“Ein dunkles Kapitel der rumänischen Geschichte, das aufgearbeitet werden müsste”
16.09.22
Gespräch mit Dr. Beate Greif zu ihrer neuen Buchveröffentlichung über den Schriftsteller Alfred Kittner
Im Hartung-Gorre Verlag aus Konstanz ist kürzlich der Band “Alfred Kittner. Leben und Werk” von Dr. Beate Greif, Deutschlehrerin am Mesota-Nationalkolleg, erschienen. Es handelt sich um die Veröffentlichung der Doktorarbeit, die sie im Herbst 2021 an der Fakultät für Philologie der Universität aus Jassy verteidigt hat. Der Schriftsteller Alfred Kittner wurde 1906 in Czernowitz geboren und sein Lebensweg ist stellvertretend für den einer ganzen Dichtergeneration, die die historischen Umbrüche seit Beginn des Ersten Weltkrieges erlebt hat. Was Kittner jedoch auszeichnet, ist die Tatsache, dass sich sein literarisches Werk parallel zu den politischen Ereignissen entwickelte, sowohl in der Bukowina, als auch nach seinem Umzug nach Rumänien. Zu diesem Thema sprach Dr. Beate Greif mit der KR-Redakteurin Elise Wilk.
Liebe Frau Dr. Greif, kam es dazu, dass Sie das Werk des Schriftstellers Alfred Kittner als Thema für Ihre Doktorarbeit ausgewählt haben?
Zur historischen Bukowina habe ich ein besonderes Verhältnis: ich kenne sie einigermaßen aus den Erinnerungen meines Vaters, der seine geliebte Heimatstadt Czernowitz im Jahre 1946 mit meinen Großeltern verlassen hat, um sich in Rumänien niederzulassen. Mein Großvater war zwei Jahre lang (1933-1935) Vizepräsident der jüdischen Kultusgemeinde in Czernowitz, demnach in das soziale und kulturelle Leben bestens eingebunden. Als ich in meinen Lyzealjahren das Gedicht „Die Todesfuge” las, erzählte mein Vater, dass der Schüler Paul Celan bei ihnen im Haus vorgetragen habe… Wie das Leben so immer dazwischenkommt, habe ich nie daran gedacht, mich mit der Geschichte und Kultur jenes von der Geschichte so stiefmütterlich behandelten Landstriches zu beschäftigen. Die Idee kam mir jedoch vor drei Jahren, in der düsteren Zeit der Restriktionen, der Isolierung. Es war für mich eine Zeit der Selbstbesinnung. So nahm ich Kontakt zu meinem früheren Uniprofessor vom Germanistiklehrstuhl Jassy auf, Herrn Univprof. Dr. Andrei Corbea-Hoisie, einem der weltweit bewandertesten Kenner der Bukowinaer Kultur und Literatur, sowie bedeutender Celan-Exegete. Den Hinweis auf Alfred Kittner verdanke ich ihm, und mein Interesse wurde dadurch erweckt, dass mir als Einstieg ein Besuch der Nationalrats zur Untersuchung der Archive der Sicherheit vorgeschlagen wurde, um da die Kittner-Dossiers durchzusehen. Da erfuhr ich, dass Kittner aufgrund seiner engen Beziehungen zu siebenbürgischen Dichtern verfolgt und erpresst wurde.
Wie haben die politischen Ereignisse sein Werk beeinflußt?
Alfred Kittner ist 1906 in Czernowitz geboren, mit seiner Familie im ersten Weltkrieg nach Wien geflohen, wo er die Schule besucht hat und ist nach Kriegsende nach Czernowitz zurückgekehrt. Die Lektüre eines Gedichtes von Joseph von Eichendorff hat ihn dermaßen beeindruckt, dass er zu dichten begann. Man muss sagen, dass sich seine gesamte literarische Tätigkeit parallel zu den sozial-politischen Ereignissen, die in der Nordbukowina stattgefunden haben, entfaltete. So hat zum Beispiel die rumänische Besetzung und Verwaltung der Nordbukowina im deutsch-jüdischen, akkulturalisierten Dichter Entfremdungsgefühle ausgelöst und seinen Gedichten eine romantische Note aufgeprägt. Sein erster Gedichtband trägt den Titel „Der Wolkenreiter” und erschien 1934. Das deutschsprachige kulturelle Leben ist in Czernowitz auch in der rumänischen Zeit geblüht, seltsamerweise erlebte es gerade dann eine Hochblüte. Kittner arbeitete drei Jahre auch als Zeitungsredakteur bei den zwei deutschsprachigen Zeitungen „Der Tag” und „Tagblatt”, wo er eigene Gedichte veröffentlichte, aber auch Verse anderer deutsch-jüdischen Dichter – die deutschsprachigen akkulturalisierten Juden, nicht nur die Dichter, waren die eigentlichen Kulturtrüger und Fortschrittsvektoren der Nordbukowina – einer breiten Leserschaft vermittelte. In Artikeln wies er sogar auf rumänische Neuerscheinungen hin: L.Rebreanu, „Padurea spânzuratilor” u.a. Diese Zeitungen waren natürlich deutschsprachig, enthielten aber in den dreißiger Jahren auch Artikel in rumänischer Sprache: Rebreanus Roman wurde in zahlreichen Folgen abgedruckt.
