Erinnerungen an Erich Bergel (II)
16.12.10
„Alles was ihn beschäftigt, ist Musik und Dirigieren...“
Im Risoprint-Verlag in Klausenburg veröffentlichte Gheorghe Musat 2010 das Buch „Licht und Schatten. Erneut über Erich Bergel – mit Dokumenten aus dem CNSAS-Archiv“ („Lumini si umbre. Din nou despre Erich Bergel – cu documente preluate din arhiva CNSAS“). Das Buch (30 Lei) kann über die Webseite www.risoprint.ro bestellt werden. Ergänzt wird es von zwei CDs mit Ausschnitten aus Bergels Konzerten (Musik von Enescu, Bach, Mozart, Wagner, Mahler, Franck, Beethoven, Bruckner, Vaughan Williams und Brahms). Als naher Verwandter konnte der Bruder des Dirigenten, der Schriftsteller Hans Bergel, dessen Securitate-Dossier einsehen und von den Dokumenten Kopien anfertigen. Die 871 Seiten, „rund drei Kilogramm“, stellte er Musat im Februar 2010 zur Verfügung.
Sie bieten einen erschreckenden Einblick in das Rumänien der fünfziger bis achtziger Jahre. Die Akte, die im Buch kalt aneinander gereiht oder auch kommentiert sind, beziehen sich auf die Zeitspanne 1955-1984 und reflektieren das letzte Studienjahr Erich Bergels, seine Konzerte in Klausenburg, die Zeit in Großwardein/Oradea und die Rückkehr zur Klausenburger Philharmonie nach den Jahren im Gefängnis, den Neid und die Machenschaften der Kollegen, die Flucht nach Deutschland. Manche Namen sind in den getippten oder handgeschriebenen Seiten mit schwarzem Stift überdeckt. Musat kennt aber bestens das rumänische Konzertleben und die internen Konkurrenzkämpfe und deutet die Hauptakteure in Bergels Dossier. Als Gründe für die Intrigen der Kollegen nennt Musat neben dem Berufsneid Bergels gradlinige Persönlichkeit, die nicht jedem nahe stand: „sein bester Freund war die Musik. Er besaß starken Charakter, war ehrgeizig, empfindlich, ärgerte sich schnell und wirkte verwöhnt.“
Für den Leser ist es ein Erlebnis – wenn auch keineswegs ein angenehmes – das Dossier Nr. 110807 des Innenministeriums der Rumänischen Volksrepublik „Bergel, Erich“ vor Augen zu haben. Musat beschreibt einleitend die „Politik der gesellschaftlichen und physischen Vernichtung durch Haft, Deportation, Zwangsarbeit“, welche die „Degradierung des Menschen zu einem Objekt“ anstrebte. „Alles war kalkuliert, kalt, unmenschlich, grausam.“ Gerade in diesem Kontext, betont er, muss man die Informanten differenzieren: „diejenigen die bewusst Schlimmes angetan haben und diejenigen die positive oder unwichtige Informationen geliefert haben, mit denen die Securitate nicht viel anfangen konnte.“
Der Autor widmet ein Kapitel den Persönlichkeiten des musikalischen Lebens, die nach dem 23. August 1944 verhaftet wurden, so z. B. Antonin Ciolan (inhaftiert weil er für die politische Elite vor 1944 dirigiert hatte) und Dimitrie Cuclin (eingekerkert unter dem Vorwand, er habe Bach „und nicht sowjetische Musik“ gehört). Im darauffolgenden Kapitel über „Das Leiden der Familie Bergel“ schreibt Musat: „Die Widerstandsfähigkeit des Menschen liegt nicht nur an seiner körperlichen Struktur, sondern ebenso an seiner Erziehung.“ Auch die Eltern gelangten nach dem Krieg ins Gefängnis: der Vater Erich Bergel (1899-1971) in den Jahren 1944 und 1945-1947, die Mutter Katharina Bergel (1904-2002) im Jahre 1945 acht Monate lang. Hans Bergel (geb. 1925) wurde dreimal, 1947-1948, 1954-1955 und 1959-1964 in den Kerker gesetzt, Erich Bergel von 1959 bis 1962. Aus der kurzen Beschreibung der drei Jahre, die der Musiker in Haft verbringt, geht die unendliche Brutalität der Securitate-Leute und –Kollaborateure („subofiteri însotitori ai Securitatii“) hervor. Eine der Stationen, die Zwangsarbeit beim Schilf, hat eine erschreckende Bilanz: von 540 Häftlingen überlebten 180. „Hier brauchte er Bach, um zu überleben“ schreibt Johannes Waldmann in einem Nachwort zum Buch.
