ERNST HONIGBERGER (8.10.1885 – 3.05.1974)
30.04.15
Kindheit
Der Gedanke an die Jahre meiner Kindheit erweckt in mir stets die Vorstellung einer ungeheuer großen, grünen, oft auch bunt gesprenkelten Masse, hoch emporwuchtend und zugleich -lastend, überragt von kleineren dunklen Gebilden, aufgebaut, aufgetürmt, übereinander. Spät erst, vor wenigen Jahren nur, am Strand der Ostsee, kam ich hinter die Bedeutung dieser Erscheinung.
Die große, grüne, oft auch buntgesprenkelte Masse war der, meine Heimatstadt Kronstadt überragende, tausend Meter hohe Berg: die „Zinne“, die kleineren Gebilde die sie überragenden Gipfel der Südostkarpathen.
Der Eindruck, den die Berge meiner Heimat auf mein kindliches Gemüt gemacht, war für die Art meines künstlerischen Schaffens ausschlaggebend. Sind diese Jahre unbewussten Aufnehmens nicht überhaupt die entscheidenden für Richtung unserer Entwicklung, für Art und Wesen unserer Reife? Studium, Einflüsse und spätere Erlebnisse können uns zwar zeitweise von diesen Kindheitseindrücken abbringen, uns auf falsche Bahnen führen: uns unserm innersten Wesen entfremden. Früher oder später finden wir aber doch zurück zu unserm (für die Dauer nicht zu unterdrückenden) Unterbewusstsein, zu unserer Kindheit.
Die künstlerische „Potenz“ bleibt in uns immer dieselbe; unter „Entwicklung“ verstehe ich nur den Weg zurück zu unserem eigenen Wesen. Entwicklung ist (abgesehen natürlich von der äußeren technischen und geistigen Vervollkommnung): Beseitigung alles Fremden. -
Dass ein Gebirgsmensch niemals ausgesprochener Impressionist sein kann, ist für mich heute eine Gewissheit. Sein Auge ist eine andere Sehweise gewohnt. Vor ihm wächst alles in die Höhe, baut sich auf, türmt sich, das Blickfeld ist eng begrenzt, die Luft klar und durchsichtig.
Wie anders im Flachland! Die Horizontale herrscht vor, weite Fläche und Fernsicht, die Luftschichten treten beinahe handgreiflich in Erscheinung. Himmel und Erde fließen ineinander. Luft und Duft. Unbegrenztheit.
Merkwürdig erging es mir gelegentlich meines ersten Sommeraufenthaltes an der Ostsee. Da ich fleißig arbeiten wollte, hatte ich mir recht viel Material mitgenommen. - Bepackt mit: Leinwand, Staffelei und Farbkasten ging ich an den Strand, fiebernd vor Arbeitslust. Doch - ich wanderte stundenlang den Strand entlang, spähend und suchend, ohne etwas Malbares zu finden. Tag für Tag wiederholte ich dasselbe Spiel, bis ich verzweifelt meine Bemühungen aufgab. Die Möglichkeit, diese unbegrenzte Weite in den engen Rahmen eines Bildes zusammenzuraffen, ergab sich mir nicht. Und wie von Sehnsucht beschworen erschienen vor meinen suchenden Augen wieder die großen, grünen und die kleineren dunklen Massen, und hier erkannte ich sie: Die Berge meiner Heimat. - Wenige Tage nur vor meiner Abreise fand ich zufällig ein Dorf: tief lagen die einzelnen Häuschen zwischen hohen Dünen. Diese erinnerten wenigstens an Berge: hier fand ich Formelemente, die meinem Schaffen, meinem Wesen entsprachen. Und das Blickfeld war begrenzt, ich konnte den Rahmen „füllen“. -
Die Unterschiede der Sehweise beschränken sich: selbstverständlich nicht bloß auf die Landschaft, sie treten in der Figurenmalerei gleichermaßen in Erscheinung. Hier wird der eine stets die Reliefwirkung, der andere Raumtiefe erstreben.
Nicht nur die formale, auch die farbige Anschauung ist unterschiedlich. Der Gebirgsmensch wird mehr zum (naturalistischen oder erfundenen) „Lokalton“ und zu reiner, ungebrochenen Farbe, der Flachlandmensch aber zur gebrochenen, nuancierten Valeurmalerei neigen.
So bedeutend auch der Einfluss von Veranlagung, Charakter, Rasse usw. aufs künstlerische Schaffen sein mögen - für unsere malerisch-formale Auffassung sind unbedingt die aus dem Natureindruck der Kindheitstage resultierenden, im Unterbewusstsein gesammelten Formbindungen ausschlaggebend.
