Die Zwei Purzen
02.12.10
Bis 1800 gab es in der Langgasse eine Wehrmauer mit einem Doppeltor
Die meisten Kronstädter wissen, daß die Purzengasse seit dem Mittelalter die Hauptstraße der Inneren Stadt war und auch heute ist und vom Marktplatz in etwa östlicher Richtung bis zum größten mittelalterlichen östlichen Stadttor führte. Von der lateinischen Bezeichnung „Porta" für „Tor" wurde im Laufe der Jahrhunderte der sächsische Ausdruck „Purzengasse", also „Torgasse". (Ähnlich wie die Ratte sächsisch „Ratz" heißt).
Nur wenige Kronstädter haben jedoch davon gehört, daß es in Kronstadt auch noch „Zwei Purzen" gab, und zwar in der Langgasse, oberhalb der Gabelung von Langgasse und Mittelgasse, um bei feindlichen Einfällen ein zusätzliches Hindernis auf dem Wege zur Inneren Stadt zu bilden.
Über diese „Zwei Purzen" lesen wir im Kronstadt-Buch von Dr. Erich Jekelius (1928), daß es dort eine starke Mauer gab. In der Mitte öffneten sich zwei Tore - „die zwei Purzen", aus denen über den unterhalb ausgehobenen tiefen und breiten Graben zwei Zugbrücken ausgelegt werden konnten. Zwischen den beiden Toren befand sich ein Bild des gekreuzigten Heilandes, auf beiden Seiten flankiert vom Kronstädter Wappen. Eine Inschrift besagte, daß die Anlage im Jahre 1659 renoviert wurde. Im Jahre 1800 wurde die Mauer mit den zwei Purzen abgetragen und der Graben aufgefüllt.
Gelegentlich von Verzeichungsarbeiten im Archiv des Gedenkmuseums der Familie Muresianu in Kronstadt, konnten wir einen Band feststellen (Handschrift Nr. 107) mit dem Titel „Prothokoll Einer Ehrsamen Nachbarschaft Unterhalb der zwey Porzen. Im Jahr Christi Ano 1796 den 11. März". Hier hat vor allem der damalige Nachbarvater Andreas Kraft, der von Beruf seit dem Jahre 1775 Töpfermeister war, wertvolle Eintragungen gemacht, die die obigen Informationen über die „Zwei Purzen" ergänzen. Er schreibt - in teilweise modernisierter Rechtschreibung - :
„daß am ober(n) Ende der zweiten Nachbarschaft eine Quermauer die zwei Portzen genannt gebauet war. Diese Mauer hatte zwei kleine Türen auf beiden Seiten zum Durchgehen und zwei große Tore zum Durchfahren und die Mauer war 8 Schuh (= etwa 2,40 m) dick, war oben mit Kraghölzer(n) in der Mitte durchzogen und vermauert und (mit) Schußlöchern versehen. Und stellte einen Ort (= eine Art) von Wachtlusthaus vor. Von der (östlichen) Seite wo anjetzo der neue Kanal von Steinen ausgelegt ist, ging eine Treppe an der Mauer gegen die Stadt zu hinauf, so wie auch auf der anderen Seite, daß man hinunter gehen kann. In dieses Lust- oder Wacht-Haus gingen (an) alle(n) Christfeiertag(en ) unser Schulmeister mit Zuziehung mehrerer Studenten hinauf und sangen das 'Puer natus' ( =Ein Kind ist uns geboren) nebst andern schönen Arien ab…
Es wurde aber nur durch das eine (westliche) Tor gefahren, weil durch das zweite das Wasser immer abfloß, wodurch es denn geschah, daß an Markttagen und Jahrmärkten ein solches Gedränge entstand, daß zu mehrmalen Menschen und Vieh ums Leben gekommen.
