Eine ganz besondere Weihnachtsgeschichte
23.12.10
Es war der 24. Dezember 1946, der Winter war doppelt hart. Weihnachten stand vor der Tür, das erste Weihnachten ohne die Eltern, die vor bald einem Jahr an einem kalten Januarmorgen in die Zwangsarbeit nach Russland verschleppt worden waren und von denen noch immer keine Nachricht gekommen war. Wir wussten nicht, ob sie noch lebten oder schon dem ungewissen Schicksal erlegen sind.
Wir saßen mit der Großmutter, die an diesem Tag von ihrer Trigeminusentzündung besonders geplagt wurde, traurig am warmen Kachelofen. Was sollte das für Weihnachten werden, ohne Weihnachtsbaum, ohne das gewohnte Backwerk. Hunger mussten wir dank der Fürsorge der Großmutter nicht leiden, auch frieren mussten wir nicht wie es zu der Zeit bei vielen der Fall war, aber Kinder sind undankbar und können das nicht richtig einschätzen.
Zwischendurch war Mittag vorüber, die Hoffnungen auf ein frohes Weihnachten waren zum Nullpunkt gesunken.
Da ging die Türe auf und der Onkel aus Marienburg erschien. Er hatte den ganzen Weg zu Fuß zurückgelegt, denn der Verkehr war noch nicht in Ordnung, weder Eisenbahn noch Bus verkehrten. Er brachte uns Weihnachtsgebäck und die Kostprobe vom Schweineschlachten. Unsere Freude aber hielt sich in Grenzen, denn Essen war uns nie besonders wichtig gewesen.
Onkel Michael bemerkte unsere Stimmung und fragte, ob wir mit ihm den Fußmarsch nach Marienburg wagen wollten. Beide, meine kleinere Schwester und ich, stimmten voll Freude zu.
Wir wurden noch für den Weg ausgestattet und gegen 16 Uhr ging es los. Die Langgasse erwies sich als wirklich lang. Bei der Bartholmäer Kirche wurde noch ein kleiner Tannenbaum gekauft. Schon bei dem Schlachthaus hatte meine Schwester Probleme mit dem Laufen, so dass Onkel sie Huckepack nahm. Zwischendurch ging der Tag seinem Ende zu. Die Sonne war untergegangen, es wurde bitter kalt. Durch das Laufen war die Kälte erträglich. Es war ein Glück, dass viel Schnee lag, der leuchtete im Lichte der Sterne. Wir waren so durch die Biengärten gekommen, aber auch mir viel das Laufen immer schwerer.
Immer mühseliger ging es vorwärts. Verkehr gab es dazumal praktisch keinen, kein Pferdewagen, kein LKW oder PKW der uns hätte helfen können.
Endlich, knapp vor der Burzenbrücke, auf halbem Weg, kam ein verspätetes „Milchauto“, das anhielt. Erna fand noch in der Kabine Platz, Onkel Michael und ich saßen auf der Pritsche und los ging die Fahrt.
Gegen 23 Uhr waren wir dann am „Obersten Ende“ in Marienburg. Der Fahrer setzte uns ab, wir wünschten uns gegenseitig frohe Weihnachten, er fuhr weiter. (Er hatte uns ganz ohne Lohn mitgenommen, damals war das Fahren per Anhalter noch nicht kostenpflichtig.)
Nun lag noch das letzte Stück vor uns, aber nun winkte uns schon das Ziel ganz nahe, so dass wir es mit neuer Kraft schafften.
Als wir dann in der warmen Stube angekommen waren, überfiel uns die Müdigkeit. Wir sanken, ohne auch noch etwas zu essen, in das warme Bett.
Am nächsten Morgen, dem ersten Weihnachtstag, war der Weihnachtsbaum geschmückt, wir gingen zum Gottesdienst, die Welt war für uns wieder in Ordnung.
Erst später habe ich mir dann Rechenschaft gegeben wie rücksichtslos wir gehandelt haben. Wir dachten nicht daran, dass nun Großmutter einsam, verlassen, alleine zu Hause saß. Nur alle Sorgen waren bei ihr geblieben, diese treuen Begleiter aller schwerer Stunden.
Wir verbrachten anschließend die Ferien in Marienburg, wir spielten mit unsern Freunden Hatto, Rainer, Hilke, Hauke und Heinke, wir rodelten und wenn wir dann im Hause waren, wurde es richtig gemütlich. Erna spielte mit ihren Puppen und ich hatte etwas Großes erlebt: Das Lesen. Es war ein Band der Prachtausgabe von Karl Mays „Der Schatz im Silbersee“ der mich begeisterte. Die Freude am guten Buch hat mich bis jetzt begleitet. Auch heute gehört es zu den größten Freuden, ein gutes Buch in schönem Einband in die Hände zu nehmen.
Als die Ferien zu Ende gingen, wurde nun wieder das Problem der Fahrgelegenheit akut. Die einzige tragbare Variante war der „Milchwagen“. Damals funktionierte noch die Milchgenossenschaft und täglich wurde die Milch, die von der Bevölkerung eingesammelt wurde, in den bekannten Aluminiumkannen in die Stadt gefahren.
So stellten wir uns 6 Uhr in der Molkerei ein und waren um 8.30 Uhr in der Mittelgasse. Gut eingepackt, mit einem heißen Ziegelstein unter den Füßen, fand das Abenteuer einen guten Abschluss.
Erwin Hellmann
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