Die Schikanen begannen für den Musiker schon viel früher: nach einem Konzert mit Haydns „Schöpfung“ 1955 wird er exmatrikuliert. Es wird ihm verboten, sein Staatsexamen abzulegen. Er wird angeschuldigt, dass „die Interpretation solcher Werke“ „Ideen mit deutschen nationalistischem Charakter“ veranlassen könnte. Es bestand bereits auch ein beruflicher Konflikt, der in den darauffolgenden Jahren eskalieren sollte: die Gegner Bergels waren der Dirigent Emil Simon (sein Kollege in der Dirigentenklasse von Antonin Ciolan) und der Komponist Dr. Sigismund Toduta (langjähriger Direktor der Klausenburger Philharmonie). Sowohl vor, als auch nach der Inhaftierung fühlt sich Bergel professionell erniedrigt: er erhält disziplinäre Zuteilung („repartitie disciplinara“) nach Großwardein und Aufträge für Konzerte in Kleinstädten wie Dej, Gherla, Teius und Alba.
Peinlich, aber auch ausschlaggebend für das Niveau der Spitzel ist die Rechtschreibung in manchen Berichten. Am 6. März 1969 heißt es: „Bergels Arbeit über 'Deckunst der Fuge' (!) von 'S.S. Bach' (!) wird nächstes Jahr beim Verlag 'Breitkopl und Hărţel' (Breitkopf und Härtel!) veröffentlicht werden“. Oder: „er wird Vorlesungen über die Arbeit 'Kunst der Fege' (!) halten.“ Manche Securitate-Mitarbeiter nehmen sich sogar Zeit, den Dirigenten kurz zu porträtieren. Ein Bericht aus dem Jahr 1969, nach der Rückkehr Bergels aus Westberlin, zitiert ihn mit den Worten: „Jetzt kann man mit mir bis März nicht diskutieren, denn ich werde ein Konzert in Prag dirigieren und ich muss mich dafür vorbereiten.“ Der Autor der getippten Information kommentiert: „alles was ihn beschäftigt, ist Musik und Dirigieren, ansonsten ist Erich Bergel fern vom Alltag, den er völlig ignoriert.“ Ebenfalls aus dem Jahr 1969: „Er ist ein ernstes, korrektes, im Studium sehr gewissenhaftes Element. Er ist zufrieden, dass er wieder dirigieren darf, was eigentlich sein einziges Ziel im Leben ist.“ Die Akte gehen bis ins Jahr 1984: Bergel wurde also von der Securitate auch 13 Jahre nach seiner Flucht 1971 verfolgt. Anscheinend gab es sogar Pläne, den Musiker nach Rumänien zurück zu locken. In einer Note aus dem Jahr 1972 lautet die Schlussfolgerung: „so könnten wir den Flüchtling („fugar“) leichter ins Land bringen.“
Dass Erich Bergel aber mit seiner „musikalische Unbeugsamkeit“ „alle Schicksalsschläge in Chancen umwandeln konnte“ (Ion Piso) wird unverkennbar, wenn man sich das Konzertplakat der Salle Gaveau in Paris mit der Planung für die Wochen vor Weihnachten 1983 ansieht (im Buch S. 179). Hier stehen Namen, die die Musikwelt des 20. Jahrhunderts geprägt haben: Geoffrey Parsons, Aldo Ciccolini, Zubin Mehta, Erich Bergel, Daniel Barenboim, Luciano Pavarotti und Maurizio Pollini. Gegen Bergels Musik, seine „moralische Kraft und Heiterkeit“, seine „Großzügigkeit und seinen Tiefsinn“ (Johannes Waldmann) konnte „der Misere-Sammler Securitate“ (Adrian Pop) nichts tun.
(Fortsetzung folgt)
Christine Chiriac
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
25.10.24
Abschluss der Restaurierungsaktion im Rahmen der Vortragsreihe „Kulturerbe hautnah“ öffentlich vorgestellt
[mehr...]
25.10.24
Zum Band von Alfred Schadt: Zwischen Heimat und Zuhause. Betrachtungen eines Ausgewanderten
[mehr...]
25.10.24
Marienburg im Burzenland hat seit Kurzem ein amtlich bestätigtes Ortswappen/Von Wolfgang Wittstock
[mehr...]