I t a l i e n i s c h e R e i s e b r i e f e
04.06.15
Von Prof. Friedrich Lexen (Auszüge/1)
Friedrich Lexen (1861-1919), Professor für Naturwissenschaften am Kronstädter Honterusgymnasium und gleichzeitig Direktor der Gremialhandelsschule, entstammte einer tüchtigen Handwerkerfamilie. Er besuchte das Lehrerseminar, legte die gymnasiale Reifeprüfung ab und studierte dann Naturgeschichte und Chemie in Leipzig und Budapest. Er war einer der reformfreudigsten Kronstädter Pädagogen jener Zeit und veröffentlichte mehrere Aufsätze zur inhaltlichen und methodischen Erneuerung des Unterrichts (u. a. in den Fächern, Biologie, Deutsch, Zeichnen) und zu Problemen wie Handfertigkeit, Mädchenfortbildung und Einheitsschule. Lexen legte einen Schulgarten an, setzte sich für Schulwanderungen, Klassenfahrten und Schulreisen, für die Einrichtung von Jugendherbergen, für Landaufenthalte von Stadtkindern ein. Sein praktischer Beobachtungssinn und seine Unvoreingenommenheit zeigt sich auch in den anschaulich vergleichenden Berichten von den Schulreisen nach Konstantinopel, Athen und Bukarest wie auch in den 1905 in der „Kronstädter Zeitung“ (hier in Auszügen) abgedruckten Briefen von einer Italienreise. Das Interesse für das Neue und Unbekannte , für das „Werdende, das ewig wirkt und lebt“ sah er, wie das von ihm gewählte Goethe-Zitat belegt, dialektisch gekoppelt und „gefestiget mit dauernden Gedanken“.
Gertrud Lexen-Linsenmaier
V.
Rom, 9. Juli 1905
...
Um 10 Uhr saßen wir bereits im Eisenbahnwagen und zwar jetzt zur Abwechslung dritter Klasse. Die Eisenbahnwagen sind recht bequem und angenehm eingerichtet, sie sind breiter als bei uns und bedeutend länger. In der Mitte des Eisenbahnwagens ist ein ziemlich breiter Gang, so dass man hier während der Fahrt ganz bequem spazieren gehen kann. Zu beiden Seiten des Ganges sind rechts und links Sitzplätze und zwar auf der rechten Seite für drei Personen, auf der linken nur für zwei Personen, wodurch der breitere Mittelgang erzielt wird. Vorn und hinten am Wagen ist eine bequeme Plattform, so dass man auch hier sich aufhalten kann, sofern der Fahrgast aufgrund der bestehenden, behördlichen Anordnungen vom Schaffner nicht ermahnt wird, diese einzuhalten. Die Waggonfenster sind außen mit Fensterscheiben versehen für
den Gebrauch im Winter, die inneren Waggonfenster sind hölzern, erinnern in mancher Beziehung an unsere Fensterläden, nur sind sie natürlich viel kleiner und zarter gebaut. Als weitere Annehmlichkeit beim Fahren auf italienischer Bahn möge der Umstand erwähnt werden, dass die Lokomotiven nicht mit Stein- und Braunkohlen, sondern wie bei unserer Trambahn mit Koks geheizt werden.
Dadurch wird der lästige, rußige Rauch vermieden und dem Reisenden die Fahrt auf der Bahn wesentlich angenehmer gemacht. So kam es, dass wir bei all diesen Vorzügen den Aufenthalt in den Wagen ganz angenehm fanden und frohen Mutes nach zehnstündiger Seefahrt eine zwölfstündige Fahrt per Bahn
machen konnten, selbst die seekrank Gewesenen, die sich inzwischen vollkommen erholt hatten.
VI.
Rom, 9. Juli 1905.
Unter all diesen Umständen, war es kein Wunder, dass wir uns im Eisenbahnwagen recht behaglich fühlten. Als wir uns gegen Abend der ewigen Stadt näherten, war es so kühl geworden, dass wir sogar den Überzieher oder Havelock /ärmelloser Pelerinenmantel mit Schulterkragen/ uns umzunehmen gezwungen sahen.
