GÉZA SZÁVAI - "Szekler Jerusalem"
08.09.11
Eine beeindruckende wahre Geschichte
Eine am 7. September im Kronstädter Kunstmuseum eröffnete Fotoausstellung bringt ein wenig bekanntes Kapitel aus der Geschichte Siebenbürgens in Erinnerung. Es handelt sich um die Szekler Sabbatarier eine kleine religiöse Gemeinschaft die 1588 von Andras Eössy und Simon Péchi gegründet wurde. Die tragische Geschichte dieser Glaubensgemeinde die als Nichtjuden, trotzdem zum jüdischen Glauben übertraten mit allen damit verbundenen Verfolgungen, einschließlich der Deportierung in Konzentrationslager, wird von dem ungarischen Schriftsteller Géza Szávai (geb. 1950 im Szeklerland, heute in Budapest lebend) in seinem im Jahr 2000 bei Pont Kiado (Budapest) erschienenen Essayroman beschrieben und kommentiert. Dabei geht es um nationale und konfessionelle Identität einer isoliert lebenden Gemeinschaft, um den Verlust der Heimat, des Dorfes Bözödujfalu/Bezidu Nou, das während des Ceausescu-Regimes überflutet wurde. Der Roman, der mit zahlreichen vom Autoren geschossenen Fotos über den Untergang von Bözödujfalu illustriert ist ( von denen einige in der Ausstellung zu sehen sind), wurde auch ins Rumänische und Französische übersetzt. Aus der in Vorbereitung befindlichen deutschen Ausgabe drucken wir folgende Auszüge ab. (RS)
Es ist schwer, von einer fixen Idee aus der Kindheit loszukommen. Für mich ist diese Gegend auch deshalb wichtig, weil ich hier mit der Ausdauer eines Besessenen nach der Projektion des Geburtsortes Jesu, abgebildet nach einem verborgenen Maßstab, gesucht habe. Ich habe das Szekler Bethlehem gesucht, wohin der Messias noch einmal kommen sollte… Ich muss nicht nur von der Gegend loskommen, auch von den Phantastereien, die an diese anknüpfen. Dann kamen die Nachrichten aus Bözödújfalu und in unserer Bukarester Redaktion erschienen die Leute aus Bözödújfalu. Sie kamen zu meinem Freund und Kollegen András Kovács, der aus ihrem Dorf stammte, er war „ein großer Mann, ein Journalist aus Bukarest”, er möge sie vor Ceausescu bringen, damit sie ihn überzeugten, es sei überflüssig und sinnlos, das Tal des Küsmõd mit einer Talsperre zu versehen, das Dorf zu zerstören. András brachte die Leute dann auch zum Zentralkommittee, wo sie von einem Parteiaktivisten empfangen wurden, der versprach, er würde ihr Anliegen dem Genossen Generalsekretär weiterleiten, wenn aber schon einmal eine Entscheidung gefalle wäre, nicht wahr…
Dann kamen die Bulldozer.
(…)
Das Dorf war verschwunden, und auch ich fand kein Szekler Bethlehem in der Nähe des Szekler Jerusalem. Als Ceausescu schon „passé” war, wurde mir auf der Straßenbahn Nr. 6 in Budapest anlässlich einer späten, rüttelnden Nachtfahrt etwas langsam offenbar, als wäre ich schon mit diesem fertigen Wissen, mit dieser Überzeugung geboren worden, und hätte nur bislang nicht auf mein „Erbteil” geachtet. Ich wusste es und vertiefte dieses Wissen in mir, dass hier seit Jahrhunderten eine Leistung des menschlichen Denkens, Glaubens und Gewissens vorhanden war, auf die man lediglich achten hätte müssen; auf die man achten müsste. Und es gab auf dem unmenschlichen Tiefpunkt der europäischen – und darinnen der ungarischen – Geschichte entlang des Tales, in dem der Küsmõd-Bach fließt, einen Bereich, in dem die von der Menschenverachtung konzipierten Gesetze selbst innerhalb der Grenzen der Sinnlosigkeit ihren Sinn verloren haben. Hier, in der durch Gesetze nicht einschränkbaren und auch nicht zerstörbaren Welt der Sachlichkeit, der Moral, des gesunden Verstandes und des Gewissens fielen alle hassgeborenen Gesetze, Schmähungen und Vorurteile eindeutig auf das Haupt derer zurück, die diese Vorgänge hervorgerufen und eingeleitet hatten.
Hier, aus diesem Tal mussten gerade jene verschleppt werden, und zwar in einer wesentlich größeren Menge, in deren Interesse, um deren Lebensbedingungen zu schützen, wie es geheißen hat, die Judengesetze erlassen worden waren. Die als Juden verschleppten Nichtjuden waren in der Überzahl. Der Begriff des ungarischen Juden lebte hier gemäß der sich auf die Gesamtheit der beigeordeneten Elemente erstreckenden menschlichen Formel, und das verschlug den hassdiktierten Paragraphen die Sprache. Und hier, in diesem Tal schien sich – inmitten des Irrsinns – für einen Augenblick ein Ausweg aus dem Irrsinn abzuzeichnen, das zum ersten Mal in der ungarischen Geschichte die Bewohner von Bözödújfalu, die Szekler Sabbatarier, in den Mittelpunkt des landesweiten Interesses gerückt hatte. Es klingt paradox, aber es war (im Jahr 1944!) Gesetz: Wenn Bözödújfalu mit Dokumenten beweisen kann, dass alle ungarischen Juden zwei Generationen früher „zu Bözödújfalu gehört haben”, und dies mittels Urkunden, sei es auch am Fließband gefälscht, nachweist, dann erlöscht die Rechtsgrundlage der Verschleppung. Ich musste in diesem Buch (der eilenden Historie nachjagend) oft die Worte Annexion oder Angliederung schreiben. Daher stammt die Inspiration der Formulierung: Wenn nur der als Tal der Küsmõd zu bezeichnender kleiner Landstrich und Bözödújfalu, sagen wir, für die Dauer eines Monats Ungarn annektieren hätte können! Und wenn fünf-sechs Geistliche der im Tal der Küsmõd praktizierten Religionen die Augen der leitenden Beamten des präannexionellen Ungarn im Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes öffnen hätten können! Wenn sie die Gesetzgeber des annektierten Ungarn auf den gesunden Menschenverstand vereidigen hätten können! Und dann, nach einem Monat, hätte das Tal der Küsmõd und Bözödújfalu die Unabhängigkeit Ungarns wieder zurückgegeben…
Bözödújfalu ist ein kleines Dorf gewesen, und heute existiert es nicht mehr. Unsere Geschichte aber lebt. Auf dem Weg zurück zur Wirklichkeit sollten wir eine Frage schon stellen dürfen: was wäre, wenn wir zuließen, dass uns unsere Vergangenheit aus der Zeit vor dem XX. Jahrhundert annektierte? Was
wäre, wenn wir zuließen, dass uns die besten Traditionen unserer Vergangenheit assimilierten!?
(Aus dem Ungarischen von György Buda)
Foto 1
Der Untergang von Bözödujfalu.
Foto: Géza Szávai
Foto 2
Géza Szávai
Foto: privat
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