Diese schon erwähnte Portz war 5 Klaftern hoch (= 9,5 m!?), hatte auch auf der Seite gegen die Altstadt eine glate Wand. Worauf zwischen den zwei Türen zwei Rundel gemalt (waren). Eines dieser Runde war das Crucifix mit dem Bilde des gekreuzigten Erlösers, in dem andern war die Krone mit der Wurzel, als das Kronstädter Wappen. Über den beiden Runden standen die Worte 'Crucifixum Christi'. Auf diesem Gebäude standen zwei Knöpfe mit zwei Fähnlein, in welchen die Jahreszahl eingeschrieben (war) 'Anno 1434 (!?)' (Wahrscheinlich 1734, als die Kronstädter Befestigungen wegen einem befürchteten Türkeneinfall wieder in Verteidigungszustand gebracht wurden.) Die Mauer wurde lange Zeit nicht mehr repariert und drohte deshalb einzustürzen. Deshalb wurde vorgeschlagen, die Abtragung vorzunehmen, was auch in der Kommunitätssitzung am 1. April 1800 beschlossen wurde. Der Stadtbauverwalter Franz Giller ließ die Arbeit durch die Stadtmaurer- und Zimmermeister Simon Weiß und Johann Schunn durchführen. Auf diese Weise war die Purtz in etlichen Tagen weggeschafft, wie auch jetzo noch mit Vergnügen zu sehen ist und was für eine schöne Aussicht es der ganzen Altstadt ist, wie auch die Wägen 3 bis 4 neben einander fahren können. Erst Anno 1802 aber wurde der Kanal durch den Stadtpflasterermeister Michael Gräff aus gemauert und soll dem Vernehmen nach 2400 Gulden kosten, denn es wurde einen ganzen Sommer daran gemauert….
Die Baumaterialien aber, welche von der Portze abgeklaubet war, wurde(n) vor die Blumenau geführt und gegenüber der ungarischen evangelischen lutherischen Kirche eine Brust(mauer) daraus gemauert."
Durch diese Angaben werden unsere bisherigen Kenntnisse über die zwei Purzen in der Langgasse ergänzt und bereichert. Eine Aufgabe der Forschung ist es, den möglichst genauen Standort dieser Anlage festzustellen. Auch dafür gibt Andreas Kraft Anhaltspunkte: „Diese Mauer hatte gegen der Altstadt zu Nachbarn das von allen Häusern herausstehende Haus des Herrn Johann Groß Seilermeister (Nr. 29) und gegenüber das des dermaligen Leichen-Cassa-Bewahrer, Herrn Andreas Kraft Töpfermeister (Nr. 487), gegen der Stadt aber Martin Connert Zimmer(meister) (Nr. 28) und Petrus Bartesch Töpfermeister (seit 1798)" (Nr. 488).“
Auf dem Kronstadt-Plan von Zultner 1735, aktualisiert von Seethal 1796, sind die "Zwei Purzen" nicht eingezeichnet.
Auf einem aus dem Archiv der Schwarzen Kirche stammenden Plan aus der Zeit um 1800, der jetzt im Kronstädter Staatsarchiv aufbewahrt wird, sind die "Zwei Purzen" eingezeichnet. Aber nicht dort, unmittelbar bei der Gabelung von Langgasse und Mittelgasse, wo sie Gustav Treiber 1928 angedeutet hat, zwischen den heutigen Hausnummern 64 und 65, sondern weiter oben, zwischen den heutigen Hausnummern 56 und 59.
Es ist wohl angebracht, den heutigen Stadtbehörden zu empfehlen, eine auf diese frühere Anlage bezügliche Inschrifttafel anzubringen, auch wenn nur zu wenige historische Baudenkmäler der Stadt solche Tafeln haben.
Gernot Nussbächer
Foto 1:
Die zwei Purzen im Stadtplan um 1800.
Foto 2:
Auszug aus dem Stadplan von Ing. Gustav Treiber, 1928.
Foto 3:
Ausschnitt aus dem Stadtplan 1887.
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