Wir fuhren zunächst in streng südlicher Richtung an den Ufern der herrlichen grün-blau schillernden Adria entlang und freuten uns über die höher gehenden Wellen, die mit Wucht an dem Ufer in milchweißer Brandung zerschellten, dann ging es in südwestlicher Richtung dem Inneren der Halbinsel zu.
Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgten wir die immer romantischer sich gestaltende Landschaft, namentlich als die Apenninen mit ihrer malerischen, reich zerklüfteten Bergen und Gebirgen uns begleiteten. In ihrem Aufbau sind sie unseren heimatlichen Bergen so ähnlich, dass wir bei ihrer Betrachtung an die Berge unserer Heimat, die Zinne, den Schuler, den Hohenstein, den Königstein lebhaft erinnert wurden.
Durch den Umstand aber, dass das durchfahrene Land viel südlicher liegt, die einzelnen Gebirge viel seltener die Höhe unseres Butschetsch und Negoi erreichen, weil die Ebene nicht eine solche hohe Lage über dem Meer hat wie unser Burzenland, ist hier die Vegetation eine ganz andere als in unserer eigenen
Heimat. Das milde, warme und lichtreiche Klima fördert das Gedeihen der Pflanzen überaus und gestattet auch solchen Pflanzen das Fortkommen, die in unserer Heimat wegen des starken Temperaturwechsels gar bald zu Grunde gehen würden. Ganz eigentümlich sind deshalb die Felder in dieser italienischen
Ebene. Du findest auf den Feldern dieses Landes in den meisten Fällen auch die Feldfrüchte unseres Landes angebaut, aber inmitten dieser Feldfrüchte stehen reihenweise die Maulbeerbäume und um diese schlingt sich in trauter Umarmung jedes Mal auch ein Weinstock, so dass der Italiener von seinem Felde eigentlich eine dreifache Ernte hat, nämlich die gewöhnlichen Feldfrüchte, dann die Blätter des Maulbeerbaumes für die hier intensiv betriebene Seidenzucht und ihre Früchte und schließlich eine reiche Ernte von Weintrauben, die es möglich macht, dass überall viel guter, namentlich Rotwein, alljährlich geerntet wird.
Kein Wunder, dass der italienische Wein billig, aber trotzdem gut ist. In reicher Abwechslung findest Du neben diesen Pflanzen auch Pfirsichbäume, Olivenbäume, Pinien und Zypressen, ja in den südlichen Gegenden auch die immergrünen Eichen, Agaven, Feigenbäume und schließlich auch Palmen in
reicher Mannigfaltigkeit und Abwechslung und unmittelbar vor Rom sogar die Eukalyptusbäume in reicher Anzahl. Entsprechend dem milden und warmen Klima sind auch die Wohnhäuser der Menschen gebaut. Sie sind zum großen Teile Kalkstein- oder Ziegelbauten mit immer weniger schiefen Dächern, ja sie werden schließlich ganz waagrecht, was bei der geringen Schneemenge des Winters, auch bei der zum großen Teil regenlosen Zeit des Sommers leicht erklärlich ist. Die Dächer brauchen im Winter nicht die große Schneelast zu tragen, und das Regenwasser fließt schnell ab oder verdunstet infolge der großen Wärme gar bald. Diesen günstigen klimatischen Umständen entsprechend sind die Wohnhäuser auch viel leichter aufgebaut und die einzelnen Zimmer ohne Öfen.
VII.
