Geistige Unabhängigkeit mit ironischem Unterton
13.08.09
von Agnes Gossen-Gisebrecht
Zu: Ingmar Brantsch „Ich war kein Dissident“: Autobiographie, Ludwigsburg, POP-Verlag Fragmentarium, 1. Auflage, 2009, 254 S., ISBN 978-3-937139-68-5,
Wer eine lange Reise macht, der hat was zu erzählen, sagt der Volksmund. Die fast 70-jährige Lebensreise des rumäniendeutschen Schriftstellers und Literaturkritikers Ingmar Brantsch, deren Stationen er mit feinem Sinn für Humor und Gerechtigkeit in seinem neuem Buch „Ich war kein Dissident“ schildert, beginnt mit dem schönsten und lyrischsten Teil „Kindheit im Karpatenbogen“. Sie hat er zum Teil in einem typisch siebenbürgisch-sächsischen Pfarrhaus verbracht mit frommen Bewohnern, einer Kirchburg, Dorfkirche mit einer Orgel: Es war, wie er schreibt: „eine kleine, heile Welt voll Wärme und voll Licht. Voll Licht, das auch bunt sein kann, durch Anekdoten, die Butzenscheiben der Erinnerung. Was eine siebenbürgisch-sächsische Dorfgemeinschaft einem auf den Lebensweg mitzugeben vermochte, versteht man erst dann wirklich richtig, wenn man vom Leben gebeutelt ist...“
Seine ehrgeizige Mutter nahm ihn aus der deutschen Schule und schickte aufs rumänische Gymnasium, wo er sich nicht besonders glücklich fühlte, aber so besser die rumänische klassische Literatur kennenlernte und sie später auch neben Germanistik studierte und unterrichtete, obwohl er für sich sehr früh beschlossen hatte, ein deutschsprachiger Dichter zu werden, und auch bald als sehr begabt galt.
Ingmar Brantsch berichtet über die Verhaftung einer seiner Studienkollegen durch die Securitate im Zusammenhang mit der Niederschlagung des Ungarnaufstandes im Jahr 1956. Auch die Gruppensprecherin, die nicht den Mut hatte, über diese Festnahme der Dozentin – der Gruppenleiterin zu berichten, hatte deswegen große Probleme. Der Autor schreibt: „Wie eine existenzialistische Gewitterwolke schwebte im langsam abklingenden Stalinismus eine undefinierbare Angst, eine sorgenvolle Ungewissheit, ob man nicht eine verhängnisvolle Unvorsichtigkeit begangen habe über allen Studierenden, wie zum Beispiel das verbotene Hören der Jazzmusik im Zimmer, das später sehr tragische Folgen hatte“. Das Radio wird vom Autor aus der jetzigen Sicht ironisch als „Instrument zur Verbreitung der rhythmisch tönenden Ideologie des Klassenfeindes“ bezeichnet.
Aber es waren auch Jahre, in denen sein lyrisches Talent aufblühte und er mit ein paar dichtenden Kommilitonen oft über Gedichte diskutierte. So schrieben sie Gedichte, die in der Uni-Wandzeitung veröffentlicht und in Literaturzirkeln der Fakultäten vorgetragen wurden und fühlten sich als kulturelle Bereicherer der schwierigen Übergangsperiode. „Diese Spannung zwischen hehrsten Menschenidealen der Zukunft und mitunter miesesten Situationseinschränkungen der Gegenwart schuf ein für die Lyrik günstiges Klima“, schreibt er.
Dabei ist der Autor des Buches „Ich war kein Dissident“ schonungslos ehrlich, was eigene Jugendgedichte betrifft: „Die Menschheit und die Natur vereinst du/ Fahne der Arbeiterklasse, Fahne der Partei.“ Ist es nicht ein etwas naiver patriotischer Gedanke eines immerhin global philosophisch denkenden jungen Menschen?
Er hatte in Bukarest mit 16 Jahren als jüngster Student die Philologische Fakultät beendet und 5 Jahre später, 1967, erschien in Rumänien Brantschs erster Lyrikband „Deutung des Sommers“, der ihn schlagartig bekannt machte. 1968 wurde er zum ersten mal in Westdeutschland veröffentlicht und mit dem Lyrikpreis der Jungen Akademie Stuttgart und dem Anerkennungsdiplom der Jungen Akademie München ausgezeichnet.
Er und einige gleichgesinnten junge Autoren versuchen, neue Wege zu gehen und beginnen moderne Alltagslyrik zu schreiben, die bei den älteren konservativ gesonnenen rumäniendeutschen Autoren und ideologisch wachsamen, aber nicht besonders gut gebildeten Funktionären schlecht ankamen. Er erntete nach seinem Erfolg im Westen sofort für seine unabhängige Haltung herbe Kritik der Funktionäre in der Heimat. Darüber berichtet er im Kapitel „Schiffbruch in Bukarest“ und „Zurück zu den Wurzeln“, in denen er parallel über seine zweijährige Arbeit als Redakteur und Bibliothekar in Bukarest, sieben Jahre als Gymnasiallehrer in Kronstadt und seine Mitarbeit an verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften schreibt.
Es waren nicht rumänische, sondern eigene rumäniendeutsche Funktionäre, die sein Leben fast unerträglich machten und seine Zukunft als rumäniendeutscher Autor verbauten. Dabei versuchte er nur gegen falsche Behauptungen anzukämpfen, aber es war aussichtslos. Sehr ausführlich berichtet Ingmar Brantsch über die deutsche Presselandschaft und die Literaturszene in Rumänien und die unterschwelligen und offenen Auseinandersetzungen.
Der Titel seines Buches „Ich war kein Dissident“, der auf jeder zweiten Seite des Buches in der Kopfzeile erscheint, ist für mich wie ein Aufruf einer nach Gerechtigkeit trachtenden oppositionellen Seele, die es nicht annehmen kann, dass die früheren Lieblinge des Ceau{escu als Dissidenten im Westen gefeiert werden, obwohl sie „Dichter ihrer eigenen Legenden“ sind, so Brantsch. Da es sich um tatsächlich talentierte Autoren handelt, die ich früher gerne gelesen habe, und ich auch Ingmar Brantsch lange als einen sehr ehrlichen, belesenen Menschen kenne, der sich immer wieder für die Belange der deutschen Minderheiten in Ungarn und der ehemaligen Sowjetunion einsetzte, ihre Literatur besser als mehrere Russlanddeutsche selbst kennt, hinterlässt dieses Buch bei mir einen etwas bitteren Beigeschmack.
Ingmar Brantschs Stil ist manchmal etwas zu umständlich, aber der ihm so eigene ironische Unterton, seine Gabe, sich auch über sich selbst zu erheben, machen sein neues Buch für mich wieder lesenswert und interessant.
„Mein Schicksal war also für meine zweite Lebenshälfte nicht mehr die alte Heimat Siebenbürgen, Transsilvanien, Rumänien, sondern die neue (dabei uralthistorische) Heimat Deutschland und dort das Rheinland, denn aus der Gegend Rhein-Maas-Mosel waren fast tausend Jahre zuvor die Siebenbürger Sachsen als Mosel- und Rheinfranken gekommen. Dahin musste ich wieder und blieb doch ein k.u.k. Mann. Aus Kronstadt nach Köln. K.u.k. auf ein Neues!“– so das Fazit und Ende dieses Buches, bzw. dieses Lebensabschnittes von Ingmar Brantsch. Wir sind gespannt auf die Fortsetzung!
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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