I t a l i e n i s c h e R e i s e b r i e f e
06.08.15
Von Prof. Friedrich Lexen (Auszüge/10)
An eine unserer Gruppen tritt ein junger Mann heran, zeigt ihnen etwas ängstlich einen schönen edelsteinbesetzten Ring und bietet ihnen diese Kostbarkeiten zum Kaufe an. Sie folgten ihm, biegen in eine Seitenstraße ein, um sich die Wertgegenstände zu besehen. Sie haben sie in ihrer Hand und besichtigen sie, als ob sie sie wirklich kaufen wollten. Da hört sie der Taschendieb von den Carrabinieri reden, im nächsten Augenblicke entreißt er ihnen mit sicherem Griffe die Goldsachen und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Und solcher Taschendiebe, die wohl organisiert sind, gibt es eine Legion, so dass man auf seinen Besitz auf Schritt und Tritt achten muss.
Auch beim Geldwechseln muss man recht achtsam sein, denn es gibt wohl kaum ein Land, in dem so viel veraltetes, so viel wertloses Geld oder gar nachgeahmtes falsches Geld kursiert wie in dem so viel gerühmten Italien.
Ebenso vorsichtig muss man beim Überreichen der Geldstücke sein, da der leidenschaftliche Italiener gar leicht seinen Vorteil zu finden weiß und steif und fest behauptet, von dir eine kleinere Geldsumme erhalten zu haben, als man ihm wirklich übergeben hat. An den Straßenecken sind zahlreiche Wechsler und
Wechslerinnen, die gegen eine geringe Taxe die auf dem Gange durch die Straßen und bei dem Besuche der einzelnen Wirtschaften notwendigen Soldis umwechseln. Mannigfach gehen uns kleine Händler an, um von ihnen Cerinis und andere Kleinigkeiten zu kaufen. Bettler männlichen und weiblichen Geschlechtes umschwirren uns und bitten klagend und heulend um einen Soldo, ja selbst eine anständig gekleidete Frau, deren Aussehen meines Erachtens nicht von Not und Elend sprach, wendete sich in gleicher Sache an uns.
Zeitungsverkäufer stürmen in schnellem Laufe durch die Straßen und preisen ihre verschiedenen Zeitungen an und bald hat sich um den Käufer einer solchen Zeitung eine Anzahl von Menschen gesammelt, die aufmerksam seinem Vorlesen folgt. Auffällig waren mir einzelne Kühe mit ihren Kälbern, die durch
die Straßen von einem Manne geführt wurden. Er läutete mit einer Glocke und bald stürmten eine Anzahl von Frauen und Kindern herbei, um ihre leeren Gläser mit frisch gemolkener Milch zu füllen. Die Kühe blieben stehen, in das leere Glas wurde die Milch gemolken, der entsprechende Geldbetrag bezahlt und so ging´s in rascher Aufeinanderfolge weiter. Hätten wir es doch auch in der viel kleineren Stadt Kronstadt so gut, dass wir in unserem Hofe täglich die Kühe sähen, die uns das namentlich für unsere kleinen Kinder so unentbehrliche Nahrungsmittel liefern. Bisher sahen wir bei uns vom Frühjahre bis zum Herbst bloß die Ziegen und ihren Hirten ihr Wesen in dieser Art treiben. Wenn einer der Altstädter oder einer vom Lande auf diese neapolitanische Idee käme, er würde für teures Geld seine Milch verkaufen können, dadurch reichlichern Erlös haben als bis jetzt, und zahlreiche Mütter, die ihre Kleinen mit Kuhmilch statt mit der eigenen Muttermilch ernähren müssen, wären ihm obendrein noch recht dankbar für sein neues Unternehmen.
Auf der großen Piazza finden wir am Abend zwei Musikkapellen, die in großen Mengen an Tischen herum sitzende Gäste unterhalten; in dem einen derselben war sogar ein Theater Varieté, wo Sänger und Tänzer die lebhaft applaudierenden Zuhörer amüsierten.
So gewannen wir auch hier ein rechtes Bild orientalischen Lebens, das uns bis in die Nacht hinein recht interessierte. Doch wir mussten früh zu Bett, denn schon um 5 Uhr in der Früh sollten wir mit dem Zuge nach Ancona und von da noch am selben Abend mit dem Schiffe nach Fiume fahren.
XXVI.
Kronstadt, 26. Juli 1905
Schon einige Tage früher war an die Direktion der Ungaro-Kroato-Schiff-Fahrtsgesellschaft das Ersuchen gegangen, auf unsere Reisegesellschaft am Abend des 22. mit dem Schiffe in Ancona kurze Zeit zu warten, da wir beim besten Willen, selbst wenn eine Zugsverspätung ausgeschlossen gewesen wäre, bei der großen Entfernung des Bahnhofes vom Hafen das Schiff nicht hätten rechtzeitig erreichen können. Das wäre aber für uns ein Verlust von 2 – 3 Tagen gewesen, da nur jeden zweiten oder gar dritten Tag auf der Linie Ancona-Fiume ein Schiff dieser Gesellschaft verkehrt. Gleichzeitig war an das k. u. k. Konsulat in Ancona das Ersuchen gestellt worden, uns beim Ankommen in Fiume und der Überfahrt zum Hafen bei der Beschaffung der Droschken beizustehen, um ja keine Zeit zu verlieren. Ja, diese Droschkenkutscher! Sie sind nicht besser als bei uns.Es sind zwar auch in Italien für sie die Taxen normiert, aber sie halten es für ihr gutes Recht, gerade so wie bei uns, diese Taxen nicht einzuhalten.
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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