Rom, 10. Juli 1905
Dass diese klimatischen Verhältnisse auch auf das Volk einen günstigen Einfluss ausüben, konnten wir schon auf unserer Fahrt nach Rom in auffälliger Weise konstatieren. Sie sind dem milden Klima entsprechend auch von gutmütiger Natur, immer heiter und gefällig, ihre munteren Augen sprechen von
Frohsinn und heiterer Lebensanschauung. Und es ist auch nicht anders zu erwarten. Selbst ihre Sprache klingt angenehm, weich und melodisch. Kein Wunder, dass alle die Umstände schon während unseres kurzen Aufenthaltes in Italien recht angenehm auf uns einwirkten und eine behagliche Stimmung auch in uns hervorriefen. Wir fühlen uns heiter und fröhlich und dabei alle miteinander recht gesund. Die mitgenommene Hausapotheke ist – Gott sei Dank - noch von niemandem in Anspruch genommen worden und wird auch, das ist meine feste Überzeugung, von niemandem während unserer Reise in Anspruch
genommen werden. Wir – 28 an der Zahl – fühlen uns bereits wie die Glieder einer Familie und freuen uns alle miteinander jeden Tag über die herrlichen neu gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen. Glücklich erreichten wir am Samstag Abend Rom und wurden im Hotel von dem Hauswirten, der schon einige Male die Schüler unserer Anstalt beherbergt hatte, aufs herzlichste und freundlichste aufgenommen. Wir sind, was Quartier, was Verpflegung anlangt, recht gut untergebracht, ein Umstand, der wesentlich zu unserem Wohlbefinden beiträgt. Schon an diesem Abende machten wir einen kurzen Gang durch einige Hauptstraßen der Stadt Rom, die uns ganz besonders gefielen wegen ihrer ganz bedeutenden Breite und den schönen, stilvollen und modernen Gebäuden. Am nächsten Tage machten wir zu unserer allgemeinen Orientierung am Vormittag einen Gang auf den Monte Pincio. Vor uns lag die ewige Stadt Rom, die einstige
Hauptstadt des römischen Weltreiches, hierauf der Weltherrschaft der Päpste und in neuerer Zeit die Hauptstadt eines modernen Nationalstaates im Beginn einer dritten Entwicklungsphase als Residenz des geeinigten Königreiches Italien. Zweieinhalb Jahrtausende Geschichte sprechen da zu uns. Beim Anblick
dieses herrlichen Panoramas werde ich lebhaft erinnert an ein Bild, das ich im vergangenen Sommer in der großen Kunstausstellung in Dresden gesehen hatte.
Der Künstler nannte es „Einst und jetzt“. Es stellte eine romantische Berggegend dar, auf deren Höhen in malerische Lage eine verfallene Ritterburg stand, während unten im Thale eine ganze Anzahl einförmige Gebäude mit ihren Schloten sich ausbreitete.
So ist auch in Rom die älteste Zeit in Ruinen daliegend, an die sich die moderne Zeit mit ihren modernen Gebäuden anschließt. Rechts und links breitet sich die Stadt auf sieben Hügeln aus, von recht geringer Erhebung, der höchste dieser Hügel, der Esquilin, hat eine Höhe von 75 m, der niedrigste, der Aventin,
eine Höhe von 46 m. Diese Höhenerhebungen sind derartig gering, dass man bei oberflächlichem Anblicke der Stadt glaubt, der größere Teil der Stadt liege in einer sanft ansteigenden Höhe. Diese Höhenunterschiede sind anscheinend dieselben wie die Höhenunterschiede zwischen der inneren Stadt und der Oberen Vorstadt unserer Heimatstadt. Im Laufe des Vormittags besichtigten wir das Kapitol und die kapitolinischen Sammlungen und hatten die Absicht, fern von der Heimat im lutherischen Bethaus auch einmal einem Gottesdienst beizuwohnen, wir kamen aber verspätet hin, da der Gottesdienst schon um 10 Uhr begonnen hatte und wir irrtümlicherweise glaubten, er beginne erst um 11 Uhr. Der Nachmittag war dem Janiculus und seiner Umgebung geweiht. Als wir am Mittag dieses Tages nach Hause kamen, fanden wir die ersten Exemplare der „Kronstädter Zeitung“ vor, die in treuer Anhänglichkeit einer aus unserer Gesellschaft sich nachschicken lässt. Da vernahmen wir auch die Nachricht von dem Hinscheiden eines Schülers unserer Anstalt, der sich – ach so sehr – auch auf diese schöne Schulreise gefreut hatte. Was wir lange befürchtet, es war eingetroffen. Als ich am Abend meine Wohnung verließ, hörte er mich und soll seiner tief betrübten Mutter die Worte zugerufen haben: „Mutter, jetzt reisen sie alle!“ Ja, sie reisten, auch er reiste ab in das ferne Jenseits, aus dem es in dieser Welt kein Wiedersehen gibt. Möge der allmächtige Gott die Eltern in ihrem
Schmerze trösten und sie durch das Glück ihrer noch lebenden Kinder reichlichen Ersatz finden lassen. Have, pia anima! (Lebe wohl, fromme Seele)
VIII.
