„Für mich ist es viel aufregender, ins Spital zu gehen, als auszugehen“
26.04.24
Zahntechnikerin Iris Adam setzt sich seit vier Jahren als Freiwillige in einem privaten Krankenhaus ein
Die Absolventen des Honterus-Lyzeums arbeiten heute, in der ganzen Welt verstreut, in allen denkbaren Bereichen - unter ihnen sind Star-Musiker, Informatiker, Top-Manager, Politiker, Schriftsteller, anerkannte Ärzte oder Architekten. Ob in London, Abu-Dhabi, Wien, Berlin, New York, Bukarest oder Kronstadt - die meisten von ihnen denken gerne an ihre gemeinsame Schulzeit zurück. In der Karpatenrundschau stellen wir ehemalige Honterianer vor, die heute eine erfolgreiche Karriere haben. Falls Sie auch jemanden kennen, der das Honterus-Lyzeum absolviert hat und sich in seinem Bereich bemerkbar gemacht hat, können Sie uns gerne ihre Vorschläge auf kronstadt@adz.ro zusenden. Wir freuen uns auf jede Idee!
Iris Adam ist 26 Jahre alt. Ihr beeindruckender Lebenslauf erstreckt sich über mehrere Seiten, ihr Enthusiasmus für Medizin ist beneidenswert. Die Ex-Honterianerin ist diplomierte Zahntechnikerin, beendet heuer ihr Studium als Zahnmedizinerin und will Chirurgin werden. Bereits mit 14 Jahren war sie zum ersten Mal als Freiwillige in einem Krankenhaus tätig. Es folgten mehrere Praktika in Zahnarztpraxen. Seit vier Jahren ist sie Freiwillige beim privaten Sf. Constantin-Krankenhaus in Kronstadt, wo sie zum Team des renommierten Chirurgen Bodgan Moldovan gehört. Sie beobachtet Operationen im Bereich Allgemeinchirurgie und Onkologische Chirurgie. Iris Adam bildet sich ständig fort, hat bei internationalen Konferenzen Vorträge gehalten und gemeinsam mit Ärzten in internationalen Fachzeitschriften Artikel veröffentlicht. In einem Interview mit KR-Redakteurin Laura Capatana-Juller spricht Iris Adam über ihre Leidenschaften, die Honterusschule und auch darüber, wie man auf seine Gesundheit achten sollte.
Liebe Iris, wie bist du zur Medizin gekommen?
Es war purer Zufall. Als meine Mutter eines Tages den Fernseher einschaltete lief “Grey’s Anatomy”, ein Film über Ärzte. Wir haben die ganze Serie gemeinsam angeschaut. Es war einfach faszinierend zu sehen, was die Ärzte bei der Arbeit machen und ich habe mich entschlossen, Arzt zu werden. Damals war ich 13.
Ein Jahr später bist du dein erstes Volontariat in einer Klinik angetreten.
Als ich mir zum 14. Geburtstag etwas wünschen durfte, habe ich mir ein Volontariat gewünscht. Meine Kollegen wollten Handys, Kleider… aber ich wollte ins Krankenhaus. Ich erinnere mich an meinem ersten Tag im Kronstädter Kinderkrankenhaus: ein Fünfjähriger wurde am Gesicht operiert. Es war extrem interessant. Mir wurde klar: Ich will Menschen heilen.
Wie bist du zur Privatklinik Sf. Constantin gekommen?
Leider durch ein persönliches Problem: mein Vater war krank. Es war Pandemie und strikte Ausgangssperre und wir durften die Stadt nicht verlassen. So haben wir in Kronstadt ein gutes Krankenhaus gesucht, wo er behandelt werden kann. In der Privatklinik habe ich Herrn Chirurg Moldovan kennengelernt. Er hat sich großartig um meinen Vater gekümmert, hat ihn operiert.
Weil er über meine Leidenschaft für Medizin wusste, hat er mir angeboten, ihm bei seiner Tätigkeit über die Schulter zu schauen. Die erste Erfahrung war sehr gut - eine Operation im Bereich Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Es hat mir sehr gefallen. Das war am 2. Oktober 2020. Seitdem gehe ich jede Woche hin.
Wie sieht ein Tag im Krankenhaus für dich aus?
