Ein Fernwanderweg von 1500 km in Sicht
12.11.09
Auf der via carpatica vom Eisernen Tor (Rumänien/Serbien) nach Bratislava (Slowakei)/ von Dr. Joachim Jaudas, ISF München (II)
Wirtschaftliche Impulse durch die via carpatica
In vielen Bereichen werden sich durch die via carpatica zahlreiche positive Entwicklungen ergeben. Auf die wirtschaftlichen Impulse, die von einem derartig großen und internationalen Entwicklungsprojekt ausgehen werden, wurde schon hingewiesen. Wenn die Nachfrage nach touristischer Dienstleistung kontinuierlich wächst, kann dies sogar zur Rückkehr von Emigranten in die alte Heimat führen; Beispiele dafür gibt es bereits.
Die Bedeutung der via carpatica ist aber nicht nur am wirtschaftlichen Erfolg und an den Arbeitsmarkteffekten zu messen, sondern auch am Erhalt und an der Wiederbelebung der heimischen Kultur. Nachhaltiger Tourismus führt zu einer Aufwertung des ländlichen Raumes. Die Entwicklung der via carpatica fordert von den regionalen Akteuren Ideen und Phantasie, Mitgestaltung und Mitentwicklung. Nicht nur gängige Dienstleistungen sind gefragt, sondern Tätigkeiten in der Planung, in der Bildungs- und der Kulturarbeit, in der kommunalen Gestaltung usw.
Überdies müssen die Bewohner ihr Gebiet selbst neu kennen lernen, bevor sie es Fremden zugänglich machen können. Die „Wiederentdeckung" der natürlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen der eigenen Region stärkt die regionale Identität und erhöht die eigenständige Handlungsfähigkeit der Akteure gegenüber externen Einflüssen.
So hat etwa der zu erwartende Rückgang der Abwanderung aus ländlichen Regionen weitere Effekte: Die verbliebenen Bewohner können auf der Basis einer gesicherten Existenz weiter im Nebenerwerb traditionelle Kulturlandschaften (z.B. Almen im Gebirge) bewirtschaften oder hergebrachte Handwerke weiter ausüben. Da solche Tätigkeiten häufig nur nebenher oder als Liebhaberei möglich sind, sterben sie (ungewollt) aus, wenn die Hauptbeschäftigung fehlt oder die Bewohner abwandern. So aber können sie regionaltypische Angebote erhalten oder wieder entwickeln und erhöhen damit wieder die touristische Anziehungskraft.
Das gilt auch für bestehende Bräuche, Feste, kulturelle Traditionen. Wenn sie in die Veränderung der Region mit einbezogen werden, können sie sich weiterentwickeln. Das geht aber nur auf der Grundlage einer funktionierenden Wirtschaft. Fehlt diese Lebendigkeit, erstarren Gebräuche und Traditionen zu Ritual und musealisierter Erinnerung vergangener Zeiten.
Weiterhin: Touristische Großprojekte, die der Befriedigung moderner Freizeitbedürfnisse dienen und die seit der Aufbruchsstimmung nach der politischen Wende Anfang der 90er Jahre in allen Karpatenländern angedacht werden, dominieren den ländlichen Raum von außen und nehmen ihm seine Eigenart und Eigenständigkeit. Ein Fernwanderweg hingegen, der sich über die ganzen Karpaten verteilt, von lokalen Akteuren mitgestaltet wird und den Nutzern die durchwanderten Regionen nahe bringt, lässt den Regionen Raum zu einer „reflexiven Modernisierung", also einer bewussten politischen Gestaltung unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen.
Schließlich sei noch auf die Naturerfahrung verwiesen, die eine Tour im Gebirge vermittelt. Die Wanderer auf der via carpatica und ganz besonders diejenigen, die auf den Hochgebirgspassagen unterwegs sind, erleben die Natur in ihrer Dynamik unmittelbarer als zu Hause in ihren Städten oder hoch zivilisierten Dörfern; eine Biwaknacht auf dem Hoverla in den Waldkarpaten (Ukraine) oder ein Sommergewitter auf dem Kamm des Fogaraschgebirges werden sie ihr Leben lang nicht vergessen! Die Wanderer und Bergsteiger auf der via carpatica werden so nicht der Gefahr erliegen, den Berg nur als Kulisse ihres Sports oder als Tummelplatz für moderne Freizeitbedürfnisse (z.B. Pistenskifahren, Geländewagenfahren) zu sehen. Sie suchen in der Natur zwar auch etwas, was sie in ihren heimatlichen Wohnregionen nicht mehr finden, sie sind aber durch die vielfältige und direkte Beziehung zur Natur in der Lage, sie in ihrer Vielfalt wahrzunehmen und sich dafür einzusetzen, dass die Vielfalt erhalten bleibt.
