Eine Königin erstrahlt im neuen Gewand
30.09.21
Zur Einweihung der restaurierten Orgel in Bartholomä am 21. August 2021 / Von Ursula Philippi
Liebe Festgemeinde,
Am heutigen Tag sind wir Mitglieder einer neuen Familie geworden.
Diese Orgel, erbaut 1923, verbindet unsere Bartholomäer Gemeinde schon seit ihrer Entstehung zum Beispiel mit der katholischen Peter- und Paulskirche in Kronstadt, mit der Tartlauer evangelischen Kirche, mit manchen Gotteshäusern im Banat, denn überall dort steht auch ein Schwesterinstrument der Firma Wegensteins Söhne aus Temeswar. Durch die jetzt beendete Restaurierung fühlen wir uns aber auch verbunden mit zahlreichen, von der Honigberger Werkstatt COT in den letzten 15 Jahren erneuerten Instrumenten. Wir sind nun ein selbstbewusstes, gleichberechtigtes Mitglied in der Familie klangvoller, guter und vorzüglich funktionierender Orgeln. Wenn das nicht ein Grund zum Feiern ist!
Aber: Warum ist eine Orgel so teuer? Zum Unterschied von digitalen Instrumenten ist jede Pfeifenorgel ein Unikat, angepasst an den Raum und an die Wünsche der Gemeinde, ein Instrument, in dem sehr viel Handarbeit steckt. Gleichzeitig ist sie ein komplizierter Mechanismus und ein vielbewundertes einmaliges Kunstwerk. Hinter der Schauseite dieser Orgel mit ihren etwa 50 Pfeifen verstecken sich weitere rund tausend! Die Verbindung vom Spieltisch zu diesen hölzernen oder metallenen, großen oder kleinen Pfeifen geschieht durch hunderte Meter Bleiröhrchen, die ihrerseits mit Leder bezogene Ventile öffnen. Um eine Orgel zu spielen, braucht es Kenntnis und Übung, aber um sie zu bauen oder zu restaurieren, braucht man ganz besondere Fachleute. Und es ist wie beim Auto, beim Haus oder bei einem wertvollen Gemälde: wenn es ums Reparieren geht, übergibt man das nur den Besten.
Darum verwundert es nicht, dass in den Akten nicht nur von Bartholomä stets vom Geld die Rede ist, wenn es um die Orgel ging. Und um Diskussionen: muss das wirklich sein?
Wir lesen im Pfarrbericht aus dem Jahr 1875: Auf Anfrage schickt ein Orgelbauer folgenden Brief an die Kirchgemeinde.
A. Über die Orgelreparatur mit vollkommen gründlicher, neuer Einrichtung zu 960 Gulden ö. W..
B. Über die gründliche Reparatur der Orgel mit Weglassung der Verschönerungen u. vielen Einrichtungen nach neuester Konstruction, zu 520 fl.
C."Einfachere Reparatur könnte man wohl auch thun, aber die Gemeinde wird dadurch nur belastet und betrogen, denn solange bis alle u. einzelne Theile nicht ordentlich hergestellt sind, ist es unmöglich, die Töne zur reinen Ansprache, Intonierung und Stimmung zu bringen, u. hat die Gemeinde jedes zweite dritte Jahr ein paar hundert Gulden aus(zu)geben, u. besitzt doch nie ein gutes Werk . . .
Kronstadt, den 24.ten Feb. 1875 Jósef Nagy, Bürgl. Orgelbauer u. Harmoniumverfertiger"
Die Orgelgeschichte in dieser Kirche verliert sich etwas im Nebel der Jahrhunderte.
Wir erfahren, dass 1758 „die Orgel, deren Postament wegen der durch Zeit und Feuchtigkeit geschwächet und schier abgefaulten Balken einen unvermuteten Einfall und Unglück drohete, wurde abgebrochen und aus dem unbequemen Orte des Chors, da sie bisher gestanden, in den hinteren Theil der Kirche, auf einen neuen und starken Stuhl versetzet“ wurde. Leider steht da nichts über den Erbauer oder die Größe dieser alten Orgel.
1790 „wird der Anfang mit dem neuen großen Orgelwerk und mit dem ganz neuen Altar gemacht. 1791 werden die kostbaren Stücke unserer Kirche vollendet“. Von wem, darüber schweigt die Chronik ebenfalls.
Bereits 1797 „wird das Orgelwerk von Herrn Prause repariert und gestimmt. 1801 wird von Herrn Eitel die Orgel verbessert und gestimmt sowie auch mit einer Garn-Decke behangen“. (dies wohl als Schutz gegen Vögel und Fledermäuse).
Sie sehen und hören also, dass die kapriziöse Königin der Instrumente Pflege brauchte. Wir alle wissen, dass seit 1923 eine andere Königin auf der Westempore thront: Die pneumatische Orgel von Wegensteins Söhnen, im eleganten Gewand ihrer Vorgängerin, jedoch mit den gleichen kapriziösen Gewohnheiten: Pflegebedürftigkeit, Krankheit, Launen. Die Fortsetzung bis in jüngste Vergangenheit haben Sie selbst miterlebt und miterlitten. Zum Trost kann ich Ihnen berichten, dass Sie da gar nicht allein stehen. Wertvolles muss man schützen, fachgerecht betreuen, pflegen, pflegen, pflegen. Denken Sie an jeden Apparat, an jeden komplizierten Gebrauchsgegenstand in Ihrem Hause und daran, dass er nicht ununterbrochen, bei jeder Witterung, hundert Jahre lang funktioniert.
Die Gemeinde vor Ort hat sich den Entschluss nicht leicht gemacht, ihr Instrument rundum und komplett zu sanieren. Es ist möglich, dass immer noch Stimmen laut werden, die sagen: dieses Geld hätte auch anderswo angebracht werden können!
Es liegt nun in Ihrer Hand, den Schatz zu nutzen, den Glanz der verjüngten Königin strahlen zu lassen.
Dazu fällt mir eine Erinnerung an meine eigene Zeit in dieser Gemeinde ein.
Es war die erste Woche als frisch angestellte Organistin. Am Freitag kam ich, um „meine“ Orgel zu spielen, um zu üben, und ich blieb mehrere Stunden. Es war im Herbst 1984. Irgendwann stellte ich den Orgelmotor ab und verließ die Empore. Die Kirche jedoch war verschlossen. Es dunkelte. In Panik rüttelte ich an beiden Türen, ganz umsonst, und suchte ein Entkommen aus der Kirche. Da hab ich gerufen, Krach gemacht, und es ist mir, als hätte ich auch an einem Glockenstrang gezogen. Und prompt kam der Küster. „Was suchen Sie hier“? Zornerfüllt sperrte er auf, entließ mich ungnädig und war fortan kein Freund der neuen Angestellten. Ich hab mir dann auch zum Üben eine andere Kirche ausgesucht und bin nur diensthalber hierher gekommen.
Seither träume ich von Kirchen, die offen sind, die freundlich sind zu Fremden und Gästen, einladend, inspirierend, tröstend.
Der Klang einer Orgel kann wunderbar dazu beitragen, dass die Kirche ein solcher Ort wird.
„Was suchen wir hier“? Unser eigenes zaghaftes Lob bekommt Verstärkung durch die Orgel. Die aufgescheuchte Seele kann zur Ruhe kommen. Unsere Klage können wir intensiver artikulieren. Warum sollte das alles nicht hier in der Bartholomäer Kirche geschehen?
Ich wünsche Ihnen/Euch allen, und mir selbst auch, dass so viele Menschen wie möglich daran teilhaben.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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