Ein historisch bedeutender Ausflug auf den Königstein...
28.10.22
... am 21. und 22. September 1872/ Von Uwe Grün (Bergisch Gladbach)
Am 21.-22. September 1872 bestieg eine 10 Mann starke Touristengruppe bestehend aus Kronstädtern und ortskundigen rumänischen Bauern Gämsenjägern) aus Zărnești den Königstein (Piatra Craiului) bei Kronstadt (Brașov). Es handelt sich dabei nicht um die älteste dokumentierte Besteigung des Königsteins; die älteste, schon 1844 veröffentlichte Beschreibung eines solchen Ausflugs stammt von Anton Kurz. Dieser hatte den Königstein im Jahr 1843 mit einem Begleiter und unter der Führung des bekannten Gämsenjägers aus Zărnești Ion Gârniță auf der Suche nach der berühmten „Teufelsmühle“ bestiegen und den Verlauf dieser Suche in einer ersten schriftlichen Arbeit in der Zeitschrift „Blätter für Geist, Gemüth und Vaterland“ (Kronstadt 1844, Nr. 12-15) beschrieben.
Jedoch ist aus heutiger Sicht erst die Besteigung des Königsteins am 21.-22. September 1872 von historischer Bedeutung, weil der Kronstädter Königliche Gerichtsnotär Josef W. Filtsch in seinem Aufsatz erstmals einen vollständigen Abstieg von der „Hirtenspitze“ des Königsteins (Vârful „La Om“, 2242 m) durch die „Westwand des Königsteins“ beschreibt. Zum andern wurde bei dieser Gelegenheit auf Vorschlag eben dieses J. W. Filtsch beschlossen, in Kronstadt einen ersten „Alpenverein“ zu gründen (und somit in den Gebirgen im Umfeld der Kronstädter Karpaten die „touristische Epoche“ einzuläuten).
Der Königstein-Ausflug vom 21.-22. September 1872 startete aus der rumänischen Ortschaft Zărnești unter Beteiligung des dortigen Bezirksrichters, Försters und Pfarrers. Die Leitung übernahmen der ebenfalls aus Zărnești stammende Gämsenjäger Mihail Bartolomeu Bratu und sein Gepäckträger Drăguș. Man hatte das Gepäck auf den Rücken von Pferden verstaut. Die Touristen waren bis zum Aufstieg durch die steile „Crăpătura-Schlucht“ beritten. Am späten Nachmittag erreichte man den Aufstieg in der Schlucht, welche den Kleinen Königstein vom Großen Königstein trennt. Hier wurden die Pferde von ihren Lasten befreit und zurück nach Zărnești geführt.
Ein stattliches Lagerfeuer erleuchtete den Rastplatz und erwärmte die um das Feuer lagernden Touristen. Man schlief trotz der herbstlichen Temperaturen in der Nacht in Felle gewickelt in der Nähe des Lagerfeuers. Um 6 Uhr morgens,
nach einem stärkenden Frühstück nahm der recht steile Anstieg seinen Anfang. Nach drei Stunden erreichte man nach einem anstrengendem Anstieg die „Curmătura Pietrei Craiului“ und nach weiteren 2 Stunden Kammwanderung die Spitze des Königsteins. Tief beeindruckt von der sich vom Kamm des Königssteins bietenden Aussicht fasste man den Beschluss, im nächsten Jahr einen ersten „Kronstädter Alpenverein“ ins Leben zu rufen.
Nach einem gemütlichen Mittagsschmaus am Kamm entschloss man sich zum
Rückweg. Die Teilnehmer des Ausflugs waren sich jedoch hinsichtlich des Rückwegs nicht einig. Die Kronstädter um J. W. Filtsch hatten sich vorgenommen, im Abstieg die Westwand auf direktestem möglichen Weg zu durchsteigen. Sie hatten zu diesem Zweck ein Bergsteiger-Seil zur Sicherung der Teilnehmer während des Abstiegs mitgebracht. Der Zărneștier Gämsjäger hatte aber beim Abstieg durch die Westwand Bedenken angemeldet. Es gab keine bekannte Führe durch die Westwand und Bratu war der Meinung, dass bis dahin noch niemand die Westwand hier direkt durchstiegen hatte. Die Kronstädter wiederum wollten unter keinen Umständen wieder auf dem alten, bekannten Aufstiegsweg absteigen.