Via carpatica als neuer Europäischer Fernwanderweg
Ein weiterer Aspekt ist die Vernetzung der Karpaten mit anderen europäischen Gebirgen durch den Erfahrungsaustausch und den Know-how- Transfer mit und aus anderen Gebiete, z.B. mit den Initiativen für Fernwanderwege in anderen europäischen Gebirgen (GTA, gta, via alpina in den Alpen; Sentiero Italia; GR in den Pyrenäen usw.).
So könnte die via carpatica den Austausch zwischen Ländern und Regionen fördern. Internationale Begegnungen zwischen Gruppen aus verschiedenen Karpatenregionen und zwischen Organisationen und Initiativen aus den Karpaten und anderen europäischen Gebirgen können ein wichtiger Faktor in der Entwicklung von gegenseitigem Verständnis und der Erprobung gelungener Praxisbeispiele („best practice") über nationale Grenzen hinweg sein. Sie könnte - in aller Bescheidenheit - ein Modell werden für die politische Verständigung in Europa.
Große Nachfrage nach Fernwanderwegen in Europa
Es gibt ein breites Interesse an Fernwanderungen; zum Beispiel nehmen jedes Jahr zehntausende von Wanderern den Jakobsweg unter die Füße. Auch die gut erschlossenen Gebiete der Karpaten werden bereits eifrig besucht; die Gipfel der Hohen Tatra und die Berge des Fogaraschgebirges werden von zahlreichen Bergsteigern aus den jeweiligen Anrainerstaaten und aus anderen Ländern, vor allem aus Tschechien, Polen, Deutschland, Frankreich und Holland bestiegen. Sie sind begeistert von den eindrucksvollen Landschaften und nämlich auch von den internationalen Begegnungen abends auf den Hütten. Auch die gut markierten und versicherten Wege in diesen Gebieten werden gelobt. Einwände allerdings gibt es bei den Hütten. Mit den polnischen und slowakischen Hütten sind die Bergwanderer im allgemeinen zufrieden, mit den Cabanas in den rumänischen Karpaten aber haben sie oft ihre Probleme, vor allem wenn es um die sanitären Anlagen geht. Auch gibt es Probleme mit längeren Durchquerungen, weil an vielen Stellen Hütten fehlen, so dass die Tour ohne Zelt nicht möglich ist. Das gilt auch für die ukrainischen Waldkarpaten, wo es auf dem Kamm keinerlei Hütten mehr gibt, so dass abends immer ein Abstieg ins Tal notwendig wird, will man mit leichtem Gepäck wandern.
Schwierig gestaltet sich auch der Zugang zum Gebirge. Ausländische Bergwanderer kommen häufig mit dem Zug oder dem Flugzeug; sie sind auf öffentliche Verkehrsmittel in die Bergtäler angewiesen. Daran hapert es oft.
Die via carpatica will diese Lücken schließen, einen einheitlichen Standard für Hütten und Wege schaffen sowie die Infrastruktur in den Tälern mit Quartieren und Zugangsmöglichkeiten verbessern. Wenn dies gelingt, kann durch eine gezielte Informationspolitik die große Zahl der aktiven Fernwanderer, die sich bisher auf die europäischen Fernwanderwege, die Jakobswege oder die via alpina konzentrieren, auch für die Karpaten begeistert werden.
Für die Realisierung der via carpatica hat sich bereits ein Konsortium aus Organisationen und Initiativen aus den Karpatenländern gebildet, das im Rahmen des EU-Programms INTERREG IV B die Planungen vorantreiben und weitere Abschnitte realisieren wird. So ist zu hoffen, dass in ein paar Jahren nicht nur die Karpatenkonvention mit allen Protokollen verabschiedet wird, sondern auch die via carpatica in ihrer vollen Länge von 1.500 Kilometern eingeweiht werden kann.
Für die Bewohner der Karpaten wäre das eine großartige Aufwertung ihrer Heimat und für die europäischen Bergsteiger ein reizvoller Anlass, nun doch einmal weiter nach Osten zu fahren und ein neues europäisches Gebirge kennen zu lernen. Die via carpatica von Bratislava his zum Eisernen Tor hat eine große Zukunft.
(Schluss)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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