„Eine monumentale Akte“
28.06.12
Hans Bergels Brief über die Securitate-Dossiers aus dem Korrespondenzband Winkler/Bergel (III)
Zur Veranschaulichung:
Meine Gesamt-Akte umfasst den Zeitraum März 1947-Mai 1991. Bei ihrem Studium stellte ich fest, dass zweitrangige, wenn nicht gar drittrangige Vorkommnisse ohne jegliches Interesse aus Sicht der Securitate minutiös vermerkt wurden - z. B. eine Kaffeefahrt per Motorrad mit einer Kollegin von Kronstadt nach Predeal o. Ä. Hingegen fehlen (zumindest in den Papieren, die ich bei vier Archivbesuchen zu sehen bekam) Eintragungen über Situationen von erstrangiger Wichtigkeit aus Sicht der Securitate - z. B. über meine vom Herbst 1944 bis zum Herbst 1947 dauernden (höchst) staatsfeindlichen Unternehmungen in der bewaffneten antikommunistischen Résistance; außer einer mageren Notiz über meine Kontakte zum später legendären Partisanenführer Gavrila-Ogoranu kein Wort. Ebensowenig ist mein Fluchtversuch aus dem Land Herbst 1947 erwähnt. Auch nicht mein Ausbruch 1948 aus dem Militärgefängnis Temeswar. Mit keinem Wort sind meine mehrfachen Treffen mit dem Westberliner Konzertmanager und CIA-Agenten R. Drescher während dessen Aufenthalts im Sommer 1965 in Rumänien vermerkt; Drescher war früher Impresario Herbert von Karajans gewesen, der Grund meines Kontaktes mit ihm war die Bitte, die von meinem Bruder erarbeitete Orchesterpartitur der „Kunst der Fuge“ nach Berlin und in Karajans Hände zu schmuggeln (was auch geschah - darauf ging dann Karajans Einladung an meinen Bruder zu Dirigaten mit der Berliner Philharmonie zurück); ich besuchte Drescher sogar in dem von der Securitate überwachten Hotel Aro in Kronstadt - trotzdem gibt es dazu keine Notiz. Und wieso steht in den Akten nichts über den halsbrecherischen Dreh, mit dem ich 1965 die Securitate durch meine zum zweiten Mal geschlossene Ehe hereinlegte? Schließlich auch nichts über meine mehr als brüskierende Weigerung 1958, der KP beizutreten, wozu ich durch keinen Geringeren als den aus Bukarest nach Kronstadt angereisten Kaderchef des ZK der KP, Ro{u, aufgefordert wurde, einen der meistgefürchteten Giftmischer an der Parteispitze. Etc. - Die Gründe dieser Lückenhaftigkeit sind hier ohne Interesse, sie reichen vermutlich von der landesspezifischen launenhaften Behördenlässigkeit - sprich: Schlamperei, „delasare“ - bis zur effektiven Unwissenheit. Aber sie sind ein Fakt.
All dies zwingt mich, von der Unvollständigkeit der Aktenvermerke auszugehen. Sie setzt zumindest hinter Teile der derzeitigen Aktenrecherchen ein Fragezeichen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass allein meine Dossiers schwarze Löcher aufweisen. Es ist also genau so, wie der in diesen Fragen weiß Gott beschlagene Mircea Dinescu sagt: „Bei den Securitate-Akten ist Vorsicht geboten. Viel wurde geschreddert, viel ist 'verdunstet'. Schwarzweißmalerei ist bei diesem Thema der falsche Weg.“
In summa sah ich mich veranlasst, das Vorhaben einer Buchveröffentlichung aufgeben zu müssen. Denn ich begäbe mich in die Gefahr, aufgrund der mir vorgelegten unterschiedlichen Akten das falsche Bild eines Menschen oder einer Situation zu liefern. Das heißt: Es kann in mir unbekannten Akten Aspekte geben, die ein gänzlich anderes Bild zeichnen als das von mir entworfene. Das lehrt mich schon die eigene Erfahrung: Ich selber habe in drei Fällen Absprachen getroffen, die erfolgreich waren und von denen, natürlich!, in den Akten nichts zu lesen ist. Die Berufung also der Akten-Erforscher ausschließlich auf das Aktenmaterial ist zumindest unvorsichtig. Das umso mehr, als sie in ihrer Arbeit die Komponente der oral history, der gesprochenen Geschichte, nicht zu beachten bereit sind, obwohl diese längst als unverzichtbar gilt und Teil moderner Geschichtsdarstellung ist (ohne sie hätten wir z. B. von den Ereignissen des II. Weltkriegs und von Einzelheiten der Shoah oder Ähnlichem bei Weitem nicht das vollständige Bild, über das wir verfügen). So kenne ich etwa im Fall des Lyrikers Oskar Pastior - eines verstorbenen jahrzehntelangen Freundes - Blickpunkte, die über das vorhandene Aktenmaterial hinausgehen. Ich trug sie aus sachlichen Gründen in der entbrannten Diskussion sehr zurückhaltend vor. Ich werde es nicht mehr tun, denn ich wurde dafür beschimpft; mein Beitrag passte nicht ins Konzept. Sei's drum. Ich weiß, was ich weiß. Soll doch von mir aus jeder unbelehrbar in der Enge verharren, die er sich auswählte. Ich verspüre nicht die geringste Lust, mich mit Leuten auseinanderzusetzen, die auf ernst gemeinte Hinweise zur Klärung pennälerhaft ausfällig reagieren; das ist nicht nur schlechter Stil, sondern auch Dummheit. So wie ich mich also schuldig machen könnte, wollte ich anhand mir lediglich lückenhaft vorgelegter (oder vorhandener) Akten einen Menschen in seinem Verhältnis zur Securitate präsentieren oder beurteilen, so könnten u. U. jene Akten-Rechercheure und -Interpreten schuldig werden, die die Lückenhaftigkeit der Akten außer Acht lassen, bzw. die Informationsquelle der oral history als irrelevant übergehen (in der Konsequenz müssten sie dann z. B. auch Caesars „De bello Gallico“ ablehnen, da Caesar darin blanke oral history betreibt; Gleiches gilt für Herodot, aber auch für Giorgio Vasari u. a.).