Der Abstieg begann am Kamm in der vierten Felsenschlucht nördlich der Königsteinspitze, wo eine Stelle mit Hilfe des Seiles überwunden werden musste. Die Abstiegsschlucht verlief in Richtung der „Valea Vladuschi“ (J. W. Filtsch), welche zu der „Valea Tămașului“ hinabführt. (Aus J.W. Filtsch: „Eine zweite Besteigung des Königsteins von der Westseite“ in „Jahrbuch des Siebenb. Karpathenvereins“, Jahrgang 1888, Seite 88).
Für die Leser dieses Aufsatzes, welchen die Königstein-Westwand kein Begriff ist, sei gesagt, dass die Westwand ein einige hundert Meter steiler Absturz aus Kalkstein ist, der stellenweise durch Vegetationsbänder unterbrochen wird.
An zwei Stellen im südlichen Teil der Westwand sind zwei kompakte breite Steilwände, „Peretele Central“ und „Peretele Piscului Rece“ zu bewältigen, die nur mit technischen Mitteln durchklettert werden können (Schwierigkeitsgrad IV bis V).
Man setzte nun also in einer engen Felsschlucht vorsichtig einen Fuß vor den anderen und stieg langsam nach unten, bis plötzlich ein jäher steiler Felsabhang dem Weiterkommen ein Ende setzte. Da der Felsabsturz länger als das mitgebrachte Seil war, stellte sich nun die Aufgabe, einen Ausweg aus der Schlucht zu finden, ohne den Abstieg durch die Westwand zu unterbrechen. Der begleitende ergraute Gämsenjäger aus Zărnești zeigte den Teilnehmern hoch oben auf dem die Schlucht zur Rechten hinauf laufenden Felsengrat einen Punkt, wo man vielleicht in die nächste Schlucht hinüber steigen könnte. Dieser Punkt war schätzungsweise fast so hoch wie die höchste Spitze am Kamm , aber die Kronstädter Wanderer wollten auf keinen Fall zum alten Aufstiegsweg umkehren. Man kroch also auf allen Vieren die steilen Felsklippen hinan und bald war der angezeigte Punkt erreicht, doch nun eröffnete sich eine weitere, noch wildere Schlucht vor den Absteigenden. Eine weitere sich entgegen stellende Felswand konnte mit Hilfe des Seils überwunden werden. Man tastete sich vorsichtig zwischen Felswänden und Abhängen in die Tiefe. Bald erreichte man wieder einen Steilabsturz, der selbst mithilfe des Seils nicht überwindbar schien. Wieder wurde mit Mühe ein dritter Felsgrat nach oben erstiegen. Als man den Übergang in die dritte Schlucht erreicht hatte, stellte man fest, dass man sich nach 4 Stunden Kletterei nicht weiter unten als 400 Fuß unterhalb der höchsten Spitze am Berg befand.
„Doch nun sollte es rascher gehen. Zwar Gefahr und Beschwerde genug, bis wir die Tiefe dieser nächsten Schlucht erreichten, doch brachte sie uns dann nach einer Stunde in die Waldregion, wo nichts mehr zu befürchten war, und nach einem weiteren Marsche von zwei Stunden durch herrliche Tannen- und Buchenwälder, immer sehr steil geradeaus nach abwärts, begrüßten wir das tiefe Tal, wo wir von den überstandenen Strapazen ausruhten“ (Originaltext aus dem besagten Aufsatz von J. W. Filtsch).
Im Rückblick auf den ersten schriftlich belegten Abstieg in der Königstein- Westwand sei nochmals dem Verfasser des historischen Aufsatzes, J. W. Filtsch, das Wort erteilt:
„Von hier betrachtet, erscheint die über das Waldesgrün sich erhebende Partie dieser Bergseite, wie eine gigantische, von Sprüngen und Rissen zerfetzte Felswand, so dass wir es uns kaum selbst glauben wollten, wir seien wirklich da herabgekommen. In unmittelbarer Nähe aber war diese Partie ein ewiges Gewirre von starrenden Felsspitzen, klaffenden Abgründen, majestätischen Felswänden und jähen Schluchten, in den manichfachsten Gestaltungen, kaleidoskopartig wechselnd mit kleinen Rasenplätzen, welche, von Alpenrosen übersät, dem Besucher einige Stunden Muße gönnten, sich ganz dem Genusse des großartigen Anblickes hinzugeben.“
Filtschs poetische, aber ungenaue Beschreibung der Abstiegs-Trasse durch die Königstein-Westwand und die fehlende Beschreibung der entscheidenden angestrebten Punkte, die damals noch nicht bekannt waren und keinen Namen hatten, lassen den Verlauf des Abstieges am 22. September 1872 leider nicht mehr genau nachzeichnen.