Gestern, beispielsweise, bin ich bis 22 Uhr im Krankenhaus gewesen. Es gibt immer wieder Operationen, die lange dauern und die OP von gestern hat 17 Stunden gedauert. Gewöhnlich gehe ich um acht Uhr morgens hin und bin um 20, 21 oder 22 Uhr fertig. Ich scherze immer, dass ich zum Schatten von Herrn Moldovan geworden bin. Wir machen am frühen Morgen die Krankenbesuche, gehen ins Ambulatorium, wo er Patienten untersucht und danach folgen Operationen. Danach untersucht er wieder im Ambulatorium und am späten Nachmittag finden wieder Krankenbesuche statt. Ich habe schon Hunderte OPs gesehen.
Bleibt Zeit für die Uni?
Ich bin drei Tage die Woche in Hermannstadt an der Uni. Ich komprimiere alle Kurse und Seminarien an diesen drei Tagen, damit zwei volle freie Tage fürs Krankenhaus bleiben. Manchmal bin ich auch samstags im Spital.
Wie verbringst du die Ferien?
Im Sommer habe ich drei Wochen frei. In der ersten Woche ruhe ich mich aus, in der zweiten Woche gehe ich mit Freundinnen und Freunden aus oder wir reisen irgendwohin mit meiner Mutter und meinem Bruder. Aber in der dritten Woche langweile ich mich schon und will ins Krankenhaus. Für mich ist es viel aufregender, ins Spital zu gehen, als auszugehen.
Was machst du in deiner Freizeit?
Ich liebe Kochen, Skifahren und Reisen. Und jedes Jahr nehme ich mir vor, etwas Neues zu lernen, dieses Jahr ist es Französisch.
Beeindruckt es dich nicht, manchmal sterbenskranke Menschen zu sehen?
Es ist traurig, so kranke Menschen und ihre Familien zu sehen. Gleichzeitig bereitet es mir eine unbeschreibliche Freude, wenn ein Patient, dem andere Ärzte keine Lebenschance gegeben haben, gesund wird, nachdem er in dieser Privatklinik operiert wird. Es ist eine Genugtuung, wenn dieser Mensch nach Jahren zu dir kommt und sich dafür bedankt, dass er es dir verdankt, dass er seine Enkelkinder im Arm halten kann. Das motiviert mich.
Solche Operationen sind teuer und werden nicht, oder nur sehr bescheiden von der Krankenkasse gedeckt. Was machen Kranke, die kein Geld haben?
Die komplexeste Operation ist ein Transplant, die kann bis zu 30.000 Euro kosten. Aber einfachere Operationen kosten ab 7.000 Euro. Nicht jeder hat dieses Geld, selbstverständlich. Aber ich habe gemerkt, dass die Leute in kleinen Gemeinden solidarisch sind und schnell große Geldsummen sammeln, um zu helfen. In Großstädten ist es anders, da sammelt man mit Hilfe der sozialen Medien.
Als allgemeinen Ratschlag sage ich allen Leuten, die mich fragen, sie sollen eine private Krankenversicherung abschließen. Sie kostet rund 150 Lei im Monat und kann in ernsthaften Situationen wirklich sehr hilfreich sein. Ich bin sicher, jede mittelständische Familie kann sich das leisten. Schaut man am Ende eines Monats, was man alles ausgegeben hat, stellt man oft fest, dass mehr als 150 Lei für Dinge ausgegeben wurden, die man eigentlich nicht wirklich braucht. Eine private Krankenversicherung ist eine Investition.
Außerdem rate ich allen, im Falle einer ernsthaften Krankheit zuerst in Rumänien Hilfe zu suchen. Viele onkologische Patienten lassen sich in Wien, Brüssel oder in Deutschland behandeln. Dabei kann man komplizierte onkologische Operationen auch hierzulande durchnehmen. Außerdem kosten sie in Rumänien deutlich weniger als im Ausland.
Wo werden komplizierte Operationen in Rumänien durchgeführt?
In Bukarest, Klausenburg, Jassy und Neumarkt.
Deine Erfahrung in der Klinik teilst du bei internationalen Konferenzen und Kongressen und in Fachartikeln.
Gemeinsam mit Herrn Moldovan nehme ich an Kongressen und Konferenzen teil. Wir schildern die spektakulären Fälle, die er operiert hat. Beim Deutschen Chirurgie-Kongress in Leipzig, bei der Nationalen Onkologie-Konferenz in Bukarest und beim Forschungsforum junger Onkologen in Rumänien habe ich als Speaker darüber berichtet. Außerdem haben wir bereits zwei wissenschaftliche Artikel in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht (anm. d. Reda: zB: in MDPI, dem größten Herausgeber von wissenschaftlichen Fachzeitschriften mit offenem Zugang, mit Sitz in Basel, Schweiz).
Bitte nenne den spektakulärsten Fall, den du beobachten durftest!