Das Antonescu Regime hatte seine unheilvollen Auswirkungen auch in der Nordbukowina, oder vor allem in der Nordbukowina: Alfred Kittner wurde nach Transnistrien deportiert, so wie fast alle seiner deutsch-jüdischen Dichterkollegen und anderen jüdischen Zeitgenossen. Dort entstanden seine beeindruckendsten Gedichte, die er gerettet hat und in Bukarest, wo er sich nach 1945 niederließ, unter dem Titel „Hungermarsch und Stacheldraht. Gedichte von Trotz und Zuversicht” veröffentlichte. Es sind Schilderungen der grausamen Wirklichkeit in diesen Todeslagern, in denen jedoch Freude an den kleinen, unscheinbaren Dingen, und Hoffnung, durchsickert. Es wird ein Holocaust geschildert, der leider verdrängt wurde, es ist ein Beispiel der Lebensmeisterung in harten Zeiten. In Rumänien, nach 1945, war Kittner in Bukarest als Dichter, aber vor allem als Literaturvermitter besonders aktiv. Seine Verbindungen reichten von Bukarest über Deutschland,Österreich, den USA bis Tel Aviv.
Was können Sie uns über seine Tätigkeit als Übersetzer rumänischer Literatur sagen?
Der deutsch-jüdische Dichter übersetzte rumänische Dichter ( T.Arghezi, I. Pillat u.a.), M.Sadoveanu, ganz viele andere rumänische Romanschriftsteller und machte somit die rumänische Literatur unter der deutschen Leserschaft in Rumänien und im Ausland bekannt. Er vermittelte deutsch-jüdische Dichter der Nordbukowina, deren Dichtungen von deutschsprachigen Verlagen aufgrund der Rassengesetzte nicht akzeptiert worden waren. Sein reger Briefwechsel mit ausländischen Professoren und Dichtern sowie Schriftstellern, den er von Rumänien aus führte, bietet Einblick in das rege Literaturleben aus Czernowitz, aber auch in die politischen Gegebenheiten zur Zeit der kommunistischen Diktatur in Rumänien. Kittner pflegte von Bukarest aus enge Beziehungen auch zu siebenbürgischen Schriftstellern und Dichtern: Harald Krasser, Erwin Wittstock und viele andere. Versöhnlichkeit wurde von ihm großgeschrieben. Er plante die Herausgabe einer Anthologie deutschsprachiger Dichtung aus Rumänien und der Nordbukowina herauszugeben, gerade um zu beweisen, dass gute Dichtung nicht nur „deutschbluetig”, so wie in der Zeit der Nazidiktatur behauptet, sondern „deutschsprachig” sein kann. Er entfaltete eine außergewöhnliche Sammlertätigkeit, doch diese Anthologie kam nicht mehr zustande.
1981 blieb Alfred Kittner bei einem Dichtertreffen in Deutschland und setzte dort seine literarische und Vermittlertätigkeit sehr erfolgreich fort. Seine Wohnung in Bukarest wurde von der Securitate aufgeräumt und seine Bibliothek, die zehntausende Bücher enthielt, in alle Winde verstreut. Einen Teil des Archivs habe ich jedoch in Bukarest entdeckt, ein anderer Teil befindet sich in der Bundesrepublik und in den USA. Er verstarb im Jahre 1991, in Düsseldorf.
Wird sein Werk in der Schule studiert?
Alfred Kittner wird in der Schule nicht studiert, es gibt in den Schulbüchern jedoch Paul Celan mit der „Todesfuge” und Alfred Margul-Sperber, wobei letzterer auch nur mit Gedichten vertreten ist, die nicht gerade sein Kunstverständnis illustrieren. Das ist schade, denn Kittner hat wunderschöne Gedichte in seiner Frühphase geschrieben, die der Neuromantik zugeordnet warden koennen. Ausserdem finde ich seine in der Deportation zustande gekommenen Gedichte als ein anschaulicher Spiegel der Zustände, denen zehntausende Menschen während ihrer Verschleppung nach Transnistrien ausgesetzt waren. Sie koennten im Geschichtsunterricht eingesetzt werden. Die meisten Schüler wissen nicht, dass es nicht nur die Konzentrationslager in Polen gegeben hat…. Es handelt sich um ein dunkles Kapitel der rumänischen Geschichte, dass aufgearbeitet werden müsste… Gerade deshalb erscheint mir sein Werk so aktuell. Und aus psychologischer Sicht: In finstersten Zeiten ist Freude am Kleinen und Hoffnung Überlebenschance.
Was finden Sie am Interessantesten an seinem Werk? Wie aktuell ist es heute?
Dass dieser Dichter aufgrund seines Werks interessant und aktuell ist, hat mir auch die Bereitschaft des Hartung-Gorre Verlags bewiesen, meine Dissertation als Buch, wenn auch in etwas verkürzter Form, zu veröffentlichen. Es ist als Widmung an meine Großeltern und an meinen Vater gedacht, die ihr geliebtes Czernowitz 1946 verlassen und es nie wiedergesehen haben.
Wir danken für das Gespräch!
Der Schriftsteller Alfred Kittner. Foto: Archiv William Totok
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