Zum Abschluss noch eines:
Mir kam zu Ohren, dass sich einige echauffierten, als sie den Namen Wolf von Aichelburg als IM in den Dossiers fanden - auch hier nenne ich keinen Namen, es geht nicht um Namen, es geht um das Problem. Und das sieht so aus: Als Aichelburg die IM-Erklärung unterschrieb, hatte er drei jahrelange Gefängnisperioden, Verbannungsaufenthalte und die Konfiszierung sämtlichen Besitzes hinter sich, er war körperlich und seelisch, materiell und beruflich ruiniert. Zudem war er als Folge der Distanzierung seines Bruders Werner von ihm, des einzigen Verwandten, nach all den Jahren der Verfolgungen und Einkerkerungen erst recht ein menschliches Wrack. Ich erlebte es aus nächster Nähe. Wem in dieser Lage das Monstrum Securitate zu allem anderen auch noch eine Erklärung zur Mitarbeit vorlegt, der unterschreibt sie, weil er buchstäblich keinen Strohhalm mehr sieht, der ihm Rettung bieten könnte; er ist ausgelaugt, erschöpft, lebensmüde. Und nun erlauben sich einige, die niemals auch nur annähernd in einer solchen Lage waren, ein herablassendes Wort über Aichelburg! ... Ist das Mangel an Intelligenz? An Taktgefühl? Ist es Gedankenlosigkeit? Arroganz? Fehlende menschliche Reife? ... Ich könnte Dir ein Dutzend weiterer Aichelburg-Fälle aufzählen. Sie sind alle meines Mitgefühls und meines Verständnisses sicher. Auch hier zeigt sich, wie das Securitate-Papier allein zur erschreckend falschen Folgerung verführen kann. - Ich bin in der Lage, mich glaubwürdig vor Aichelburg stellen zu können, da mir nicht nachzuweisen ist, dass ich mich damit selber verteidigen will. Nein: Weder willigte ich jemals in das Securitate-Angebot zur Mitarbeit ein, noch kam ich um Kerker, Zwangsarbeitslager und Verbannung herum. Und da ich obendrein zu Aichelburg wegen einer substanziellen Unredlichkeit mir gegenüber posthum auf Distanz ging, kann mir nicht einmal vorgeworfen werden, ich nähme ihn aus Freundschaft in Schutz. Es geht nicht um Personen und Namen, es geht um die Berücksichtigung der ungezählten diffizilen Aspekte, mit denen diese Materie behaftet ist. (Im Übrigen: Als W. v. Aichelburg 1977 nach Deutschland kam, wohnte er länger als zwei Monate bei mir in München; schon am zweiten Abend unterrichtete er mich über seine IM-Unterschrift, ich habe zu Dritten niemals ein Wort darüber fallen lassen. Ebenso wenig wie im Fall Pastior, dessen IM-Vergatterung ich zwanzig Jahre lang für mich behielt. Daher die Frage: Kommen wir dieser Bürde aus der Vergangenheit mit Akten und Dossiers substanziell überhaupt bei?) - Dies, ich wiederhole mich, sind die Gründe des Verzichts, aus meinen Securitate-Papieren ein Buch zu machen (für das ich übrigens bereits über 300 Seiten schrieb, ehe ich den Plan fallen ließ). Wir werden bei der nächsten Begegnung darüber sprechen. Es ist ein weites Feld - wenn Fontanes Wendung irgendwo angebracht ist, dann hier.
Shalom,
Hans
(Schluss)
Hans Bergel zu Gast in der KR-Redaktion, Juni 2012.
Foto: Hans Butmaloiu
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