Im Vorjahr hat ein 19jähriger Junge, der sein Leben lang mit Dialyse gelebt hat, eine zweite Chance bekommen. Er hat infolge eines Transplants eine Niere von seiner Mutter bekommen und führt jetzt ein normales Leben, er hat seine Abitur-Prüfung abgelegt und studiert jetzt. Für Transplante muss man nicht monatelang warten, wie das in Filmen geschildert wird. Familienmitglieder können Organe spenden.
Du träumst auch davon, onkologische Chirurgin zu werden?
Mein Wunsch ist es, onkologische Chirurgin zu werden, um das Böse aus dem Körper der Patienten herauszuschneiden. Ich will in zehn Jahren operieren können. Bis dahin werde ich mein Zahnmedizin-Studium abschließen und meine Assistenzzeit im Bereich Mund-Gesichts-Chirurgie antreten. Danach werde ich noch zusätzlich drei Jahre Allgemeinmedizin in Bukarest studieren und anschließend eine Spezialisierung, mein Doktorat, im Bereich Verdauungsapparat durchführen. Mein überwiegendes Interesse richtet sich an Resektionen am Gesicht, wie beispielsweise Resektionen von Gesichtstumoren. mIch wünsche mir, alles vom Kopf bis zum Rectus, behandeln zu können.
Würdest du gerne im Ausland studieren und arbeiten?
Ich würde meine Kenntnisse im Ausland erweitern. Aber nach dem Studium, egal wo es sein wird, will ich zurück nach Kronstadt kommen. Ich finde, es gibt einen Grund, warum ich ausgerechnet hier geboren bin. In Rumänien gibt es noch so viele Möglichkeiten und Nöte und man kann sich einsetzen und einen Unterschied machen. In Deutschland und der Schweiz, beispielsweise, ist alles geregelt, hier nicht. Ich will mich hier einsetzen!
In einem privaten oder staatlichen Krankenhaus?
Würde der rumänische Staat bessere Bedingungen anbieten, dann gerne. Aber derzeit müssen Patienten Leukoplast und Watte selber kaufen, bevor sie behandelt werden. Staatliche Krankenhäuser arbeiten teils mit überfälliger Apparatur, so dass die Ärzte, seien sie noch so gut, nicht ihr Bestes geben können. So kommt es zu Frust und zu Fehlern. Unter diesen Umständen würde ich nicht arbeiten wollen. Nein, danke! Ich glaube, das ist der Grund für viele Ärzte, den Privatbereich vorzuziehen.
Bitte gib unseren Lesern einige Tipps, wie sie ihre Gesundheit erhalten können.
Man muss jährlich Blutanalysen machen und zum Arzt gehen, wenn Beschwerden wiederkehren. Es ist viel leichter und sicherer vorzubeugen, als zu behandeln. Man soll sich Zeit für sich selbst nehmen, wenn man Beschwerden hat und sich untersuchen lassen. Ich habe den Eindruck, dass man in Rumänien den Leuten regelrecht einflößt, dass sie krank sind. Man sieht das auch an den zahlreichen Werbungen für Medikamenten im Fernsehen oder an der Anzahl der Apotheken. Es ist, als würde man ermutigt, krank zu werden. In Deutschland wirbt man für Ski-Resorts und exotische Urlaubsziele. Auch auf die Zähne muss man gut achten, zwei Mal im Jahr zum Zahnarzt gehen.
Bitte schildere unseren Lesern eine schöne Erinnerung aus der Schulzeit?
Die Biologiestunden mit Herrn Wagner waren die tollsten Stunden für mich. Er unterrichtete sehr gerne, das haben wir gespürt und manche von uns haben diese Leidenschaft für den eigenen Beruf übernommen. Herr Wagner war sehr fortgeschritten für 2010er Jahre. Er zeigte uns Filme und Projekte, die er in Powerpoint am Computer erarbeitete. Das war vor 14 Jahren, als die Technologie noch nicht so performant war. Wenn ich zurückdenke, war es ziemlich Science Fiction.
Ich erinnere mich, dass eine Kollegin und ich im Namen der Schule einmal zu einer Festlichkeit nach Tartlau fahren mussten. Es war März, es regnete und es war matschig. Als wir in das Auto von Herrn Wagner gestiegen sind, hat er unsere schmutzigen Schuhe lange angesehen. Wir haben uns damals sehr geschämt. Jetzt finde ich es nett und es ist eine schöne Erinnerung.
Ich bin sehr dankbar, Deutsch gelernt zu haben, denn Englisch kann jeder und im medizinischen Bereich ist Deutsch sehr wichtig.
Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die Zukunft!
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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