(Berlin 1928)
Kunstbetrachtung und Kunstschaffen
Wie wir aus Erfahrung wissen, erschließt sich ein Kunstwerk dem Betrachter oft nicht sofort. Je tiefer und ernster ein Werk, mit anderen Worten, je bedeutender es ist, desto schwerer finden wir den Weg zu ihm. Handelt es sich dabei auch noch um jeweils neuere Kunst, an künstlerische Äußerungen in einer Form und Sprache, die uns noch nicht geläufig, dann ist uns der Zugang zum Werk zunächst beinahe versperrt.
Es ergibt sich nun die Frage: gibt es irgend welche Theorien, mit deren Hilfe ein Kunstwerk zu erklären wäre. Auf diese Frage gibt es nur die Antwort: solche Theorien gibt es nicht, kann es nicht geben, da aus Theorien auch noch nie ein Kunstwerk entstanden ist. Wer mit einem Kunstwerk in wirklichen, inneren Kontakt kommen will, muß sich dazu zunächst einmal Zeit lassen. Zeit lassen und von allem eine innere Bereitschaft dazu mitbringen. Der Zustand der Bereitschaft muß vorhanden sein, wenn der Künstler an sein Werk geht, er muß aber auch beim Betrachter da sein, wenn der Kontakt zwischen ihm und dem Werk eintreten soll. Erklärende Worte können dazu dienen Vorurteile zu beseitigen, oder den Zustand der Bereitschaft vorzubereiten oder herbeizuführen. Diese Feststellungen gelten nicht nun für die Malerei, sondern für alle Künste. Denn so verschieden auch die Bezirke sind, von denen sich die Künste herleiten, vom Gesichts-, Hör- oder Tastsinn, mit welchen Ausdrucksmitteln die Künstler ihre Visionen gestalten, in Gemälden, Melodien oder Plastiken - alle Künste sind Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen, d.h. geistige und gefühlsgebundene Reaktionen des Menschen auf innere und äußere Reize.
Das höchste Ziel des wahren Künstlers ist: bewußteste und präziseste Formulierung der eigenen Anschauungen, Erkenntnisse und Empfindungen.
Hierzu gehört ein in jahrelangem Ringen erworbenes Können, das aber stets nur dienender Natur sein darf: Es gibt dem Schaffenden die Möglichkeit, seine Eingebungen nach Bewußtheiten darzustellen.
Kunst ist kein Luxus. Kunst ist eine Eigenschaft menschlichen Geistes und Fühlens und kann deshalb aus dem Leben des Menschen niemals fortgedacht werden. Die Kunst muß dem Leben dienen. Dies ist und bleibt das Ziel künstlerischen Schaffens. Die Wege, die zu diesem Ziel führen sind vielfältig und wandeln sich je nach der Individualität des Schaffenden und nach den Forderungen des Zeitgeistes.
Das Werk, das die Eingebungen, Bewußtheiten und Empfindungen des Schaffenden mit sicherem Können vermittelt und den Zeitgeist zum Ausdruck bringt, ist Erfüllung künstlerischen Schaffens und es wird erfreuen, erschüttern oder erbauen.
(Wehr, ca. 1955)
Ernst Honigberger wurde am 8. Oktober 1885 in Kronstadt geboren. In einem vom Künstler selber verfassten Lebenslauf heißt es über die ersten Unterrichtsstunden im Malen: „Der hochbegabte, leider so früh verstorbene Maler Emerich Tamas, der viel in unserem Haus verkehrte, gab mir erste Anregungen, gelegentliches Mitarbeiten im Atelier von Miess oder Coulin förderte mich auch. Beim Abschluss meiner Schulzeit erhielt ich den Malerpreis, den für Musik und die Goldene Medaille für Turnen und Sport.“
Honigberger studiert Malerei an der Akademie Berlin bei Professor Georg Koch, anschließend an der Heymannschule und an der Akademie, beide in München. „Das Studium war mir durch ein Stipendium der evangelischen Gemeinde von Kronstadt ermöglicht“, hält der Maler im Lebenslauf fest. In der Zwischenkriegszeit übersiedelt er nach Berlin. Durch mehrere Ausstellungen in Deutschland und dem Ausland gehört er im dritten und vierten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts zu den bekannten deutschen Malern seiner Zeit. Im August 1943 wird seine Berliner Wohnung Opfer eines Bombenangriffs. „Ein großer Teil meines Lebenswerkes vernichtet!“ Der Maler lässt sich mit seiner Frau, der Konzertgeigerin Erna Honigberger (1894 – 1974) in Wehr/Baden nieder. Dort gründet er, zusammen mit seiner Frau, eine viel beachtete „Kunst- und Musikschule“. Ernst Honigberger verstarb am 3. Mai 1974 in Wehr.
Die beiden Texte und die zwei Gemälde sind einem in Wehr, wahrscheinlich in den 1950-er Jahren herausgebrachten Schwarz-Weiß-Ausstellungskatalog entnommen, der der KR vom im Vorjahr verstorbenen Kronstädter Ex-Libris-Maler Franz Illy gespendet wurde (RS).
Foto: Ernst Honigberger: Selbstporträt
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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