Eine souveräne und komplexe Sicht über die rumänische Literatur
10.02.10
Zu Nicolae Manolescus Standardwerk „Kritische Geschichte der rumänischen Literatur“, fünf Jahrhunderte Literatur, Editura Paralela 45, Pitesti, 2008, 1526 S. (Großformat), 285,90 Lei, ISBN 978-973-47-0359-3, in rumänischer Sprache
Diese wohl umfassendste rumänische Literaturgeschichte überhaupt, im Normalformat über 3000 Seiten lang, beginnt, wie sie es verspricht, mit einem kritischen Grundprinzip. Sie rechnet ausschließlich in rumänischer Sprache geschriebene Werke der eigentlichen rumänischen Literatur zu. Selbst der europäisch bekannte rumänische Autor Nikolaus Oleahus aus Siebenbürgen, der um 1500 lateinische Werke schrieb, wird hier nicht analysiert. Auch das europaweit bekannte Mitglied der Berliner Akademie Dimitrie Cantemir (1673-1723) wird nur mit seinen rumänischen Werken analysiert, jedoch nicht mit seiner im Auftrag der Berliner Akademie lateinisch geschriebenen Monographie über die Moldau „Descriptio Moldaviae“, das ebenfalls nur erwähnt wird.
Die weiteren Würdigungskriterien sind ausschließlich sprachliche und kulturell-ästhetische. Natürlich in einem gesellschaftlichen Rahmen gesehen, der allerdings immer über den eigenen nationalen Tellerrand hinausgeht ins Europäische. So führt Manolescu in der privaten Korrespondenz der Autoren auch französische Passagen zum Verständnis des Zeitgeistes an. Gleich wichtig sind bei ihm der französische und der deutsche kulturell-literarische Einfluss auf die Entwicklung einer originalen bodenständigen rumänischen Nationalliteratur. Zu dieser wird beispielsweise auch Eugen Ionescu (1909-1994) gezählt, der Vater des Absurden Theaters weltweit. Allerdings werden hier nicht seine französischen Theaterstücke, sondern ausschließlich seine rumänischen Veröffentlichungen und der Essayband „Nu“ („Nein“) besprochen. Sie kündigen das zukünftige Satiregenie allerdings schon an. Ein Vorläufer Ionescus, Ion Luca Caragiale (1852-1912), der seine letzten 8 Lebensjahre in Berlin verbringt, wird ausführlich analysiert, besonders sein Meisterwerk „Ein Brief ging verloren“. Der Vorgänger Caragiales, Bogdan Petriceicu Hasdeu (1836-1907), wird ebenfalls mit seinem Theaterschaffen gewürdigt, so dass auch hier Manolescu einen Strang über Jahrhunderte zieht, bis zu der städtischen Folklore des Mittelalters, wo es auch schon rumänischsprachige Theaterversuche gab.
Dies ist übrigens immer wieder Manolescus Anliegen, literarische Stränge von den ältesten Zeiten bis zur Moderne zu ziehen. Dabei ist das Zitieren von charakteristischen Passagen eine Stärke dieser Analysen und erweitern Manolescus Literaturgeschichte zum Lesebuch.
In der Prosa erweist sich nach Manolescu schon einer der ersten Chronisten Ion Neculce (1672-1745) als ein moldauisches Erzählgenie mit seiner Anekdotensammlung „O sama de cuvinte“ (Eine Ansammlung von Geschichten), das dann mit dem Klassiker der rumänischen Prosa, dem Moldauer Ion Creanga (1837-1889) („Erinnerungen aus der Kindheit, Der weiße Mohr“ und andere Märchenerzählungen) weitergeführt wird bis hin zum Klassiker der modernen moldauischen Epik Mihail Sadoveanu (1880-1961) („Nechifor Lipans Weib“, „Ancutas Herberge“, „Die Brüder Jderi“ und eine weitere Vielzahl von Romanen und Erzählungen.)
Auch die Idee der Latinität der Rumänen, ihre sprachlich-kulturelle Herkunft aus dem Römischen Reich, der Provinz Dazien – als Erben Roms – gelingt es Manolescu von den Chronisten her, Miron Costin (1633-1691) „De neamul moldovenilor“ („Vom Volke der Moldauer“) über die Siebenbürgische Schule (Scoala Ardeleana) des 18. Jahrhunderts, die 1848er bürgerlichen Demokraten bis ins ausgehende 20. Jahrhundert zu Constantin Noica (1909-1986) und Edgar Papu (1908-1993) zu verfolgen.
Constantin Noica als Hermannstädter Dissident mit seiner nationalphilosophischen Schule auf der Hohen Rinne/Paltinis bei Hermannstadt in den Zeiten der Ceausescu-Diktatur gesehen, wird von Manolescu komplexer als Kritiker des Regimes, aber auch als ein sich mit dem Regime doch auch Arrangierender betrachtet. Noica hatte insgeheim versprochen, zu heiße Themen wegzulassen, so dass sich die Aufregung des Regimes in Grenzen halten konnte.
Der bekannte Literaturkritiker Edgar Papu hingegen machte dem Ceausescu-Regime Avancen mit seiner These von den sogenannten rumänischen Protochronisten (den Erstchronisten). Diese rumänischen Erstchronisten oder Ursprungschronisten sollten gewichtige europäische Themen überhaupt als Erste behandelt haben.
Bei dem Kampf um die Anerkennung der Latinität der Rumänen (sprachlich unbestritten, historisch hingegen auch bestritten) hätte unbedingt auch der Volkssprecher der Siebenbürger-Sachsen, Stephan Ludwig Roth (1798-1849), erwähnt werden sollen.
Roth unterstützte die Latinitätsthese publizistisch und schlug auch auf ihrer Grundlage vor, die rumänische Sprache in Siebenbürgen neben der ungarischen und deutschen Sprache auch als Verkehrssprache einzuführen, da alle drei großen Bürgerethnien, Rumänen, Ungarn, Deutsche, sich im Rumänischen, das alle verständen, kommunikativ treffen können.
Ingmar Brantsch
(Schluss folgt)
Nicolae Manolescu – einer der besten Kenner der rumänischen Literatur.
Foto: Hans Butmaloiu
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