Rom, 11. Juli1905
Soll eine derartige große Schulreise gelingen, dann müssen auch die nötigen Vorbereitungen getroffen werden. Schon geraume Zeit vor dem Schulschlusse hatte der Rektor unserer Anstalten bei den betreffenden
Eisenbahnstationen und Schifffahrtsgesellschaften wegen der üblichen Ermäßigung mit günstigem Erfolge Schritte getan, hatte wegen Unterkunft und Verpflegung in den einzelnen Städten, in denen kürzere oder längere Zeit Halt gemacht werden sollte, die nötigen Vereinbarungen getroffen, hatte sich an die
verschiedenen Behörden gewendet, um freien Eintritt in die einzelnen Sammlungen zu bekommen. Es sind diese Vorbereitungen wohl nicht die angenehmsten Arbeiten, aber immer wieder werden sie von ihm mit dem bekannten Eifer erledigt und zu einem guten Abschluss geführt, so dass am Tage der Abreise die nötigen Vorbereitungen bis ins Einzelne abgeschlossen waren.
Zum Gelingen einer solchen Reise gehört aber noch ein weiteres, nämlich ein zielbewusstes Programm für die einzelnen Tage, um die Wünsche und Hoffnungen der Einzelnen zu befriedigen. Wenn man aber, wie unser Rektor, schon zum siebenten Male den italienischen Boden betritt, hat man auch in dieser Beziehung so viel Erfahrung gesammelt, dass es nicht all zu schwer wird, auch in dieser Beziehung das Richtige zu treffen. So werden im Verlaufe jeden Vormittags die anstrengenden, ernsten Arbeiten verrichtet, während der Nachmittag mehr der Erholung im Freien, Ausflügen in der Umgebung Roms gewidmet ist. Früh 5 ˝ Uhr, seltener 6 ˝ Uhr werden wir geweckt, eine halbe Stunde ist für Anziehn und Frühstücken eingeräumt, wer sich verspätet, muss eine kleine Strafe in Geld bezahlen, gleichviel ob er ein Professor oder ein Schüler ist, und diese Geldbuße wird mit großer Gewissenhaftigkeit einkassiert. Dann werden bis Mittag Sammlungen besichtigt, um 1 Uhr zu Mittag gespeist, von 2 – 4 Uhr ist Mittagspause, von 4 – 7 Uhr, mitunter etwas länger, werden Ausflüge gemacht, abends 8 Uhr das Abendessen verabreicht und um 10 Uhr, in seltenen Fällen 11 Uhr geht´s ins Bett. Dieser geregelten Lebensweise ist es wohl zuzuschreiben, dass wir uns alle recht wohl befinden und jeden Tag mit frischen Kräften an die neue Arbeit gehen können.
Der Montag Vormittag war der Besichtigung der, wenn nicht schönsten, so doch größten Kirche des Erdenrundes, der Peterskirche und der Sixtinischen Kapelle im Vatikan gewidmet. Um eine Vorstellung von dieser Kirche zu ermöglichen, will ich nur erwähnen, dass der Turm unserer Schwarzen Kirche nicht nur ganz bequem unter die Kuppel dieser Kirche hineingestellt werden könnte, sondern über diesem Turm, fast noch ein zweiter Turm, von der selben Größe hineingestellt werden könnte und noch genügend freier Platz übrig bliebe.
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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