Drama zu Weihnachten
13.01.11
Junge Kronstädterin tötet in Berlin ihr neugeborenes Kind
Am zweiten Weihnachtstag geht eine schockierende Nachricht durch die deutschen Medien: eine junge Mutter wird in Berlin verhaftet, weil sie, kurz nach der Geburt, ihren Sohn aus dem Fenster des Badezimmers ihrer Wohnung im ersten Stock in den Schnee geworfen haben soll. Der Neugeborene stirbt an Unterkühlung; offen bleibt die Frage „Wie kann so etwas möglich sein?“
Die 20-jährige Mutter, Adriana Maria Benedek, ist eine Prostituierte aus Kronstadt/Brasov, die im September nach Berlin gereist war, angeblich um Geld zu verdienen – für sie und ihr zwei Jahre altes Mädchen, Alexandra, das sie in Rumänien gelassen hatte. Zwei Tage nach diesem Drama wollten zwei Journalisten aus der Berliner Redaktion der auflagenstärksten deutschen Tageszeitung in der Heimatstadt der Prostituierten Näheres über das Umfeld erfahren, in dem Adriana Benedek lebte bevor sie in Berlin diese schreckliche Tat beging. Bei der „Bild“-Recherche konnte auch die „Karpatenrundschau“ dabei sein.
Im ehemaligen Wohnzimmer von Adriana steht noch ein kleiner, einfach geschmückter Weihnachtsbaum auf einem Tischchen. Die Großeltern, Edmund (72) und Lidia Maria Biro (70) sind diejenigen die Adriana seit ihrem zweiten Lebensjahr aufgezogen haben, bis diese, knapp vor ihrem 14. Geburtstag, von zu Hause geflüchtet ist. Ihren Vater hat sie niemals kennen gelernt; ihre Mutter hatte versucht, in Teliu ein neues Leben zu beginnen und kümmerte sich nur ab und zu um ihre älteste Tochter. Edmund Biro, den wir vor seinem Wohnblock in der Florilor-Straße treffen, will zunächst nichts von seiner Enkelin erzählen. „Wir wissen nichts von Adriana, sie hat uns verlassen!“ Über ihre Verhaftung waren die Beiden bereits am Vorabend von einer Journalistin in Kenntnis gesetzt worden. In dem engen Appartement im Erdgeschoß des Plattenbaus am Stadtrand von Kronstadt erzählen dann die Großeltern abwechselnd doch von der kleinen Adriana – einem hübschen, zierlichen Mädchen, etwas kränklich weil sie an einer Niereninfektion litt. Sie ging bis zur achten Klasse ins Aprily-Lajos-Lyzeum zur Schule. Aber jenes Schuljahr beendete sie nicht mehr. Die falschen Freunde, die überforderten Großeltern, die fehlenden Eltern, das Pubertätsalter – alles hat wohl mitgespielt, dass Adriana schnell wusste, wie ein geschminktes und entsprechend gekleidetes Fräulein leicht viel Geld verdienen konnte. Nur Schauspielerinnen nicht aber Kinder dürften sich so schminken, sagte ihr die Großmutter, die besorgt feststellen musste, wie ihre Enkelin auf die falsche Bahn geriet. Als die Polizei sie in einem Hotel vorfand und nach Hause brachte, dürfte es wohl klar gewesen sein, weshalb die noch Minderjährige so oft von zu Hause und aus der Schule fehlte. Für eine kurze Zeit griff auch das Jugendschutzamt ein und Adriana verbrachte einige Tage in einem Auffanglager in S²cele. Dort wollte man aber eher wissen, wo sie in Kronstadt wohnt, um sie nach Hause zu bringen. Wenn sie fehlte, erinnert sich der Großvater kopfschüttelnd, wollte der davon in Kenntnis gesetzte Polizist nur erfahren, wo sie sich aufhalte, um sie nach Hause zu bringen.
Nach ihr zu suchen oder sie aus ihrem zwielichten Milieu loszulösen, war zu viel verlangt, hört sich heute die kritische Schilderung der Großeltern an. Tränen kommen Frau Biro in die Augen, als sie Fotos mit Adriana aus den Zeitungsberichten zu sehen bekommt. Edmund Biro fuchtelt mit der Zeitung in der Hand, ärgert sich noch einmal auf seine Tochter („Nie war sie für Adriana da“, „Als sie aus Ungarn zurückkam, hatte sie nur einen Kiwi für ihre Tochter mitgebracht!“) und auf Adrianas Vater („Ein Nichtsnutz“). Beide sind tief betroffen vom Schicksal ihres Enkelkindes und reden sich jetzt ihren Ärger und ihre Enttäuschung von der Seele.