Im September 1885 unternahm Filtsch zusammen mit dem Kronstädter Forstmeister Eduard Zaminer und Josef Drotleff jun. aus Hermannstadt anlässlich einer Waldgrenzen-Begehung eine weitere Besteigung der Königstein-Westwand, diesmal im Anstieg. Die drei Wanderer wurden vom Zărneștier Waldheger Lolu begleitet.
Erst im Jahr 1886 erschloss der Kronstädter Salamifabrikant, Entomologe und begeisterter Wanderer und Kenner der Karpaten Friedrich Deubel (1845-1933) einen für geübte und schwindelfreie Touristen begehbaren Weg durch die Westwand des Königsteins, welchen er dann 1887 im Abstieg mit roter Ölfarbe markierte. Im Jahr 1903 wurden im oberen Bereich des Weges an einer steilen Stelle Stufen in den Fels gehauen und mit festem Kabel abgesichert. Dieser Abstieg ist bis heute im Königstein als spektakulärer „Deubel-Weg“ (drum „La Lanțuri“) markiert und im Sommer bei gutem Wetter für geübte Bergsteiger frei gegeben.
In den Folgejahren haben dann rumänische Gämsenjäger und Jagdbegleiter, Touristen und professionelle Bergsteiger aller Nationalitäten eine Vielzahl von
Führen durch die Königstein-Westwand erschlossen. Der rumänische Königstein-Kenner Ion Ionescu-Dunăreanu hat als erster in seinen Königstein-Monographien diese Führen beschrieben. In deutscher Sprache hat der Bukarester Bergsteiger Walter Kargel in seinem Aufsatz „Königstein für Bergsteiger“ im Heft „Komm Mit“ (1977) diese nichtmarkierten Westwand-Wanderführen für geübte Touristen ein weiteres Mal beschrieben.
In der Zeitschrift „Munții Carpați“ Nr.1 aus dem Jahr 1997 veröffentlichte der bekannte Kronstädter Bergsteiger Walter Gutt einen interessanten Aufsatz über den Königstein (Piatra Craiului). Der wesentliche Teil dieses von Gutt erstellten Textes über den Königstein hat Andrei Buta in seinen Bergführer „Piatra Craiului, a guide of the marked routs”, Honterus Verlag Hermannstadt 2008, in englischer Sprache, übernommen (Seiten 1 bis 7). Gutt bezieht sich dabei auf Informationen welche er aus dem Aufsatz von Dr. Edward Myss : „Geschichtliche Glossen zu dem vorstehenden Aufsatz“ (auf den hier beschriebenen Königstein-Aufsatz von Filtsch aus dem September 1872) aus dem SKV Jahrbuch von 1888 (Seite 97- 99) entnommen hatte. E. Myss hatte schon im Jahr 1853 mit dem damaligen ihm befreundeten Gymnasial Lehrer Filtsch aus Kronstadt an einem Königstein Ausflug teilgenommen, wo er sich noch erinnerte, dass die Kronstädter Touristen in Zărnești nach einem erfahrenen Gämsenjäger nachgefragt hätten und sich ein 90-jähriger Greis mit Namen Ion Gârniță ihnen vorstellte. Dieser beteuerte, dass er jeden Pfad am Königstein gut kenne, körperlich eine Führung aber nicht übernehmen könne und den wesentlich jüngeren Didimoc als Ersatz empfehle. Andrei Buta hat in seinem Bergführer die Bedeutung der Zărneștier Gämsenjäger bei der Auffindung der späteren touristischen Wanderwege am Königstein hervorgehoben, die vielen Fragen aber die sich um dieses Thema ranken, nicht beantworten können. Die das Wissen über die Königsteinführen beherrschenden Zărneștier Gämsenjäger waren oft des Schreibens nicht mächtig, Deutsch konnten sie nicht und eine rumänische Zeitschrift für diese Themen gab es in Siebenbürgen in der damaligen Zeit auch noch nicht.
Blick auf die Westwand von der Plaiul-Foii-Hütte. Foto: Ralf Sudrigian
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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