Ein vielfältiges Wirken in Kronstadt
17.03.11
Zum 150. Geburtstag Rudolf Lassels
Das vielfältige Wirken des Organisten, Chordirigenten, Komponisten und Pädagogen Rudolf Lassel (1861-1918) prägte das Musikleben Kronstadts auf der Schwelle zum 20 Jahrhundert. Lassel pflegte die traditionelle Enge Beziehung zwischen evangelischer Kirchenmusik und Schulausbildung, bereicherte das bis zu seiner Zeit eher vernachlässigte siebenbürgische Orgelrepertoire und sorgte allgemein für das Wiederaufblühen der Orgelmusik in Kronstadt, führte symphonische Werke, Oratorien und Vokalmusik auf - sowohl im kirchlichen als auch im weltlichen Raum.
Rudolf Lassel wurde am 15. März 1861 in Kronstadt geboren. Die ersten Klavierstunden erteilte ihm sein Vater, der Direktor des evangelischen Gymnasiums. Er wurde auch von Johann Hedwig, einem Sohn des Kronstädter Musikers Johann Lukas Hedwig unterrichtet, bevor er in Leipzig das Studium der Theologie und Philosophie aufnahm. 1881 entschied er sich für die Musik und wurde Student des von Mendelssohn gegründeten Königlichen Conservatoriums, als Kommilitone eines anderen bekannten Kronstädters – Iacob Muresianu. Der Lehrer, der seine musikalische Entwicklung entscheidend beeinflusste, war Salomon Jadassohn, der Lassel den Kontrapunkt als wesentliches musikalisches Element ans Herz legte. Klavier, Gesang, Ensemblespiel und Orgel gehörten ebenfalls zur Ausbildung Lassels, dem seine Lehrer Eigenschaften wie virtuose Technik, außergewöhnliche Begabung, bemerkenswerte musikalische Genauigkeit und Fleiß zuschrieben. Eine grundlegende Rolle spielte für den Studenten zudem der Kontakt zu den in Leipzig regelmäßig aufgeführten Werken Mendelssohns und Johann Sebastian Bachs.
1883 kehrte Lassel nach Siebenbürgen zurück, wo er zunächst in Kronstadt, dann in Bistritz als Musiklehrer tätig war. Ab 1887 bekleidete er den Posten des Organisten der Schwarzen Kirche, wo er sich an der 1836-1839 gebauten Buchholz-Orgel der Musik Bachs und den Werken seiner Zeitgenossen widmete. Er führte künstlerisch anspruchsvolle Programme auf und beeindruckte die Gemeinde auch mit seiner Improvisationskunst. Als Kantor bemühte er sich um die Rezeption der Werke Mendelssohns – dessen „Elias” unter seiner Leitung erstmals in Kronstadt erklang (1891) – und Bachs – erwähnenswert ist u.a. die erste Aufführung einer Bachkantate in der Zinnenstadt im Jahre 1907 (BWV 140 „Wachet auf, ruft uns die Stimme”). Ebenfalls unter Lassels Mitwirkung wurde 1899 das „Gesangbuch für die evangelische Landeskirche A.B. in den siebenbürgischen Landesteilen Ungarns” herausgegeben. Um seinem Publikum auch auf theoretischer Ebene die Musik näher zu bringen, bereicherte der angesehene Pädagoge regelmäßig die Bibliothek des Honterusgymnasiums mit Veröffentlichungen der Neuen Bachgesellschaft Leipzig, hielt Musikvorträge und publizierte Artikel zu den aufgeführten Werken. Ein Zeitgenosse schrieb dazu: „Kein besseres Zeugnis für Lassels erzieherische Wirksamkeit kann es geben, als gerade das allmählich erwachende Verständnis unserer Bevölkerung für Bach” (nach Wolfgang Sand – „Rudolf Lassel und die evangelische Kirchenmusik in Kronstadt”, Gehann-Musik-Verlag Kludenbach, 1999).
Durch die Gründung des Schülerkirchenchores im Jahre 1894, in Anlehnung an die Leipziger Thomaner, stärkte Lassel die Verbindung des evangelischen Gymnasiums zum Gottesdienst und dem Konzertleben. Der Musiklehrer übernahm auch die Leitung des Männergesangvereins und erweiterte dessen Wirken von geselligen Singveranstaltungen und „Liedertafeln” auf anspruchsvollere Konzerte. Von Lassels Humor in diesem Kontext zeugen weltliche Kompositionen wie das Singspiel „Amor im Pensionat” und die Fest-Ouvertüre „Der geniale Dirigent”. Abgesehen davon, beteiligte sich der Gesangverein zu Lassels Zeiten auch am kirchlichen Musikgeschehen. Lassels Nachfolger an der Leitung der Singgemeinschaft war ab 1902 sein prominenter Schüler Paul Richter.
Zu den Kompositionen Lassels gehören Instrumentalwerke, weltliche und geistliche Vokalmusik, Orgelwerke wie das Präludium und Fuge c-Moll Op. 1 Nr. 1 oder die Phantasie über „Ein’ feste Burg ist unser Gott”, Op. 1 Nr. 2, Choralvorspiele und Orgel-Zwischenspiele sowie die Matthäuspassion oder „Leidensgeschichte unsers Herrn Jesu Christi für Chor, Solostimmen, Gemeindegesang u. Orgelbegleitung, op. 23”. Nach dem zweiten Weltkrieg geriet das Werk Lassels in Vergessenheit; erst 1968 wurde die Matthäuspassion unter Hans Eckart Schlandt wieder aufgeführt.
Für den Schulgebrauch gab Lassel ein mehrbändiges Gesangbuch heraus, in dessen Vorwort er seine für das heutige Verständnis noch sehr modernen musikalischen Ansichten bekannt gibt. Der Biograph Wolfgang Sand fasst diese zusammen: „Mattigkeit ist für Lassel der Tod jeder Leistung, ohne Temperament gibt es kein Musizieren, auch und gerade in der Kirche. Er warnt vor der Ansicht, dass alles ‘auf der Orgelempore immer schön gemütlich und langweilig' hergehen müsse.”
Christine Chiriac
Foto: Rudolf Lassel (1861 – 1918)
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