euro (der Preis des Mannhardt-Uhrwerks aus der Sammlung Keith) gedeckt werden konnte, stand fest: die Uhr und die Glocke am Marktplatz sind aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt worden.
Klaus Keith war der Experte bei den Einbau-Arbeiten; Zoltan Boer half mit und passte gut auf denn nun wird er das Uhrwerk aufziehen und pflegen.
Mit seinen 73 Jahren ist der Elektriker und Uhrenliebhaber Boer zwar nicht mehr der jüngste und beweglichste um, wahrscheinlich einmal in der Woche, (die Laufzeit der Uhr wurde verlängert durch zusätzliche Umlenkungen der Seile an denen die Gewichte angebracht sind) die engen, steilen Turmtreppen auf- und abzuklettern, die Uhr aufzuziehen und ihr Ticken zu überprüfen. Bisher hat er das schon oft getan, z.B. beim manuellen Betätigen des Glockenhammers um die Stunden anzuschlagen. Diese Uhr hatte nach dem zweiten Weltkrieg immer wieder Glück gehabt, denn stets haben sich Leute wie der inzwischen verstorbene Pal Mezei, oder Erwin Schall aus Rothbach oder eben Zoltán Boér gefunden, die ehrenamtlich nach dem Rechten sahen, improvisierten, Ersatzteile erstanden bzw. erbettelten, damit die Uhr (auch ohne Läutwerk) nicht endgültig stillsteht und damit die Angaben auf dem Ziffernblatt auch stimmen. Ob es wohl auch in Zukunft reichen wird, sich allein auf dieses „Glück“ der Uhr zu verlassen?
Ihr Mechanismus arbeitet, trotz ihres Alters, sehr verlässlich – nur aufgezogen und sauber gehalten muss sie werden. In ihrem Gehäuse ist sie relativ geschützt vor allem von dem Unrat den die zahlreichen Tauben oben am Turm hinterlassen. Man solle von der Mannhardt-Uhr nicht die Genauigkeit einer Quarzuhr erwarten, machte Klaus Keith aufmerksam. Er und Frau Christa sind einer Meinung: in Kronstadt, im alten Rathausturm, ist ihr Uhrwerk mit Antiquitätenwert an der am besten geeigneten Stelle angekommen – vom Museumsstück ist es zum funktionierenden „Motor“ der Stadtuhr aufgestiegen. Darüber sind die Beiden besonders froh; das war es auch wert, auf eigene Kosten die Kronstadtreise zu unternehmen und für die Montagearbeiten keine Rechnung auszustellen.
Die älteste Glocke Kronstadts ist, zusammen mit ihrer kleineren Schwester, wieder vom Rathausturm zu hören; die Uhr läuft nun über ein 120-Jahre altes Uhrwerk (in Siebenbürgen soll es übrigens vier weitere Mannhardt-Uhrwerke geben). Für die meisten Kronstädter und für die Kronstadt-Besucher ist das wohl was Selbstverständliches. All jenen die diese Normalität, durch ihre Arbeit, Spenden, Ideen und Initiativen ermöglicht haben, gebührt Dank und Anerkennung seitens der Stadt und ihrer Verwaltung. Ob man bei den Behörden das auch so empfinden, ist leider nicht so leicht erkennbar. Mit Sicherheit sind auch sie stolz auf die 775 Jahre alte Kronstädter Geschichte. Wenn ab nun zwei Objekte von einem gewissen historischen Wert (Turmuhr und Glocke des Rathauses/Geschichtemuseums) nicht wie bisher offiziell vernachlässigt werden, wäre das auch ein Dankeschön.
Ralf Sudrigian
Foto 1
Das passende Uhrwerk für die Turmuhr im Rathaus kam, wie auch ihr ehemaliger Eigentümer Klaus Keith, aus Schwäbisch Hall.
Foto 2
Francisc Incze, Christa Keith, Zoltan Boer und Klaus Keith (von links) im Rathausturm neben dem Mannhardt-Uhrwerk
Fotos: der Verfasser
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