In Teliu empfängt uns Eva-Enikö Benedek in einem ärztlichen Kabinett wo sie, wie auch im benachbarten Rathaus und Kulturheim als Putzfrau arbeitet. Sie sei nicht mit ihrer Tochter zurechtgekommen und habe, wie auch die Großeltern, in den letzten sechs Jahren überhaupt keinen Kontakt zu ihr gehabt. In Kronstadt hätte sie Adriana gelassen, damit sie dort eine bessere Schule besuchen könne. Geschlagen hätte sie sie nicht, aber in Teliu bei der neuen Familie wollte Adriana trotzdem nicht bleiben. Ihre kleine Stiefschwester (6) und ihr zwei Jahre älterer Stiefbruder können sich so gut wie gar nicht an ihre größere Schwester erinnern. Adriana ähnele ihr, aber nur was die Gesichtszüge betrifft, sagt die Mutter über ihre Tochter. Trotzdem würde sie ihr helfen wollen und sie bei sich wieder aufnehmen. Auch der lebhaften, kleinen Frau die ein schwarz-weiß gestreiften Pullover und eine schwarze Wollmütze trägt, kommen Tränen in die Augen. Nein, eine Botschaft per Video-Aufnahme an die inhaftierte Tochter sei sie aber nicht bereit zu richten. Und über den Verbleib der kleinen Alexandra habe sie keine Ahnung.
An das kleine, blonde Mädchen erinnern sich hingegen Adrianas Nachbarn von deren letztem Wohnort in Kronstadt gern. Es sind Rentner aus einem der alten Wohnblocks im Astra-Viertel. Herr Zaharia, ein allein lebender Witwer, stellte regelmäßig sein Bad zur Verfügung, damit Adriana ihre kleine Tochter mit Warmwasser baden konnte. Er und zwei andere Nachbarinnen wussten nur, dass Adriana zeitweilig ins Ausland auf Arbeitssuche gefahren wäre. Dass sie damals bereits schwanger war und sich nun wegen Tötung ihres Kindes verantworten muss, können sie einfach nicht glauben. Adrianas Mietwohnung steht seit einigen Monaten leer; niemand weiß, wer und ob sich überhaupt jemand um die kleine Alexandra kümmert.
Wegen den strengen Personenschutzregeln ist es auch nicht möglich beim Bürgermeisteramt den Namen des Vaters zu erfahren. Für einen Weg zum Jugendschutzamt reicht die Zeit nicht mehr. Dort wäre derselbe restriktive Datenschutz genannt worden, um weitere Nachforschungen (selbst wenn diese im Interesse des Kindes sind) zu blockieren. Inzwischen hat das Jugendamt seine eigenen Ermittlungen gestartet, laut denen der wahrscheinliche Vater von Alexandra keine Schuld treffen kann. Es soll sich um einen ehemaligen Insassen eines Kinderheimes handeln, der aber anschließend eine gesicherte Arbeitsstelle gefunden hat und somit Adriana, die er nach wie vor liebt, und Alexandra ein Heim aber wohl keinen Luxus sichern konnte. Nach einigen Tagen führt der Vater die Beamten vom Jugendschutz zu einer befreundeten Familie wo Alexandra wohl aufgehoben lebt. Bei dieser Gelegenheit lernt er auch Alexandras Großmutter kennen. Adriana hatte ihm gesagt, sie sei, wie auch er, ohne Familie aufgewachssen.
Episoden einer tragischen Geschichte, das Gegenteil einer Weihnachtsgeschichte, kamen bei dieser Recherche ans Tageslicht. Käufliche Liebe, eine zerrüttete Familie, Verzweiflung führten zu einem verlorenen und einem zerbrochenen Leben. In Kronstadt konnten die Spuren einer unglücklichen Kindheit und das Versagen der Familie aber auch der Behörden zu Schein treten. In Berlin werden hoffentlich weitere Ermittlungen der zuständigen Behörden Einzelheiten über dieses Drama und über die daran Mitbeteiligten bringen – Details einer Tragödie in der es vor allem um Prostitution, Zuhälter und Menschenhandel geht und erst danach um Armut in Rumänien und kaputte Familien.
Ralf Sudrigian
Die Großeltern sind über ihre Enkelin tief bekümmert.
Foto: Fabian Matzerath
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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